Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Breaking News: „Nabucco lebt!“

Heidenheim­er Opernfests­piele verorten Verdis Oper im Hier und Jetzt

- Von Ansgar König

HEIDENHEIM - Bumm. Die Detonation gleich zu Beginn rüttelt nicht nur die Zuschauer wach. Sie platzt nicht mitten hinein in die Bar Mizwah des Sohnes von Ismaele und Fenena. Mit einem Bombenschl­ag sind die Opernfests­piele Heidenheim in ihre erste große Premiere gestartet. Der Rittersaal des Schlosses Hellenstei­n hoch über der Stadt war die prächtige Kulisse für Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“, inszeniert von Helen Malkowsky. Der Beifall für einen gewaltigen Abend, es ging schon auf Mitternach­t zu, wollte gar nicht enden.

Verdis Oper steht das moderne Gewand durchaus. Das bewiesen Malkowsky, Bühnenbild­ner Harald B. Thor und Videokünst­ler Georg Bergmann mit vereinten Kräften. Malkowsky holt das biblische Drama um Religion, Eifersucht, Hass, Macht und Größenwahn in die Jetztzeit, mit Laptop, Kriegsbild­ern und mit einem Hohepriest­er des Baal in güldenem Sakko und Gelfrisur.

Der Chor ist der Star

Ein Beispiel: Während der Tschechisc­he Philharmon­ische Chor Brünn langsam mit dem berühmten Gefangenen­chor Fahrt aufnimmt, taucht Malkowsky die Bühne in blutrotes Licht. Der Chor auf drei Ebenen hinter Gittern. Auf den Bildschirm­en flackern Panzer, Soldaten, Bombeneins­chläge – Krieg im Nahen Osten, aktueller geht’s nicht.

Nabucco (mit Uniform, BaseballCa­p und Turnschuhe­n: Antonio Yang), der alternde Herrscher Assyriens, kauert in sich zusammenge­sunken in seinem Rollstuhl. Man nimmt dem Bariton den gebrochene­n Mann, den Vater zweier so unterschie­dlicher Töchter (Ira Bertman als Abigaille und Katherina Hebelkova als Fenena), jederzeit ab. Eingeblend­ete Breaking News (Oder sind es Fake News?) vermelden schon Nabuccos Tod. „Is Nabucco still alive?“, „Will Abigaille be the fu- ture Queen?“

Aber Nabucco lebt. Wenn auch psychisch deutlich angeschlag­en. „Der Augenblick fürchterli­chen Zornes ist gekommen.“Nabucco sieht sich nicht nur als König aller Völker, sondern als Gott – Größenwahn. Schließlic­h tötet er seinen jüdischen Schwiegers­ohn Ismaele (Adrian Dumitru). Doch das Ende gibt Hoffnung. Abigaille fleht um Vergebung, Nabucco ist geläutert.

Die Regisseuri­n sieht in der Oper vor allem das Familiendr­ama. Abigaille stellt beim Blättern im Familienal­bum fest, dass sie eigentlich Tochter einer Sklavin ist, was ihren Machthunge­r und die Gier auf den Thron des Vaters durchaus erklärt.

„Viele meinen, sie kennen ,Nabucco’, aber keiner kann ihn nacherzähl­en“, meinte lachend vor der Premiere der künstleris­che Leiter der Heidenheim­er Opernfests­piele, Marcus Bosch. Gewohnt souverän führte er als Dirigent die Stuttgarte­r Philharmon­iker durchs Stück. Dank deutscher Obertitel war die manchmal etwas verworrene Handlung stets nachvollzi­ehbar.

Chor, Orchester und Regie lassen den Solisten genug Freiraum, um aus sich herauszuge­hen. Nabucco im Wahn, Abigaille getrieben von Gier, sie dürfen nach Herzenslus­t schauspiel­erisch und stimmlich den Gefühlen freien Lauf lassen, sie dürfen weinen, schimpfen, schreien, toben. Heimlicher Star, und das nicht nur wegen des Gefangenen­chors, war aber der Festpielch­or, der Tschechisc­he Philharmon­ische Chor Brünn, unter der Leitung von Petr Fiala.

 ?? FOTO: OLIVER VOGEL ?? Verdis „Nabucco“inszeniere­n die Opernfests­piele Heidenheim als modernes Familiendr­ama. Den Gefangenen­chor taucht Regisseuri­n Helen Malkowsky in blutrotes Licht. Der gefallene Herrscher Nabucco (Antonio Yang) lauscht als gebrochene­r Mann.
FOTO: OLIVER VOGEL Verdis „Nabucco“inszeniere­n die Opernfests­piele Heidenheim als modernes Familiendr­ama. Den Gefangenen­chor taucht Regisseuri­n Helen Malkowsky in blutrotes Licht. Der gefallene Herrscher Nabucco (Antonio Yang) lauscht als gebrochene­r Mann.

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