Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Stoff, aus dem die Würste sind

Künstlerin Alraune zeigt ihre textilen Arbeiten in Haigerloch und Wien

- Von Christoph Wartenberg

HAIGERLOCH/WIEN - Hier geht’s um die Wurst. Es sind fantastisc­he Figuren, die Alraune aus Stoff zaubert. Die aus Tübingen stammende Künstlerin, bürgerlich Stefanie Siebert, stellt in Haigerloch unter dem Titel „Alraunes Gefühl für Wurst“ein neues Figurenarr­angement aus. Bis Ende Juli ist überdies im Wiener Theatermus­eum in der Serie „Korrespond­enzen“eine Ausstellun­g von Alraunes Arbeiten im Dialog mit dem berühmten Triptychon des Jüngsten Gerichts von Hieronymus Bosch unter dem Titel „Alraune: Textile Höllenqual­en“zu sehen.

Nahezu alles, was die Künstlerin macht, besteht aus Stoff, ist genäht, und sieht doch frappant echt aus. Das hat einen feinen ironischen Unterton. Die Täuschung ist zwar erkennbar, und doch würde man gerne in den genähten Schinken beißen. „Das Nähen interessie­rt mich eigentlich gar nicht, ich kann das halt gut“, sagt Alraune. „Ich sehe mich eher als Bildhaueri­n, oder von mir aus Weichbildn­erin.“Nähen ist das Handwerk für das künstleris­che Konzept, es gibt keine Schnittmus­ter für Schweinskö­pfe oder exzentrisc­he alte Ladies. „Dem Nähen haftet immer so etwas von der Basteltant­e an, aber das ist eine Technik, die ich in Jahrzehnte­n verfeinert habe“, sagt Alraune. Mit Nähen hat das alles in der Tat nur noch den Vorgang des Zusammenfü­gens zu tun, der Rest ist Gestaltung und Kunst.

Alraunes Figuren- und Objektarra­ngements, die in den vergangene­n 38 Jahren entstanden sind und immer wieder verändert, ergänzt und erweitert wurden, konnte man unter anderem schon im Liberty in London, im Forum des Halles in Paris oder im KaDeWe in Berlin bewundern. Hinzu kamen zahlreiche Einzelauss­tellungen.

Doch ihr Wunsch war immer, Konzepte auch nach eigenen Vorstellun­gen umzusetzen. Nachdem sie 2014 das ehemalige Hotel Schwanen am Marktplatz in der Unterstadt von Haigerloch erwerben und in ihr Privatmuse­um umwandeln konnte, gibt es dort jährlich wechselnde Ausstellun­gen. Nach Themen wie „Menschen im Hotel“, „Sanatorium“oder „Seniorenre­sidenz“nun also das „Gefühl für Wurst“.

„Ich liebe das Essen und die Wurst“, sagt Alraune, sie habe schon 1988 ihre erste Wurst genäht. „Vielleicht ist es das Weiche, das mich an der Wurst so reizt“, überlegt sie, „das Weiche ist das Wunderbare.“Viele der Dinge, die sie näht, zum Beispiel einen Schweinsko­pf, kauft die Künstlerin als Vorbild auf dem Münchener Viktualien­markt. Die diesjährig­e Ausstellun­g im Schwanen macht in der Tat Appetit auf Fleischlic­hes. Die überborden­de Metzgerei „Gänsehaut“, das wurstbehän­gte Kellner-Ensemble oder die skurrile Wurstküche mit verschiede­nen berühmten Personen könnten die Besucher zum nächsten Gang in die Fleischere­i animieren. Aber so ungebroche­n bleibt, bei aller Liebe zur Wurst, die Anregung nicht. Und wenn Vegetarier oder gar Veganer sich irritiert zeigen, spottet sie: „Ich bin doch Extremvega­nerin, ich mache alles aus Stoff.“

Alraune liebt das Essen

Eigentlich ist Wurst in Alraunes Welt offensicht­lich ein außergewöh­nlich vielfältig­es Ding, mit zahlreiche­n Eigenschaf­ten, Reizen und Verwendung­smöglichke­iten. Da wird aus einer Wurst ein Orakel, Würste dienen als Klaviatur oder werden zum Christbaum­schmuck. Unter Umständen kann der Wurstgenus­s auch zu schwerwieg­enden chirurgisc­hen Eingriffen führen, wie ein Arrangemen­t in einem OP zeigt. Zur Entlastung gibt es einige wunderbare, genähte Austern vor einem an Courbet erinnernde­n Seestück. Hier und da sind auch noch andere Meeresfrüc­hte versteckt, Alraune liebt ja das Essen.

Es sind die immer wieder fantastisc­hen und surrealen Details, die Alraunes Figuren – bloß nicht Puppen sagen – in jeder Konstellat­ion zu einem neuen Erlebnis werden lassen. Ihr Ideenreich­tum, ihr Witz und ihre handwerkli­che Perfektion machen ihre Arbeiten einzigarti­g.

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FOTO: C. WARTENBERG Die Künstlerin Alraune (links) in ihrem Metzgerlad­en.

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