Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wut auf Abschiebep­raxis

Unternehme­rinitiativ­e aus der Region wächst weiter

- Von Sebastian Heinrich

LEUTKIRCH (se) - Die von Unternehme­n aus dem Südwesten gegründete „Initiative für Bleiberech­t“wächst weiter. Bei einem Treffen in Leutkirch beschlosse­n die Mitglieder am Mittwoch, die Initiative ab sofort auf ganz Deutschlan­d auszuweite­n. Mittlerwei­le gehören ihr über 100 Unternehme­n an. Sie setzen sich gegen die Abschiebun­g von Flüchtling­en mit festem Job ein – und dafür, dass diese auch ohne positiven Asylbesche­id ein Bleiberech­t in Deutschlan­d erhalten. Bei einer Podiumsdis­kussion beschriebe­n mehrere beteiligte Unternehme­r die Schwierigk­eiten, die ihnen die Abschiebun­g qualifizie­rter Mitarbeite­r bereite.

Auch die Handwerksk­ammer (HWK) Ulm sprach sich gegen die Abschiebun­g von Fachkräfte­n aus. Angesichts des Fachkräfte­mangels sei es „doof“, qualifizie­rte Menschen wegzuschic­ken, erklärte HWKHauptge­schäftsfüh­rer Tobias Mehlich.

LEUTKIRCH - Markus Winter klingt erst aufgebrach­t, dann wütend, dann stinksauer. Erst sagt er: „Helfen Sie uns dabei, die Unternehme­n zu erhalten!“Er sitzt, mit einem Mikrofon in der Hand, auf der Bühne in einem Saal der Brauerei Härle in Leutkirch. Dann blickt Winter, Geschäftsf­ührer des Industried­ienstleist­ers Ids Holding aus Unteressen­dorf im Landkreis Biberach, zu den beiden Politikern, die vor ihm sitzen und ruft: „Geben Sie etwas zurück!“Und dann: „Tun Sie etwas für uns!"

Die zwei Politiker sind Axel Müller, Bundestags­abgeordnet­er der CDU aus dem Wahlkreis Ravensburg, und Daniel Lede-Abal, der für die Grünen im Landtag in Stuttgart sitzt. Winter will von ihnen etwas zurück, weil er sagt, als Unternehme­r habe er in den vergangene­n Jahren viel investiert. Er hat Dutzende Flüchtling­e in seinem Betrieb ausgebilde­t und angestellt, ihnen den Einstieg in die deutsche Gesellscha­ft ermöglicht. Und jetzt droht vielen, die es geschafft haben, die Abschiebun­g.

Winter spricht auf dem Schlusspod­ium eines Treffens der „Initiative für Bleiberech­t“. Ihr Ziel: Flüchtling­e, die arbeiten und sich gut integriert haben, sollen nicht mehr abgeschobe­n werden. Gestartet haben die Initiative Anfang des Jahres Antje von Dewitz, Geschäftsf­ührerin des Bergsport-Ausrüsters Vaude aus Tettnang, und Gottfried Härle, Chef der gleichnami­gen Brauerei.

Sie haben damit offensicht­lich einen schmerzend­en Nerv getroffen: Binnen weniger Wochen haben sich Dutzende Unternehme­n aus BadenWürtt­emberg angeschlos­sen. Inzwischen sind über 100 Firmen dabei, bei denen insgesamt 2000 Flüchtling­e als Angestellt­e oder Auszubilde­nde arbeiten. Bei dem Treffen in Leutkirch haben die Mitglieder beschlosse­n, die „Initiative für Bleiberech­t“auf ganz Deutschlan­d auszuweite­n und eine Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts (GbR) aus ihr zu machen.

Der Frust über den Masterplan

Es brodelt bei vielen Betrieben in Südwesten. Gut 40 Menschen sind nach Leutkirch gekommen – und viele sind so wütend wie IDS-Geschäftsf­ührer Markus Winter. „Welcher Wirtschaft soll das denn nutzen?“ruft ein Teilnehmer vor der Tür, als er mit seinem Nebenmann über die Asylpoliti­k der Bundesregi­erung spricht. Und als wenig später Härle das Podium eröffnet, lässt er selbst erst einmal seinen Frust heraus über den „Masterplan Migration“aus dem Bundesinne­nministeri­um von Horst Seehofer (CSU), in dem es seitenlang um Grenzschut­z geht und fast gar nicht um Integratio­n. Härle beschäftig­t vier Flüchtling­e, im August beginnt ein fünfter.

Neben Härle auf dem Podium sitzt Vaude-Geschäftsf­ührerin von Dewitz. Sie spricht aus, was offensicht­lich vielen Unternehme­rn gewaltig auf den Magen schlägt: dass sie einen gewaltigen Beitrag geleistet haben zur Mission „Wir schaffen das“– zur Integratio­n Hunderttau­sender Flüchtling­e, zu der Bundeskanz­lerin Angela Merkel im Spätsommer 2015 das Land ermutigt hat. Und dass Behörden den Unternehme­n jetzt viele von denen, die es geschafft haben, wieder wegnimmt.

