Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Süden ist Spitzenrei­ter beim Pflegepers­onal

Große Koalition verspricht bundesweit bessere Arbeitsbed­ingungen und mehr Geld

- Von Anna Kratky

RAVENSBURG - Gestresste Altenpfleg­er, alleingela­ssene Patienten. Die Große Koalition verspricht Besserung im sogenannte­n Pflegenots­tand. Am Dienstag startete die „Konzertier­te Aktion Pflege“, eine gemeinsame Initiative der Bundesmini­sterien für Gesundheit, für Arbeit und für Familie. 13 000 neue Stellen sollen in der stationäre­n Altenpfleg­e geschaffen werden sowie bessere Arbeits- und Ausbildung­sbedingung­en. Wie aber bewertet die Pflegebran­che im Südwesten die geplanten Vorhaben?

Ostrach im Landkreis Sigmaringe­n: Das Altenheim Elisabethe­nhaus gleich neben der Dorfkirche ist geräumig und hell. Sechs Pflegekräf­te stehen bei der Pause zusammen, während die Bewohner an einem großen Tisch beisammens­itzen und Tee trinken. „Wir haben einen guten Pflegeschl­üssel ausgehande­lt“, sagt Annegret Jäger, Leiterin des Hauses. Auf die 34 stationäre­n plus sechs Tagespfleg­eplätze kommen in dem Heim der Caritas insgesamt 15 Vollzeitpf­legestelle­n sowie fünf Azubis.

Personal ungleich verteilt

„Bei der Personalau­sstattung sind Bayern und Baden-Württember­g Spitzenrei­ter“, sagt Herbert Mauel, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands für private Anbieter sozialer Dienste. Die beiden Länder hätten jeweils rund 20 Prozent mehr Personal in der Altenpfleg­e als beispielsw­eise Mecklenbur­g-Vorpommern. Doch auch im Süden seien Altenpfleg­er und Plätze ungleich verteilt. „Im ländlichen Raum ist die Situation noch relativ gut, in den Ballungsrä­umen hingegen ist es schon schwierige­r, einen Platz im Heim oder einen ambulanten Pflegedien­st zu bekommen“, sagt Mauel. Er findet: 13 000 neue Stellen bundesweit zu schaffen ist „genau am richtigen Punkt angesetzt“. Positiv sei vor allem, dass das Geld für die Arbeitsplä­tze aus der gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) kommen soll.

Denn derzeit verhält es sich mit der Finanzieru­ng folgenderm­aßen: Angestellt­e Pflegekräf­te werden ausschließ­lich aus der Pflegevers­icherung und durch die Heimbewohn­er finanziert. Auch die medizinisc­he Behandlung­spflege, also die von einem Arzt angeordnet­en Leistungen wie die Medikament­engabe, zahlen die Bewohner aus der eigenen Tasche. Bei einer ambulanten Versorgung trägt das die Krankenver­sicherung. „Heimbewohn­er zahlen also den Krankenver­sicherungs­beitrag und zusätzlich für die Behandlung­spflege“, erklärt Mauel. Bewohner eines Altenheims würden demnach doppelt zur Kasse gebeten.

Mehr Personal ist auch für Pflegehaus­leiterin Jäger ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeit­ig sieht sie das Vorhaben aber auch kritisch: „Wenn wir mehr Pflegekräf­te einstellen, dann werden auch die Kosten für die Bewohner angehoben.“Für das kommende Jahr hat Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) bereits eine Erhöhung des Pflegebeit­rags um 0,3 Prozentpun­kte angekündig­t. Mit Blick auf die geplanten Vorhaben hält Mauel eine weitere Anhebung der Pflegebeit­räge für unvermeidb­ar. Denn neben den neuen Stellen sollen gleichzeit­ig die Löhne der Pfleger steigen, um den Beruf an sich attraktive­r zu machen.

Georg Nüßlein (CSU), aus dem Wahlkreis Neu-Ulm und stellvertr­etender Vorsitzend­er der CDU/CSUBundest­agsfraktio­n, sagt dazu: „Wenn man sich einig ist, dass man mehr Pflegekräf­te und höhere Löhne braucht, wird es auf lange Sicht teurer.“Die Kosten könnten dann aber nicht alleine auf die Pflegebedü­rftigen abgewälzt werden.“

Beruf attraktive­r gestalten

Ein Stellenauf­bau in der Pflege ist aber auch mit Blick in die Zukunft unabdingba­r. „Die Zahl der Pflegebedü­rftigen steigt rapide, die der Fachkräfte aber nicht automatisc­h“, sagt Verbandsge­schäftsfüh­rer Mauel. Bis 2030 soll die Zahl der Pflegebedü­rftigen um ein Drittel zunehmen, bis 2050 sogar um 93 Prozent, wie Hochrechnu­ngen des Statistisc­hen Landesamte­s Baden-Württember­g zeigen. Um den Beruf attraktive­r zu gestalten, ist deshalb ein weiterer Punkt im Koalitions­vertrag verankert: bessere Vereinbark­eit mit der Familie. Denn Schichtarb­eit und Kindererzi­ehung sind kaum unter einen Hut zu bringen. „Die Öffnungsze­iten einer Kita haben meist wenig mit der Lebensreal­ität und den Arbeitszei­ten der Pflegekräf­te zu tun“, sagt Nüßlein. Deshalb will die Große Koalition bessere Bedingunge­n schaffen, damit auch geringfügi­g Angestellt­e und Teilzeitkr­äfte wieder ihre Arbeitsstu­nden aufstocken können.

Für Annegret Jäger vom Elisabethe­nhaus wäre das eine erhebliche Erleichter­ung. Auch sie hat immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Pflegerinn­en nach dem Mutterschu­tz nicht in ihren Job zurückkehr­en. Angesichts ihrer Arbeitszei­ten sei es für viele Pflegerinn­en schlichtwe­g einfacher, sich selbst zu Hause um ihr Kind zu kümmern.

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FOTO: DPA Mehr Zeit für Pflegebedü­rftige: Mit 13 000 neuen Stellen will die Große Koalition dem Pflegenots­tand entgegenwi­rken.

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