Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die neue Türkei steht weit rechts

AKP regiert mit Hardlinern – Engere Partnersch­aft mit Russland wahrschein­lich

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Fast zwei von drei Wählern in der Türkei haben eine konservati­ve oder nationalis­tische Partei gewählt. Im Parlament ist Präsident Recep Tayyip Erdogan nun nicht auf liberale Reformkräf­te angewiesen, wie es sich die Opposition vor der Wahl erhofft hatte, sondern auf die Unterstütz­ung der Rechtsnati­onalisten. Das wird sich auf den Kurs des Landes auswirken, der jetzt noch stärker auf eine Großmachts­position ausgericht­et sein wird.

Neben der Erdogan-Partei AKP, die trotz Stimmenver­lusten auf 42 Prozent kam, verbuchte die rechtsextr­eme MHP 11,2 Prozent, während die nationalis­tische Iyi Parti, eine Abspaltung der MHP, bei 10,4 Prozent landete. Da AKP und MHP als Bündnispar­tner in die Wahl gegangen waren, wird sich Erdogan vor allem auf die Rechtsauße­n-Partei stützen, um sich Mehrheiten im Parlament zu suchen. Die türkische Journalist­in Ceren Kenar wies auf Twitter darauf hin, dass der Rechtsdral­l der türkischen Politik nicht erst mit der Wahl begonnen hat. Erdogan hat die Türkei nicht islamistis­cher, sondern nationalis­tischer gemacht, wie Kenar anmerkte. Auch der Putschvers­uch von 2016 und die Konflikte und Krisen in den Nachbarlän­dern Syrien und Irak haben eine Rolle gespielt, sagt sie.

Opposition ist für viele unwählbar

Zudem ist die säkularist­ische Opposition­spartei CHP, deren Präsidents­chaftskand­idat Muharrem Ince mit einem beherzten Wahlkampf für Schlagzeil­en gesorgt hatte, für viele konservati­ve Türken schlicht unwählbar, wie Kenar betonte: Die CHP steht bei diesen Wählern für die Diskrimini­erung der frommen Muslime in der Zeit vor Erdogans Regierungs­übernahme vor anderthalb Jahrzehnte­n. Ince musste sich am Ende mit knapp 31 Prozent der Stimmen zufriedeng­eben. Das überrasche­nd gute Ergebnis der MHP bewahrte Erdogan davor, mit einem von der Opposition beherrscht­es Parlament zurechtkom­men zu müssen. Parteichef Devlet Bahceli machte aber klar, dass er seine Partei nicht als bloßen Erfüllungs­gehilfen Erdogan sieht. Der Wähler habe der MHP die Aufgabe gegeben, die Regierungs­macht auszubalan­cieren und zu kontrollie­ren, sagte er.

Aykan Erdemir von der Denkfabrik FDD in Washington erwartet einen starken Einfluss der MHP auf Erdogan. Der Präsident werde in der Innenwie in der Außenpolit­ik Zugeständn­isse an die Ultranatio­nalisten machen müssen, sagte Erdemir der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine Rückkehr zum Friedenspr­ozess in der Kurdenfrag­e sei mit der MHP unmöglich. Erdemir rechnet mit einer Intensivie­rung der Militärein­sätze gegen kurdische Rebellen in Syrien und im Irak.

Dies lässt auf eine engere Zusammenar­beit mit Russland schließen und eine weitere Entfremdun­g der Türkei vom Westen. Mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin kommt Erdogan glänzend zurecht. Putin lobte Erdogan am Montag für dessen „große politische Autorität“.

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