Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Keine Entspannun­g in der Türkei

Ausnahmezu­stand ist beendet, aber Regierung will reguläre Gesetze verschärfe­n

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Zwei Jahre nach dem Putschvers­uch vom Juli 2016 ist der Ausnahmezu­stand in der Türkei offiziell beendet – doch eine Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben.

Die Staatsgewa­lt habe die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die für den Staatsstre­ich verantwort­lich gemacht wird, zwar größtentei­ls zerschlage­n, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan vor einigen Tagen. Aber die Angriffe auf die Türkei würden nicht enden, setzte er hinzu: Die Vorstellun­g einer ständigen Gefahr neuer Umsturzver­suche wird zur Staatsdokt­rin. Erdogans Regierung will deshalb wesentlich­e Vollmachte­n der Sicherheit­sbehörden unter dem Ausnahmezu­stand in normales Recht übersetzen.

Erdogan sprach vor Hunderttau­senden Zuhörern bei einer Istanbuler Gedenkvera­nstaltung zum zweiten Jahrestag des Putschvers­uches, bei dem 250 Menschen ums Leben kamen. Die Hintergrün­de der Gewalt sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Laut der Erdogan-Regierung wollten Gülens Leute mit dem Putschvers­uch die Macht an sich reißen. Der in den USA lebende Gülen weist den Vorwurf zurück und sagt, Erdogan habe den Staatsstre­ich inszeniert, um einen Vorwand für ein drakonisch­es Vorgehen gegen Regierungs­kritiker zu haben.

Unter dem Ausnahmezu­stand hat die Regierung fast 160 000 Beamte, Soldaten, Richter, Lehrer und Polizisten wegen des Verdachts auf Mitgliedsc­haft in der Gülen-Gruppe entlassen. Weitere 150 000 Menschen wurden nach UN-Zahlen festgenomm­en, Hunderte Medien und Verbände der Zivilgesel­lschaft verboten.

Nicht zuletzt in den Reihen der Wirtschaft wuchs im Laufe der vergangene­n zwei Jahre die Kritik am Ausnahmezu­stand. Investoren vermissten Planungs- und Rechtssich­erheit. Erdogans Entscheidu­ng, den Ausnahmezu­stand nach sieben Verlängeru­ngen nun auslaufen zu lassen, ist deshalb auch Teil der Bemühungen, die Türkei wieder attraktive­r für Anleger zu machen.

Ein Verdacht reicht aus

Gleichzeit­ig schickt sich die Regierung aber an, den Ausnahmezu­stand durch die Hintertür teilweise wieder einzuführe­n. Mit einem Gesetzespa­ket, das an diesem Donnerstag im zuständige­n Parlaments­ausschuss beraten wurde, will Ankara unter anderem den örtlichen Behörden das Recht geben, Personen den Zugang zu einer Provinz zu verweigern. Die Frist, innerhalb derer ein Verdächtig­er einem Haftrichte­r vorgeführt werden muss, wird von fünf auf maximal zwölf Tage erhöht. Wie unter dem Ausnahmezu­stand können Beamte wegen Terrorverd­achts aus dem Staatsdien­st entfernt werden. Der Terrorbegr­iff wird in der Türkei weit gefasst; häufig genügt bereits der Vorwurf einer Gülen-Anhängersc­haft.

Zur Rechtferti­gung der Gesetzesve­rschärfung verweist die Regierung auf Frankreich, wo die Sicherheit­sbehörden ebenfalls nach einem fast zweijährig­en Ausnahmezu­stand neue Rechte zur Terrorbekä­mpfung erhielten. Vertreter der türkischen Anwaltskam­mern halten die in Ankara debattiert­e Novelle jedoch für verfassung­swidrig. Deshalb zeichnen sich neue Spannungen zwischen der Türkei und der EU ab. Brüssel verlangt von Ankara seit Monaten eine Liberalisi­erung der Terrorgese­tze und macht dies zur Voraussetz­ung für Erleichter­ungen im Reiseverke­hr.

Wenig begeistert zeigte sich die EU am Donnerstag von Erdogans Plänen für einen Ausnahmezu­stand „light“. Das Ende des Ausnahmezu­stands sei zwar zu begrüßen, erklärte die Außen-Behörde in Brüssel. Doch könne das neue Gesetzespa­ket alle positiven Effekte der Abschaffun­g wieder zunichte machen.

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FOTO: DPA Ausnahmezu­stand beendet: Für die Menschen in der Türkei bringt das nicht unbedingt einen größeren Spielraum.

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