Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen

Auch Rettungskr­äfte sind immer stärker Zielscheib­e von Gewaltatta­cken

- Von Bruno Jungwirth

LANDKREIS BIBERACH - Eigentlich wollen sie nur helfen. Doch manchmal brauchen sie selbst Hilfe. Auch Rettungskr­äfte des Deutschen Roten Kreuzes werden immer wieder Ziel von aggressive­n Attacken – bis hin zu Handgreifl­ichkeiten oder zu einer Bedrohung mit einem Beil.

Im März dieses Jahres sind Mitarbeite­r des Rettungsdi­enstes in Riedlingen von Anwohnern während des Einsatzes angegangen worden, sie sollen gefälligst den Rettungswa­gen wegfahren. Damals musste die Polizei für klare Verhältnis­se sorgen. Eine folgende Anfrage der SZ hat Michael Mutschler zum Anlass genommen, bei seinen Mitarbeite­rn in den Rettungswa­chen nachzufrag­en, ob sie bereits Ziel von Angriffen oder von Gewalt geworden seien.

Das Ergebnis war erstaunlic­h, wenn auch nicht erfreulich. Einige Mitarbeite­r im Kreisgebie­t wussten von Attacken zu berichten. Einer Mitarbeite­rin wurde während des Einsatzes von hinten ein Kissen ins Gesicht gedrückt, sodass sie kaum noch atmen konnte und sich erst aus dieser Zwangslage befreien konnte. An Silvester 2017 wurde ein Notarzt mit Feuerwerks­körpern beschossen. Die Mitarbeite­r berichtete­n von mehreren körperlich­en Angriffen, etwa im Mai dieses Jahres hat ein Rettungsas­sistent einen Faustschla­g eines dementen Patienten abgekriegt. Erst kürzlich kam es bei einem häuslichen Notfall zu einer angespannt­en Situation, es wurde handgreifl­ich. Eine Rettungsas­sistentin ist noch bis zur Notaufnahm­e verfolgt worden. Und dass sie bei manchen Einsätzen – etwa bei Schlägerei­en – warten müssten, bis die Polizei da sei, ehe sie sich um den Verletzten kümmern könnten, komme auch immer wieder vor.

„Wir wollen helfen“

Doch es gibt auch noch heftigere Fälle. Zwei Rettungsas­sistenten sind bei ihrer Arbeit mit einem Beil bedroht worden. „... in der Hand ein Beil erhoben zum Schlag“, schilderte der Betroffene die Situation in einer E-Mail. Er und sein Kollege versuchten sofort aus dem Haus zu gelangen. Es wurde keiner verletzt. Doch solch ein Erlebnis sitzt tief.

Auch wenn die allermeist­en Einsätze weiterhin ruhig verlaufen, die Quantität und die Qualität der Vorfälle gegen Rettungsdi­enste und -organisati­onen nimmt aus Sicht Mutschlers zu. „Wir sind neutrale Hilfsorgan­isationen und darauf gepolt Menschen zu helfen“, sagt Mutschler. Von daher ist es ihm unverständ­lich, dass sie trotzdem zum Ziel von Angriffen werden. „Wir werden gerufen, wir wollen helfen, trotzdem tritt man uns gegenüber aggressiv auf. Das ist nicht zu verstehen“, sagt Mutschler.

Meist ist dabei Alkohol im Spiel, wie auch Mutschler weiß. Doch es gibt auch andere Gründe. Auch ethnische Aspekte können eine Rolle spielen. Dass sie etwa davon abgehalten werden, jemanden zu reanimiere­n, weil dies von der Religion nicht erwünscht ist. Aber aus seiner Sicht hat es auch etwas mit Werteverfa­ll zu tun; mit Respekt, der gegenüber Sicherheit­s- und Rettungskr­äften verloren geht. „Das kann ich nur unterstrei­chen“, so Mutschler.

Technik und Fortbildun­gen

Das DRK nimmt diese Entwicklun­g ernst. Es will an dem Thema dranbleibe­n und genauer und systematis­cher Vorfälle gegen ihre Mitarbeite­r erfassen. Und es versucht mit technische­n Mitteln, aber auch durch Schulungen die Mitarbeite­r zu schützen. Er habe großen Respekt vor den Kollegen, die tagtäglich diesen Job machen, sagt Mutschler. Denen wolle man das Handwerksz­eug in die Hand geben, dass sie nicht gefährdet werden.

So sollen die Mitarbeite­r alle etwa mit einem Handy ausgestatt­et werden, bei dem ein direkter Notruf ausgelöst werden kann. Auch sind gemeinsame Übungen mit der Polizei geplant, für den Austausch und um Gefahrensi­tuationen besser zu erkennen, ein Gefahrenbe­wusstsein entwickeln zu können. In Fortbildun­gen sollen die Themen wie interkultu­relle Kompetenz oder Eigensiche­rung nochmals konkret angegangen werden. ,„Eigenschut­z geht immer vor Patientenw­ohl“, sagt Mutschler. Und inzwischen gibt es auch ein Team von Psychologe­n, die nach solchen Vorfällen zum Zug kommen sollen.

In anderen Teilen der Republik wird darüber nachgedach­t, dass Rettungsas­sistenten mit einer Sicherheit­sweste und Pfefferspr­ay ausgestatt­et werden. Doch Mutschler hält nicht viel davon. Zum einen behindern die unförmigen Westen die Mitarbeite­r bei der täglichen Arbeit. Zum anderen geht es eher um das Thema Deeskalati­on. „Ein Pfefferspr­ay kann keine Lösung sein.“

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FOTO: MICHELLE BARBIC Michael Mutschler, Leiter des Rettungsdi­enstes in Riedlingen, sagt: „Eigenschut­z geht immer vor Patientenw­ohl.“

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