Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Zu gut vermarktet
Warum Bayerns Bosse Jérôme Boateng mit einer selten erlebten Vehemenz anbieten
MÜNCHEN (SID) - Donnerstag am Tegernsee. Jérôme Boateng, so viel ist sicher, gehört noch dem Kader von Bayern München an. Auch etwa 2000 Zuschauer sehen, wie der Nationalspieler den Sportplatz des FC Rottach-Egern e. V. betritt. Boateng plaudert mit Franck Ribéry und Renato Sanches, dann beginnt das Training. Business as usual.
Der Schein aber trügt. Aus Paris ist zu hören, dass sich Antero Henrique mit Christian Nerlinger treffen will. Henrique ist der Sportdirektor von Paris St. Germain, Nerlinger der Berater von Boateng. Nach Informationen der „Bild“haben beide derzeit bereits Verhandlungen darüber begonnen, zu welchen Konditionen der Weltmeister von 2014 zu Trainer Thomas Tuchel wechseln könnte.
Boateng hat beim FC Bayern noch einen Vertrag bis 2021, dürfte jedoch gehen, wenn die Ablösesumme so um die 50 Millionen Euro läge. Darüber hinaus soll der Nationalspieler ein Gehalt von 15 Millionen Euro für angemessen halten. Manchester United war das wohl zu viel, außerdem wolle Boateng sowieso nicht zu José Mourinho, sondern zu einem Club, der die Champions League gewinnen kann. Deswegen habe er selbst abgesagt.
Kein Geheimnis ist, dass der neue Trainer Niko Kovac („Meines Wissens gibt es nichts Neues. Ich würde mir auch wünschen, dass es weiter nichts Neues geben wird.“) sowie weite Teile der Mannschaft Boateng nur ungern verlieren wollen. „Er ist wichtig für die Mannschaft“, so Routinier Arjen Robben, der betonte, es sei „ganz wichtig“, dass der FC Bayern außer Arturo Vidal noch keinen Spieler abgegeben habe. Der jetzige Kader sei „komplett“, habe „sehr viel Qualität“und müsse „zusammenbleiben, dann kann man erfolgreich sein“.
Vermarktung als Dorn im Auge
Grundsätzlich mag also verwundern, dass Boateng überhaupt zum Verkauf steht. Allerdings gilt Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge nicht gerade als der beste Freund des bald 30-Jährigen, stellte den Verteidiger mit selten gesehener Vehemenz immer wieder prominent ins Schaufenster. Schon nach der Saison 2016/ 17 hätten die Bosse Boateng bei einem lukrativen Angebot wohl ziehen lassen. Und auch Präsident Uli Hoe- neß hat wohl nichts mehr gegen einen Verkauf. Ein Grund könnte auch die Verletzungsanfälligkeit sein: In den vergangenen drei Jahren hat Boateng in der Bundesliga 43 Spiele aufgrund von gesundheitlichen Problemen oder Verletzungen verpasst.
Doch gibt es wohl noch einen größeren Kritikpunkt. Vielmehr missfallen den Entscheidern die Aktivitäten abeits des Platzes – der extravagante Kleidungsstil, die ausufernde Selbstvermarktung samt Rap-Song und eigener Brillenkollektion. Bereits im Herbst 2016 pickte sich Rummenigge nach einer Champions-League-Niederlage Boateng heraus, sagte: „Jérôme muss mal wieder etwas zur Ruhe kommen. Das ist mir schon seit Sommer etwas zu viel. Es wäre in seinem Sinne und in dem des Clubs, wenn er mal wieder ,back to earth’ kommen würde.“Vor dem Abflug zur kürzlich zu Ende gegangenen USA-Reise betonte der Vorstandsboss Rummenigge in der „tz“, Boateng habe ja zwei Berater. Zum einen Ex-Bayern-Sportchef Nerlinger – zum anderen US-Rapper Jay-Z. Eigentümer der Sportagentur „Roc Nation Sport“, die auch Boateng betreut. Vermarktungstechnisch in neue Sphären, das ist das erklärte Ziel Boatengs und eben auch ein ständiger Dorn im Auge der Bosse.
Paris muss noch Spieler verkaufen
Kein Wunder also, dass sich auch Hasan Salihamidzic jüngst nach dem lockeren Testspiel des FC Bayern gegen den FC Rottach-Egern (20:2) recht schmallippig gab. „Darüber rede ich nicht“, sagte der Sportdirektor, wenn es etwas mitzuteilen gebe, dann werde er es schon mitteilen. Boateng fehlte beim munteren Kick, er habe, mutmaßte Salihamidzic, wohl leichte Beschwerden an der Patellasehne. Am Donnerstag war davon nichts zu sehen.
Einem Wechsel zu Thomas Tuchel steht einstweilen unter anderem das Transfergebaren von Paris St. Germain im Wege. Bis zum Ende der Wechselfrist am 31. August muss der Club 100 Millionen Euro mehr bei Transfers eingenommen haben als ausgegeben. Bisher hat PSG durch die Abgänge erst 73 Millionen Euro eingenommen. Die Verhandlungen über einen Wechsel könnten sich also noch etwas ziehen. Sicher ist allerdings: Für Boateng wäre Paris die erste Adresse. Falls er geht.