Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Vom Missbrauch der Macht
Bregenzer Festspiele mit der Oper „Beatrice Cenci“eröffnet
BREGENZ - Eine Rarität wurde begeistert aufgenommen: Das Publikum der Eröffnungspremiere der Bregenzer Festspiele feierte Berthold Goldschmitds Oper „Beatrice Cenci“. Der 1935 ins Exil vertriebene Komponist greift darin einen historischen Fall auf, der sich vor mehr als 400 Jahren in Rom ereignet hat: Die 22-jährige Patriziertochter Beatrice Cenci wird wegen Anstiftung zum Mord an ihrem gewalttätigen Vater Francesco enthauptet, ebenso ihre Stiefmutter Lucrezia, Bruder Giacomo gefoltert und hingerichtet. Johannes Erath hat Goldschmidts Dreiakter inszeniert.
Literarisch ist die Geschichte oft gestaltet worden. Martin Esslins Libretto für Goldschmidts Vertonung basiert auf Percy Bysshe Shelleys Versdrama „The Cenci“(1819) und stellt Francescos Inzest als Motiv für den Vatermord in den Vordergrund. Auf einem Fest feiert der grausamfröhliche Renaissance-Graf die von ihm eingefädelte Ermordung zweier Söhne, die seinem Schreckensregiment entkommen wollten. Als Lucrezia, Beatrice und deren jüngerer Bruder Bernardo protestieren, sperrt er sie ein und vergewaltigt die Tochter.
Beistand verspricht sich Beatrice vom jungen Prälaten Orsino, aber auf die korrupte Kirche ist kein Verlass. Orsino schlägt hinterhältig vor, Francesco von zwei Killern umbringen zu lassen. Der Plan gelingt, doch die Leiche wird entdeckt. Die unter Mordverdacht verhafteten Frauen gestehen unter Folter. Zur Hinrichtung erklingt von fern ergreifende Requiem-Musik.
Beklemmende Bilder
Johannes Erath hat diese Vorgänge in Bregenz beklemmend inszeniert, aber auch Aspekte der Biografie des deutsch-britischen Komponisten, der seine Heimat als Jude 1935 verlassen musste, in Andeutungen einbezogen. Erschütternde Bilder für individuelle Seelenbrüche von Missbrauchsopfern sind geschickt überblendet mit Hinweisen auf Terror, Kulturbruch und kollektive Gewalt im faschistischen Deutschland. Klug werden so die Folgen von Machtmissbrauch im persönlichen und im politischen Bereich ohne aufdringliche Zaunpfahldidaktik zusammengeführt.
Goldschmidts vielversprechende Laufbahn wurde nach 1933 abrupt abgewürgt. Der 1903 in Hamburg geborene Kaufmannssohn hat in Berlin Dirigieren und bei Franz Schreker Komposition studiert. In England, wohin er vor den Nazis floh, musste er von vorn anfangen, konnte aber an frühere Erfolge nicht anknüpfen. Nach dem Krieg verstummte er als Komponist für Jahrzehnte. Seine 1950 fertiggestellte Oper „Beatrice Cenci“wurde erst 1988 in London konzertant und 1994 am Magdeburger Theater szenisch uraufgeführt. Zwei Jahre später starb Goldschmidt in London.
Katrin Connan (Bühne) verortet die Schutzlosigkeit der Opfer in einem schwarzenTunnel. Die Beleuchtung (Bernd Purkrabek) lässt eine alptraumhafte Atmosphäre entstehen, mit der die fantastisch zwischen Renaissance und heute changierenden Kostüme (Katharina Tasch) surreal kontrastieren.
Fotos vom Vatikan verweisen auf die Verstrickung der Kirche mit der Hitler-Diktatur. Fragmentarisch ins Bild gerückte Seelenräume entfalten den Plot wie in therapeutischen Sitzungen Gal James als Beatrice, Dshamilja Kaiser als Lucrezia und Christina Bock als Bernardo singen ergreifend von ihrer Ohnmacht. Christoph Pohl verkörpert Francesco vokal und darstellerisch als durchgeknallten Möchtegern-Nero.
Auch Michael Laurenz (Orsino) und der Prager Philharmonische Chor sorgen für belcantistischen Glanz. Goldschmidt hat das Grauen nicht in plumper Analogie komponiert, sondern mit verfärbter tonaler Harmonik, periodischen Formen und lyrischen Kantilenen um so schreiender akustisch artikuliert. Johannes Debus animiert die Wiener Symphoniker zu ausdrucksstarkem Spiel. Als Beatrice und Lucrezia zur Richtstätte geführt werden, stehen sich Sympathisanten für die Opfer und Schaulustige unversöhnt gegenüber.