Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen
Auch Rettungskräfte sind immer stärker Zielscheibe von Gewaltattacken
LANDKREIS BIBERACH - Eigentlich wollen sie nur helfen. Doch manchmal brauchen sie selbst Hilfe. Auch Rettungskräfte des Deutschen Roten Kreuzes werden immer wieder Ziel von aggressiven Attacken – bis hin zu Handgreiflichkeiten oder zu einer Bedrohung mit einem Beil.
Im März dieses Jahres sind Mitarbeiter des Rettungsdienstes in Riedlingen von Anwohnern während des Einsatzes angegangen worden, sie sollen gefälligst den Rettungswagen wegfahren. Damals musste die Polizei für klare Verhältnisse sorgen. Eine folgende Anfrage der SZ hat Michael Mutschler zum Anlass genommen, bei seinen Mitarbeitern in den Rettungswachen nachzufragen, ob sie bereits Ziel von Angriffen oder von Gewalt geworden seien.
Das Ergebnis war erstaunlich, wenn auch nicht erfreulich. Einige Mitarbeiter im Kreisgebiet wussten von Attacken zu berichten. Einer Mitarbeiterin wurde während des Einsatzes von hinten ein Kissen ins Gesicht gedrückt, sodass sie kaum noch atmen konnte und sich erst aus dieser Zwangslage befreien konnte. An Silvester 2017 wurde ein Notarzt mit Feuerwerkskörpern beschossen. Die Mitarbeiter berichteten von mehreren körperlichen Angriffen, etwa im Mai dieses Jahres hat ein Rettungsassistent einen Faustschlag eines dementen Patienten abgekriegt. Erst kürzlich kam es bei einem häuslichen Notfall zu einer angespannten Situation, es wurde handgreiflich. Eine Rettungsassistentin ist noch bis zur Notaufnahme verfolgt worden. Und dass sie bei manchen Einsätzen – etwa bei Schlägereien – warten müssten, bis die Polizei da sei, ehe sie sich um den Verletzten kümmern könnten, komme auch immer wieder vor.
„Wir wollen helfen“
Doch es gibt auch noch heftigere Fälle. Zwei Rettungsassistenten sind bei ihrer Arbeit mit einem Beil bedroht worden. „... in der Hand ein Beil erhoben zum Schlag“, schilderte der Betroffene die Situation in einer E-Mail. Er und sein Kollege versuchten sofort aus dem Haus zu gelangen. Es wurde keiner verletzt. Doch solch ein Erlebnis sitzt tief.
Auch wenn die allermeisten Einsätze weiterhin ruhig verlaufen, die Quantität und die Qualität der Vorfälle gegen Rettungsdienste und -organisationen nimmt aus Sicht Mutschlers zu. „Wir sind neutrale Hilfsorganisationen und darauf gepolt Menschen zu helfen“, sagt Mutschler. Von daher ist es ihm unverständlich, dass sie trotzdem zum Ziel von Angriffen werden. „Wir werden gerufen, wir wollen helfen, trotzdem tritt man uns gegenüber aggressiv auf. Das ist nicht zu verstehen“, sagt Mutschler.
Meist ist dabei Alkohol im Spiel, wie auch Mutschler weiß. Doch es gibt auch andere Gründe. Auch ethnische Aspekte können eine Rolle spielen. Dass sie etwa davon abgehalten werden, jemanden zu reanimieren, weil dies von der Religion nicht erwünscht ist. Aber aus seiner Sicht hat es auch etwas mit Werteverfall zu tun; mit Respekt, der gegenüber Sicherheits- und Rettungskräften verloren geht. „Das kann ich nur unterstreichen“, so Mutschler.
Technik und Fortbildungen
Das DRK nimmt diese Entwicklung ernst. Es will an dem Thema dranbleiben und genauer und systematischer Vorfälle gegen ihre Mitarbeiter erfassen. Und es versucht mit technischen Mitteln, aber auch durch Schulungen die Mitarbeiter zu schützen. Er habe großen Respekt vor den Kollegen, die tagtäglich diesen Job machen, sagt Mutschler. Denen wolle man das Handwerkszeug in die Hand geben, dass sie nicht gefährdet werden.
So sollen die Mitarbeiter alle etwa mit einem Handy ausgestattet werden, bei dem ein direkter Notruf ausgelöst werden kann. Auch sind gemeinsame Übungen mit der Polizei geplant, für den Austausch und um Gefahrensituationen besser zu erkennen, ein Gefahrenbewusstsein entwickeln zu können. In Fortbildungen sollen die Themen wie interkulturelle Kompetenz oder Eigensicherung nochmals konkret angegangen werden. ,„Eigenschutz geht immer vor Patientenwohl“, sagt Mutschler. Und inzwischen gibt es auch ein Team von Psychologen, die nach solchen Vorfällen zum Zug kommen sollen.
In anderen Teilen der Republik wird darüber nachgedacht, dass Rettungsassistenten mit einer Sicherheitsweste und Pfefferspray ausgestattet werden. Doch Mutschler hält nicht viel davon. Zum einen behindern die unförmigen Westen die Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit. Zum anderen geht es eher um das Thema Deeskalation. „Ein Pfefferspray kann keine Lösung sein.“