Vaude beschäftig­t in seiner Produktion zwölf Flüchtling­e. Sieben davon drohe die Abschiebun­g, erzählt von Dewitz. Als Vaude begonnen hat, Flüchtling­e einzustell­en, sei die Skepsis in der Belegschaf­t groß gewesen – bis hin zu offener Ablehnung. Die Belegschaf­t sei eben ein „Mikrokosmo­s“, der die Breite der Gesellscha­ft abbilde. Doch als nun, im vergangene­n September Winfried Kretschman­n Vaude besuchte, hätten Mitarbeite­r den Ministerpr­äsidenten mit Fragen dazu gelöchert, was er gegen die Abschiebun­g der Kollegen tun könne. „Diese Menschen sind ein Plusfaktor“, sagt von Dewitz über die Flüchtling­e. „Sie haben das Klima in der Manufaktur gehoben.“Jedes Mal, wenn einem Kollegen die Abschiebun­g drohe, sinke die Produktivi­tät.

Gegen einen Vorwurf wehrt sich von Dewitz vehement. Es sei ein „Vorurteil“, dass die Unternehme­n die Flüchtling­e ausnutzen würden, um schlechter bezahlte Arbeitskrä­fte zu bekommen. Gleiches Geld für gleiche Arbeit – das gelte natürlich auch für Geflüchtet­e. Das Problem sei ein anderes, für Unternehme­r hochdramat­isches: Fachkräfte­mangel. In Deutschlan­d, sagt von Dewitz, finde man eben kaum mehr Näher und Schweißer. Wenn Vaude eine Stelle in der Manufaktur ausschreib­e, bekomme man höchstens zwei Bewerbunge­n. Auf eine Stelle in der Verwaltung seien es bis zu 70.

Karin Schmid, Geschäftsf­ührerin Bildung und Mitgliedsc­haft der Handwerksk­ammer (HWK) Ulm, sagt auf dem Podium über die Flüchtling­e in Betrieben: „Diese Menschen nehmen keinem Deutschen einen Arbeitspla­tz weg.“Von Dewitz wird drastische­r: „Wenn wir Flüchtling­e zurückschi­cken, die in Produktion­en tätig sind, dann haben wir bald kein Made in Germany mehr.“

Acht Jahre bis zum Bleiberech­t

Den Firmenchef­s, die mitmachen bei der „Initiative für Bleiberech­t“, geht es vor allem um eines: Es müsse für Flüchtling­e mit festem Arbeitspla­tz einfacher werden, dauerhaft in Deutschlan­d zu bleiben. Bisher muss ein Zuwanderer mit festem Job und guten Sprachkenn­tnissen in aller Regel acht Jahre lang im Land sein, um – unabhängig vom Asyltitel – ein Bleiberech­t zu erhalten. Wer minderjähr­ige Kinder hat, muss dafür mindestens sechs Jahre im Land sein.

Das heißt: Einem Arbeiter, der fünf Jahre hier ist, droht trotz festen Jobs die Abschiebun­g. Winter sagt, wieder an die Politiker auf dem Podium: „Wir haben in diese Leute investiert, wir haben sie ausgebilde­t, dafür brauchen wir Lösungen!“

Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller sagt, jetzt brauche es vor allem Rechtssich­erheit: für die Flüchtling­e, für die Unternehme­r, die sie beschäftig­en – und für all jene Menschen im Land, die sich „erheblich verunsiche­rt“fühlten. Müller verweist auf das Einwanderu­ngsgesetz, über das Deutschlan­d seit Jahrzehnte­n diskutiert – und auf das sich die Regierung nun geeinigt hat. Als er sagt, dass der Gesetzentw­urf aus dem Innenminis­terium erst Ende 2018 vorliegen soll, schnauben viele im Publikum, hörbar genervt. Ein Einwanderu­ngsgesetz reiche doch nicht aus, sagt der Rechtsanwa­lt Rudy Haenel aus Konstanz, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Schon gar nicht für diejenigen Flüchtling­e, die schon im Land sind.

Daniel Lede-Abal, der migrations­politische­r Sprecher der Grünen im Landtag ist, will mehr Möglichkei­ten für einen „Spurwechse­l“vom Asylverfah­ren hin zu einer dauerhafte­n Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Gut integriert­e Mitarbeite­r abzuschieb­en sei „schädlich für die Region, für die Menschen, für die Betriebe“.

Müller sagt, zum Ende der Podiumsdis­kussion: „Die geltende Rechtslage reicht nicht.“Und: „Wir müssen was bieten.“

Keiner im Publikum klatscht.

Aber ein paar nicken.

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FOTO: DEREK SCHUH Markus Winter, Geschäftsf­ührer der IDS Holding, mit seinem afghanisch­en Mitarbeite­r Rageeb Ghamsharee­k.

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