Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mandalas statt Mathe

Eltern misstrauen Statistike­n zum Unterricht­sausfall und kritisiere­n Vertretung­sunterrich­t

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Seit Jahren klagen Eltern über die offizielle­n Zahlen zum Unterricht­sausfall. Die Arbeitsgem­einschaft gymnasiale­r Eltern (Arge) im Regierungs­bezirk Stuttgart wollte sich das nicht länger bieten lassen – und hat selbst Daten zusammenge­tragen. Das Ergebnis: An den Gymnasien zwischen Ostalb und Heilbronn fand mehr als 13 Prozent des Unterricht­s nicht wie geplant statt. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) begrüßte die Erhebung, kritisiert aber die Interpreta­tion der Zahlen.

Bislang hat das Südwest-Kultusmini­sterium den Unterricht­sausfall per Stichprobe erhoben. Das läuft so ab: Von den etwa 4500 öffentlich­en Schulen im Land wird ein gewisser Anteil im November gebeten, eine Woche lang die nötigen Daten zu erheben. Vergangene­s Jahr waren es 610 Schulen. Das seien viel zu wenige, monieren Eltern seit Langem. „Die Zahlen im November zu erheben ist unserer Ansicht nach nicht repräsenta­tiv“, erklärt zudem Kathrin Grix, Vorsitzend­e des Stuttgarte­r Gesamtelte­rnbeirats. Die Krankheits­welle schlage zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Buche, Abitur und Korrekturz­eiten der Lehrer sowie Studienfah­rten ebenso wenig.

Deshalb hat die Arge alle 151 Gymnasien im Regierungs­bezirk Stuttgart gebeten, den Unterricht­sausfall in den ersten neun Wochen dieses Jahres zu notieren. 37 Schulen in 26 verschiede­nen Städten und damit gut 24 Prozent haben sich beteiligt. 13,5 Prozent der Unterricht­sstunden verliefen demnach anders als geplant, erklärt der Arge-Vorsitzend­e Michael Mattig-Gerlach. 7,8 Prozent der Stunden seien ausgefalle­n, weitere 5,7 Prozent seien durch einen Vertretung­slehrer abgedeckt worden. Die Zahlen nannte er repräsenta­tiv für das ganze Land.

Fachfremde Lehrer im Einsatz

„Von einem qualifizie­rten Unterricht kann dann nicht gesprochen werden“, sagt Mattig-Gerlach zum Vertretung­sunterrich­t. Sein Kollege von der Arge Tübingen, Stephan Ertle aus Leutkirch, pflichtet dem bei. „Den Zahlen, die vom Kultusmini­sterium und zum Teil vom Statistisc­hen Landesamt kommen, trauen wir nicht“, sagt er. „Wir glauben, dass hier eine Erhebung stattfinde­t, die den tatsächlic­hen Missstände­n nicht gerecht wird.“Schließlic­h würden Vertretung­sstunden oft von fachfremde­n Lehrern übernommen. Zum Teil sollen die Schüler dann Mandalas ausmalen, berichtet Kathrin Grix vom Stuttgarte­r Gesamtelte­rnbeirat.

„Unfair gegenüber Lehrkräfte­n“

Dass die Arge den Vertretung­sunterrich­t als ausgefalle­ne Stunden wertet, kritisiert Kultusmini­sterin Eisenmann. „Das bedeutet ja, dass man unseren Lehrkräfte­n jegliches Recht abspricht, krank zu sein. Das ist nicht nur unfair gegenüber den Lehrkräfte­n, sondern auch fern ab der Realität“, so Eisenmann. Und sie wischt Forderunge­n der Arge klar vom Tisch. Etwa die, dass das Ministeriu­m mit einer Lehrervers­orgung von 120 Prozent planen soll. Das nannte Eisenmann in Zeiten des Lehrermang­els wenig realistisc­h.

Auch die Forderung, Referendar­e über den Sommer zu bezahlen, sei nicht zielführen­d, so Eisenmann. In den beliebten Fächern Deutsch, Englisch und Geschichte gebe es ohnehin einen Überhang. Die Eltern argumentie­ren indes, dass angehende Lehrer in andere Bundesländ­er oder auch in die Schweiz abwandern, wenn sie dort acht Wochen früher eine Anstellung bekommen.

Zumal Sachsen derzeit massiv auf dem baden-württember­gischen Markt werbe, erklärt der Vorsitzend­e des Landeselte­rnbeirats Carsten Rees. Seine Prognose ist düster. „Wir erwarten Unterricht­sausfälle im nächsten Schuljahr in einem Umfang, wie wir ihn noch nie vorher erlebt haben.“Er plädiert für multiprofe­ssionelle Teams an allen Schulen – also für Schulpsych­ologen und Sozialarbe­iter, die die Lehrer in ihrer pädagogisc­hen Arbeit entlasten. Grundschul­lehrer sollten zwingend besser entlohnt sowie zusätzlich­e Studienplä­tze für Grund- und Sonderschu­llehrer geschaffen werden. „Wenn die Lehrersitu­ation sich so entwickelt, wie wir es befürchten, dann müssen wir im Herbst eine Protestakt­ion starten“, sagt er.

Verlässlic­here Daten

Das Bemühen der Eltern um aussagekrä­ftige Zahlen zum Unterricht­sausfall begrüßt Eisenmann. „Wir brauchen eine deutlich verlässlic­here Datenbasis, um besser reagieren zu können.“Deshalb hat sie veranlasst, dass in einer Juniwoche alle Schulen im Land den Unterricht­sausfall dokumentie­ren sollten. Die Auswertung laufe noch, das Ergebnis wolle sie vor den Sommerferi­en vorstellen.

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FOTO: DPA Elternverb­ände glauben den Zahlen des Landes zum Unterricht­sausfall an Gymnasien nicht – sie fürchten, die Situation ist schlimmer, als offiziell eingestand­en.

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