Schwäbische Zeitung (Laupheim)

EU sorgt sich um Polens Unabhängig­keit

- Von Natalie Skrzypczak, Warschau

Fällt im Streit um die polnische Justizrefo­rm die womöglich letzte unabhängig­e Bastion? Nach Kaderwechs­eln durch die nationalko­nservative Regierung gelten viele Justizbehö­rden in dem Land als befangen. Nun, so warnen Kritiker, knöpft sich die Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) auch den Obersten Gerichtsho­f vor. Dort könnten von diesem Dienstag an zahlreiche Juristen mit einer Art Zwangspens­ionierung ausgetausc­ht werden.

Einen Tag vorher schaltete sich deshalb am Montag die EU-Kommission ein und eröffnete gegen Polen ein weiteres Verfahren wegen Verstößen gegen EU-Recht. Abermals äußerte die Brüsseler Behörde Sorge um die Unabhängig­keit der Justiz in dem EULand. Und abermals hofft sie auf ein Einlenken der rechtskons­ervativen Regierung in Warschau. Denn ein im April in Kraft getretenes PiS-Gesetz sieht vor, dass oberste Richter nach dem 3. Juli bereits mit 65 statt bisher 70 Jahren in den Ruhestand gehen müssen. Wer im Amt bleiben will, muss dies bei Staatspräs­ident Andrzej Duda beantragen – samt eines ärztlichen Attestes, das die Gesundheit bescheinig­t. Experten des Antikorrup­tionsgremi­ums des Europarats, Greco, kritisiere­n: Dank der neuen Regeln könne das Staatsober­haupt die Richter de facto aussuchen.

Die EU-Kommission geht in der Begründung zu ihrem neuen Vertragsve­rletzungsv­erfahren noch weiter: „Die Kommission ist der Meinung, dass diese Maßnahmen das Prinzip der Unabhängig­keit der Justiz untergrabe­n“, erklärte die Brüsseler Behörde. Polen verstoße damit gegen Pflichten aus dem EU-Vertrag in Verbindung mit der Europäisch­en Grundrecht­echarta. Die Regierung habe nun einen Monat Zeit zur Stellungna­hme. Doch hoffe man, dass Polen es sich noch einmal überlege und die Neuregelun­g nicht in Kraft setze. Warschau will es hingegen drauf ankommen lassen: Notfalls werde der Konflikt eben vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f geklärt. Ein Verfahren würde sich über Monate hinziehen.

Dauerfehde zwischen EU und Polen

Es ist die jüngste Episode einer seit zwei Jahren währenden Dauerfehde. Im Dezember hatte die EU-Kommission wegen diverser Justizrefo­rmen erstmals überhaupt ein Sanktionsv­erfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Polen eingeleite­t. Kommission­s-Vizepräsid­ent Frans Timmermans kritisiert auch die möglichen Pensionier­ungen der Richter scharf als „einen nicht wiedergutz­umachenden Bruch der Rechtsstaa­tlichkeit“.

Die Regierung weist diese Kritik zurück. „Das Datum 3. Juli wird dämonisier­t“, meinte Außenminis­ter Jacek Czaputowic­z. Polen habe das Gesetz nachgebess­ert und sei Forderunge­n Brüssels entgegenko­mmen. Über die Amtsverlän­gerungen der Richter entscheide nicht Duda allein, er müsse den für die Richterwah­l zuständige­n Landesjust­izrat zurate ziehen, verteidigt­e Czaputowic­z die Reform.

Seit einer PiS-Reform werden jedoch auch die Mitglieder des Landesjust­izrates mit verstärkte­m Parlaments­einfluss gewählt. Die Behörde gilt als befangen, ebenso wie das Warschauer Verfassung­sgericht und allgemeine polnische Gerichte, an denen Justizmini­ster und Generalsta­atsanwalt Zbigniew Ziobro dank neuer Vollmachte­n zahlreiche Gerichtspr­äsidenten auswechsel­te. Am Obersten Gerichtsho­f würde die Reform 27 der 74 Juristen betreffen. (dpa)

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