Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Bank des Vertrauens

Seelsorger reist mit einer „mobilen Kirchenban­k“durch den Hochschwar­zwald – Jeder kann sich zu ihm setzen und frei von der Leber erzählen

- Von Leonie Mielke

TITISEE-NEUSTADT (epd) - Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als Sebastian Swiatkowsk­i mit Holzteilen in der Hand in den Kurpark kommt. Der Park liegt direkt am See, am gegenüberl­iegenden Ufer leuchten Nadelbäume in verschiede­nen Grüntönen. Die Holzteile sehen etwas sperrig aus, aber der 28-Jährige macht ein paar Handgriffe, zieht Schrauben fest, und schon steht am Seeufer eine glatt polierte „mobile Kirchenban­k“. Fix stellt Swiatkowsk­i noch zwei Schilder auf: „Erzähl mir was, ich hör dir zu!“, steht darauf. Dann setzt sich der junge Mann in Jeans und T-Shirt hin. Und wartet.

Zwei Stunden lang wird er nun bleiben und einfach Ansprechpa­rtner sein. Swiatkowsk­i ist katholisch­er Theologe, Pastoralas­sistent. Es ist bereits der zweite Sommer, in dem er mit der Kirchenban­k an verschiede­nen Orten im Hochschwar­zwald Platz nimmt.

Das erste Mal sei es komisch gewesen, sagt er. „Auf der Bank ist man den Blicken ausgesetzt. Man macht sich angreifbar.“Das sei auch für seine Gesprächsp­artner eine kleine Hürde. Aber er kann damit umgehen, und auch die vorbeischl­endernde Brigitte Stier stört sich daran überhaupt nicht. Die 88-Jährige hat schon mehrere Schwätzche­n mit Swiatkowsk­i auf der Bank geführt: Darüber, dass es in dem Ort fast nur noch Ferienwohn­ungen gebe, aber kaum Wohnungen für Einheimisc­he. Und über das Altwerden oder die Frage, warum Judas sein Verrat an Jesus nicht verziehen worden ist. „Sein Projekt ist wichtig“, urteilt die weißhaarig­e Dame. „Wann kriegt man denn noch jemanden von der Kirche zu packen? Pfarrer sind heute doch keine Seelsorger mehr, sondern Manager.“Früher habe sie in ihrer Wohnung oft Besuch von Geistliche­n bekommen.

Swiatkowsk­i erzählt, dass er inzwischen mehr als 50 Gespräche geführt habe – über Familie, den Zweiten Weltkrieg oder Einsamkeit. Besonders nah ging ihm die Geschichte einer Touristin, die mehr als 20 Jahre lang verheirate­t war. „Sie verbrachte hier mit ihrem Mann den Urlaub und wollte sich danach von ihm trennen.“Sie besprachen, wie so ein Trennungsg­espräch aussehen kann. Ihre Entscheidu­ng, ihren Mann zu verlassen, habe er nicht hinterfrag­t. „Es ist mir wichtig, dass die Leute ihre Themen selbst setzen“, sagt er. Er sehe sich als ein aktiver Zuhörer.

Dabei erstaunt es ihn, wie offen die Menschen seien. „Als Seelsorger bekommen wir einen riesigen Vertrauens­vorschuss, das ist ein gutes Gefühl“, sagt Swiatkowsk­i. Einmal sei das Gespräch aber auch schon in die falsche Richtung gegangen. Ein Tourist habe die Bank für Hasstirade­n gegen Flüchtling­e genutzt. „Ich habe ihm gesagt, dass man mit mir auch Auseinande­rsetzungen führen kann, die Bank aber ein Ort der Toleranz und des Verständni­sses ist.“

Auch Kinder und Jugendlich­e hätten schon bei ihm Platz genommen. Kinder näherten sich oft mit einer Mischung aus Neugier und Witzelei. „Ein bisschen Spaß gehört dazu“, sagt Swiatkowsk­i. Für Kinder sei Humor wichtig, damit sie sich trauten, ihre Probleme auf die Bank zu bringen. „Ihr größtes Thema ist Mobbing“, sagt der Seelsorger, manchmal auch verbunden mit konkreten Fragen. „Ein etwa Zehnjährig­er hat mich zum Beispiel gefragt, ob es erlaubt ist, zurückzumo­bben, wenn man selbst gemobbt wird.“

Manchmal wundert er sich, welche Erwartunge­n eine simple mobile Bank wecken kann: „Eine ältere Frau kam mal mit der Vorstellun­g auf mich zu, dass auf der Bank irgendeine Zauberei stattfinde­n müsse.“Sie meinte, wenn ich so viel aufbaue, sollte es doch auch eine Show oder Action geben.

Die Idee für sein Projekt entwickelt­e sich nach und nach. Zunächst hatten ihm mehrere ältere Leute erzählt, dass sie sich einsam fühlten, aber kaum jemand von der Kirche greifbar sei. „Das hat mich geärgert“, sagt Swiatkowsk­i. Zudem fiel ihm immer wieder auf, dass die Zeugen Jehovas in der Gegend mit Ständen sehr präsent waren. „Und ich fragte mich jedes Mal selbst: Wo ist die katholisch­e Kirche?“, erzählt er. „Wir sind hier in einer touristisc­hen Hochburg, das sollte doch was mit uns als Kirche machen.“Swiatkowsk­i, geboren in Philippsbu­rg bei Karlsruhe, hat seine Ausbildung in der Seelsorgee­inheit „Beim Titisee“absolviert.

Die Initialzün­dung für sein Projekt stand ihm schließlic­h auf einem Speicher gegenüber – eine ausrangier­te und eingestaub­te Kirchenban­k. Swiatkowsk­i sagt, ihm sei plötzlich bewusst geworden, „wie viele Leute schon auf dieser Bank saßen und zusahen, wie sich Menschen das Jawort gaben oder Abschied vom Leben nahmen“. Und ihm war klar: Auf dieser Kirchenban­k sollten wieder Geschichte­n lebendig werden. Er brachte die Bank zum Schreiner, ließ sie verkleiner­n und wieder in Schuss bringen.

Bis Ende Juli ist Swiatkowsk­i noch als Zuhörer im Südschwarz­wald unterwegs. Dann zieht er aus berufliche­n Gründen nach Karlsruhe. Es gibt aber Kollegen, die seinen Platz gerne einnehmen würden, sagt er. Sie brauchen nur ein offenes Ohr – und geschickte Hände zum Aufbauen der Kirchenban­k.

 ?? FOTO: EPD ?? Die etwas andere Seelsorge: Sebastian Swiatkowsk­i im Gespräch mit einer Frau im Kurpark Titisee-Neustadt.
FOTO: EPD Die etwas andere Seelsorge: Sebastian Swiatkowsk­i im Gespräch mit einer Frau im Kurpark Titisee-Neustadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany