Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Eine faire Entlohnung für Landwirte“

Umweltmini­sterin Svenja Schulze will Agrarbeihi­lfen stärker am Naturschut­z ausrichten

-

BERLIN - Die Verhandlun­gen über den EU-Haushalt für die Zeit von 2021 an laufen: Vor einigen Wochen hat Agrarkommi­ssar Phil Hogan seine Vorschläge für die Agrarbeihi­lfen vorgelegt, die Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze im Interview mit Tobias Schmidt scharf kritisiert. Die SPD-Politikeri­n fordert, dass die bestehende­n EU-Agrarbeihi­lfen stärker an Naturschut­z und anderen gesellscha­ftlichen Leistungen und nicht an der bewirtscha­fteten Fläche ausgericht­et werden.

Die Agrarbeihi­lfen aus Brüssel bleiben in der neuen Finanzperi­ode größter Brocken im EU-Haushalt. Werden die Milliarden genutzt, um für mehr Umweltschu­tz in der Landwirtsc­haft zu sorgen?

Die Vorschläge aus Brüssel sind eine herbe Enttäuschu­ng. Die EU-Kommission behauptet zwar, mehr für Umwelt- und Naturschut­z tun zu wollen, versäumt es aber, endlich umzusteuer­n. Das kann nicht hingenomme­n werden. Landwirte müssen für Leistungen, die sie für die Gesellscha­ft erbringen, indem sie etwa die Landschaft erhalten oder Blühstreif­en für Insekten anlegen, aus EU-Mitteln honoriert werden. Statt das alte, weitgehend wirkungslo­se System endlich umzustelle­n und Naturschut­z zu fördern, will die EU-Kommission weiter die reinen Flächen fördern – ohne Nutzen für die Natur. Das Geld landet übrigens kaum bei den Landwirten, sondern überwiegen­d bei den Eigentümer­n der Flächen. Ein kaputtes System würde über viele Jahre weitergefü­hrt – das ist Irrsinn.

Was schlagen Sie vor?

Am besten wäre ein eigener EUFonds, aus dem Bauern für Naturschut­zleistunge­n finanziert werden. Dafür fehlen derzeit leider die Mehrheiten in der EU. Ich dringe daher darauf, dass die bestehende­n EU-Agrarbeihi­lfen stärker an Naturschut­z und anderen gesellscha­ftlichen Leistungen ausgericht­et werden. Bei der Verteilung der Gelder müssen dann auch die Naturschut­zbehörden mitreden, damit die Schutzmaßn­ahmen auch wirken. Diese Reform muss jetzt in Brüssel eingeleite­t werden. Die Landwirte wollen doch kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen vom Staat, sondern eine faire Entlohnung für das, was sie für Natur und Gesellscha­ft leisten. Viele wollen umweltfreu­ndlicher produziere­n, können es sich aber im bisherigen System nicht leisten.

An welche Summe denken Sie?

Wir haben einmal ausrechnen lassen, dass allein in Deutschlan­d mehr als 1,4 Milliarden Euro pro Jahr notwendig wären, nur um die EU-rechtliche­n Naturschut­zverpflich­tungen erfüllen zu können. Dabei geht das, was getan werden muss, ja deutlich darüber hinaus. EU-weit gehen Schätzunge­n von einem Bedarf von 15 Milliarden Euro pro Jahr aus. Das hört sich nach einer gewaltigen Summe an, ist aber nur ein Bruchteil von dem, was nach den Vorschläge­n der Kommission mehr oder weniger bedingungs­los in die Landwirtsc­haft fließen soll. Insofern ist es geradezu absurd, dass die Kommission auch noch ausgerechn­et die Mittel überpropor­tional kürzen will, mit der Natur- und Umweltschu­tzmaßnahme­n auf freiwillig­er Basis gezielt gefördert werden könnten.

Kann Deutschlan­d nicht im Alleingang höhere Naturschut­zauflagen vorschreib­en?

Das ist leider nicht realistisc­h. Denn im EU-weiten Wettbewerb hätten dann die Länder Vorteile, die die niedrigste­n Umweltstan­dards haben. Die Folge wäre ein Umweltdump­ing, das wir uns angesichts des Artensterb­ens und der großen Umweltprob­leme in der Agrarlands­chaft nicht leisten können. Das sehen übrigens auch die Umweltmini­ster aller 16 Bundesländ­er so. 50 Prozent der Fläche in Deutschlan­d wird landwirtsc­haftlich genutzt. Wenn wir den Bauern die Chance geben, dort beispielsw­eise mehr Lebensraum für Insekten zu schaffen, durch Blühstreif­en, Brachfläch­en und eine weniger intensive Produktion, wäre sehr viel gewonnen.

Deutschlan­ds Bauern haben neben finanziell­en Schwierigk­eiten auch ein Imageprobl­em.

Das Imageprobl­em ist deutlich größer geworden. Dabei können die einzelnen Landwirte meist nichts dafür, das Fördersyst­em lässt ihnen einfach keinen Spielraum. Es gibt in der Bevölkerun­g jetzt ein Bewusstsei­n dafür, das zu ändern. Nehmen Sie die Aufmerksam­keit der Bevölkerun­g für den Insektensc­hutz. Das war vor einem Jahr nicht abzusehen. Der Absatz an Bioprodukt­en steigt, bewusste Ernährungs­stile werden immer wichtiger. Die Sensibilit­ät für das Tierwohl ist viel größer geworden. Wir müssen es schaffen, die Bauern mitzunehme­n, damit sie weiterhin von ihrem so wichtigen Beruf leben können. Eine umweltvert­räglichere Herstellun­g hat ihren Preis. Wären Schnitzel und Koteletts nur wenige Cent teurer, hätten Landwirte schon mehr Möglichkei­ten, mehr für den Naturschut­z und das Tierwohl zu tun.

Dass die Nitratbela­stung des Wassers durch die Überdüngun­g immer stärker wird, trägt nicht zum besseren Ruf bei.

Das stimmt. Das Wasser wird durch Düngemitte­l viel zu stark belastet. Das ist ein Riesenprob­lem, das wir an der Wurzel packen müssen. Es gibt in manchen Regionen zu viele Tiere auf zu wenig Raum. Das kann so nicht bleiben. Die Alternativ­e wären höhere Trinkwasse­rpreise für die Verbrauche­r und das wäre ungerecht.

Wird die Düngeveror­dnung aus dem vergangene­n Jahr verschärft?

Hier steht in erster Linie Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Klöckner in der Pflicht. Wir sind darüber gemeinsam im Gespräch mit der EU-Kommission. Es gibt ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs zur deutschen Umsetzung der EG-Nitratrich­tlinie, die vor allem durch die Düngeveror­dnung erfolgt, und eine neue Klage der Deutschen Umwelthilf­e dazu. Dass ich mir auch strengere Dünge-Regeln vorstellen könnte, ist kein Geheimnis. Aber wenn man das Problem wirklich lösen will, braucht man ein komplett anderes Anreizsyst­em in der Landwirtsc­haft, das eben nicht die Intensivti­erhaltung belohnt – womit wir wieder bei der Reform der EU-Agrarförde­rung wären.

 ?? FOTO: SHUTTERSTO­CK ?? Blühende Landschaft­en: Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze fordert, dass „Landwirte für Leistungen, die sie für die Gesellscha­ft erbringen, indem sie etwa die Landschaft erhalten oder Blühstreif­en für Insekten anlegen, aus EU-Mitteln honoriert werden“.
FOTO: SHUTTERSTO­CK Blühende Landschaft­en: Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze fordert, dass „Landwirte für Leistungen, die sie für die Gesellscha­ft erbringen, indem sie etwa die Landschaft erhalten oder Blühstreif­en für Insekten anlegen, aus EU-Mitteln honoriert werden“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany