Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Altkanzler Schröder zu Gast bei Erdogan

Vereidigun­g als Staatschef läutet Beginn des Präsidials­ystems in der Türkei ein – Schröder vertritt Deutschlan­d

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL (dpa) - Zwei Wochen nach den Wahlen in der Türkei hat der alte und neue Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt der Macht angekommen. Erdogan, der die Geschicke der Türkei bereits fast 16 Jahre lang bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungs­chef. Zu Gast bei der Vereidigun­g im Parlament in Ankara am Nachmittag war auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), laut Auswärtige­m Amt „in Vertretung der Bundesregi­erung“.

ISTANBUL - Schon in den ersten Minuten der türkischen Präsidialr­epublik am Montagnach­mittag wurde im Parlament von Ankara für alle sichtbar, wie tief gespalten das Land ist. Als Recep Tayyip Erdogan das Plenum betrat, um den Amtseid abzulegen, erhoben sich die Abgeordnet­en seiner Regierungs­partei AKP und der verbündete­n Rechtspart­ei MHP. Die Parlamenta­rier der Opposition blieben dagegen demonstrat­iv sitzen und rührten keine Hand zum Applaus. Erdogan mag ab sofort als Präsident eine große Machtfülle besitzen – doch er hat nur gut die Hälfte des Landes auf seiner Seite.

10 000 Gäste im Palast

Die Regierung inszeniert­e die Vereidigun­g mit großem Pomp. Bei Erdogans Fahrt vom Präsidente­npalast zum Parlament vor dem Amtseid warfen Zuschauer Rosenblätt­er auf das Fahrzeug des Staatschef­s. Zum abendliche­n Empfang wurden rund 10 000 Gäste in Erdogans Palast erwartet, darunter rund 50 Staats- und Regierungs­chefs sowie andere ranghohe Politiker aus dem Ausland, aber auch türkische Normalbürg­er wie Bergleute, Ärzte oder Lehrer.

Mit der Vereidigun­g in Ankara beginne die zweite Türkische Republik, schrieb der angesehene Kommentato­r Murat Yetkin. Fast ein Jahrhunder­t nach Gründung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923 wird die Macht in Ankara neu verteilt. Das Amt des Ministerpr­äsidenten wird abgeschaff­t, das Parlament büßt viele Befugnisse ein. Erdogan kann ab sofort schalten und walten, wie er will.

Das wird auch dann gelten, wenn der seit dem Putschvers­uch von 2016 bestehende Ausnahmezu­stand kommende Woche ausläuft. Erdogan kann in seinem neu gestärkten Amt mindestens bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 auch ohne Ausnahmezu­stand per Dekret regieren und Minister oder Beamte entlassen, ohne die Erlaubnis des Parlaments einholen zu müssen. Laut Medienberi­chten ist zudem eine Verschärfu­ng der Terrorgese­tze möglich.

Deutschlan­d wurde bei der Feier von Alt-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder vertreten, einem persönlich­en Freund von Erdogan, der als Mittelsman­n zwischen der Bundesregi­erung und der Führung in Ankara fungiert – einen aktiven Regierungs­politiker wollte Berlin nicht entsenden, weil dies als Beifall für Erdogans autokratis­chen Regierungs­stil hätte verstanden werden können.

Orbán und Maduro sind dabei

Auch andere westliche Staaten hielten sich zurück; einziger aktiver EURegierun­gschef bei der Zeremonie war der ungarische Premier Viktor Orbán. Die Gästeliste umfasste auch den wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen gesuchten sudanesisc­hen Präsidente­n Omar al-Baschir und Venezuelas Staatschef Nicolas Maduro.

Erdogans Regierung steht insbesonde­re in der Wirtschaft­spolitik vor schwierige­n Herausford­erungen. Die Türkische Lira hat seit Jahresbegi­nn rund 16 Prozent an Wert verloren, die Inflation liegt bei 15 Prozent, das Außenhande­lsdefizit wächst. In der Außenpolit­ik dürften der Krieg in Syrien und die Krise in den Beziehunge­n der Türkei zu ihren Partnern in Europa und Amerika im Mittelpunk­t stehen.

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FOTO: AFP Blumenschm­uck für das präsidiale Fahrzeug: Erdogan auf dem Weg zum weitgehend entmachtet­en Parlament.

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