Schwäbische Zeitung (Laupheim)
England vertreibt die bösen Geister
Erleichterung, Erlösung, Elfmeter-Helden: Sogar das Königshaus gratuliert zum Viertelfinaleinzug
MOSKAU (dpa) - Nach der Sternstunde von Moskau verneigte sich selbst der Königspalast vor Englands Elfmeter-Helden. Die Three Lions um ihren WM-Superstar Harry Kane schrieben ein Kapitel Fußball-Historie und erlösten sich auch dank der Akribie ihres Nationaltrainers Gareth Southgate von einem quälenden Fluch. Zehn Schüsse vom Punkt genügten Kane und seinen Teamkollegen in der harten, schmutzigen Achtelfinal-Zitterpartie gegen Kolumbien, um eine ganze Nation vom ersten WM-Titel seit 1966 träumen zu lassen.
England hat ein Elfmeterschießen gewonnen. Was wie Satire und so paradox klingt, wurde beim 5:4 im WMAchtelfinale, das fast 24 Millionen Engländer (Marktanteil: 81 Prozent) vor dem Fernseher verfolgten, tatsächlich wahr. „Das ist eine große Nacht für England, die Jungs sind fantastisch“, sagte Kane. Für den Weltklassemann von Tottenham Hotspur ist klar: „Elfmeter verraten viel über die Mentalität.“Und diese zeigten nach fünf bitteren Strafstoß-Knockouts am Stück endlich mal die Three Lions. Sie schossen mutig, sie schossen wuchtig, sie schossen sich platziert ins Glück. „Ich hatte den vollen Glauben in unsere Schützen und in unseren Torwart“, versicherte Heldenmacher Southgate. Er selbst steht für eines der Kapitel englischen Scheiterns: 1996 verschoss er gegen Deutschland im EM-Halbfinale, die Engländer schieden beim Heimturnier aus. Diese bösen Geister hat er nach 22 Jahren vertrieben.
Im Viertelfinale gegen Schweden am Samstag (16 Uhr MESZ) in Samara können Southgates Jungs erstmals seit 28 Jahren ein WM-Halbfinale erreichen. Der frühere Profi ist jetzt Die englische Fußball-Nationalmannschaft hat ihr chronisches Elfmeter-Trauma zumindest vorerst überwunden. Im achten Anlauf bei einem großen Turnier feierten die Three Lions im WM-Achtelfinale gegen Kolumbien ihren erst zweiten Sieg im Elfmeterschießen. Bei einer WM gelang nach zuvor drei Niederlagen in Duellen vom Punkt der erste Erfolg überhaupt. Damit hat England mit Spanien und Italien (1:3) die schlechteste WM-Quote. Die besten Bilanzen weisen Deutschland (4:0) und Argentinien (4:1) auf. Alle Elfmeterschießen der englischen Nationalmannschaft bei großen Turnieren im Überblick:
WM 2018: 4:3 im Achtelfinale gegen Kolumbien (Fehlschütze: Henderson).
EM 2012: 2:4 im Viertelfinale gegen Italien (Young, Cole).
WM 2006: 1:3 im Viertelfinale gegen Portugal (Lampard, Gerrard, Carragher).
EM 2004: 5:6 im Viertelfinale gegen Portugal (Beckham, Vassell). WM 1998: 3:4 im Achtelfinale gegen Argentinien (Ince, Batty)
EM 1996: 5:6 im Halbfinale gegen Deutschland (Southgate).
EM 1996: 4:2 im Viertelfinale gegen Spanien
WM 1990: 3:4 im Halbfinale gegen Deutschland (Pearce, Waddle). schon grenzenlos stolz auf sein Team. „Wir hatten totalen Glauben bis zum Ende“, beteuerte der 47-Jährige. Die monatelangen Simulationen und die detailgenaue Vorbereitung auf ein mögliches Elfmeter-Finale halfen den Three Lions, sehr vieles richtete Southgate auf diesen ersehnten Sieg aus.
„Ich könnte nicht stolzer auf England sein – ein Sieg im Elfmeterschießen. Ihr solltet wissen, dass das ganze Land hinter euch steht“, schrieb Prinz William über den Twitter-Account des Kensington-Palastes. Eine persönliche Widmung von „W“, wie sich William unter der Nachricht verewigte, ist in dem sozialen Netzwerk eine absolute Ausnahme.
Größte denkbare Drucksituation
Die ewige Last vom Punkt, das DauerScheitern: In der größten denkbaren Drucksituation mussten Kane, der schon jetzt bei sechs Turniertreffern steht , und Co. alles ausblenden – und es gelang ihnen prächtig. „Die Statistik macht es schwieriger für uns, aber wir waren relaxed, weil wir vorher Witze darüber gemacht haben“, sagte Southgate.
„Solche Momente muss man mit den Händen ergreifen, und das haben wir als Team auch gemacht“, sagte Angreifer Raheem Sterling. Dabei waren die Engländer nach einem Treffer von Kane (57. Minute) fast durch, bis ein Kopfballtor von Kolumbiens Yerry Mina (90.+3) den dominanten Engländern 30 Extra-Minuten einbrockte. Der Umweg und die Widerstände der bissigen Kolumbianer waren nicht genug. „Du kriegst im Leben nicht immer das, was du verdienst, aber heute haben wir es bekommen“, sagte Southgate.