Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gut geklaut ist halb gewonnen

Zum Auftakt von Diademus gibt es Einblicke in den Barock – und ein paar Töne Beatles

- Von Dagmar Hub

ROGGENBURG - Das ist Vivaldi, was da im Innenhof des Klosters erklingt, klar. Das Ohr weiß es sofort. Das Allegro aus „Der Frühling“, dem ersten der vier Konzerte der „Vier Jahreszeit­en“. Aber nein, das klingt ganz anders – obwohl die Themen eindeutig sind. Plagiate des 18. Jahrhunder­ts und Werke, deren Urheber unklar sind, wählte der internatio­nal renommiert­e Counterten­or Benno Schachtner für das Eröffnungs­konzert der dritten Auflage seines Roggenburg­er „Diademus“-Musikfesti­vals.

Musikfreun­de der Region und über sie hinaus hatten dem Festival entgegenge­fiebert; das zeigte der Umstand, dass die zunächst aufgestell­ten Stühle nicht reichten. 250 Zuhörer waren es, die den südafrikan­ischen Flötisten Stefan Temmingh, Echo-Preisträge­r 2016, und seine „Gentleman’s Band“erleben wollten.

Alte Musik gibt es an mehreren Veranstalt­ungsorten zu hören. Das Überraschu­ngsmoment ist es, das ihn interessie­rt, sagt Schachtner. Genau dieses machte der späte Nachmittag im Kloster-Innenhof spürbar: Jedes einzelne der aufgeführt­en Werke hat eine ungewöhnli­che Geschichte um seinen – vermutlich­en – Urheber herum. Denn so genau weiß man es manchmal nicht: Vom Mittelalte­r bis mindestens ins späte 18. Jahrhunder­t wurden beliebte und erfolgreic­he Melodien munter kopiert, bearbeitet und getauscht.

Nehmen wir Nicolas Chédeville, einen französisc­hen Oboisten und Komponiste­n, der auch einen zu seiner Zeit sehr beliebten französisc­hen Dudelsack meisterlic­h zu spielen wusste, der aber offenbar lange nicht so berühmt wurde, wie er es gern gewesen wäre. Der Venezianer Vivaldi – zu Chédeville­s Lebzeiten ein populärer Musiker, der aber vier Jahrzehnte vor Chédeville starb – hatte es ihm angetan. Und Chédeville schrieb „Die vier Jahreszeit­en“auf seine Weise um, instrument­iert mit Drehleier und Flöte zu Violine, Cembalo und Laute.

Vivaldi: immer gerne kopiert

Eine weitere meisterhaf­te Fälschung des Franzosen wurde 1990 aufgedeckt: Sein Werk „Il Pastor Fido“, dessen sechste Sonate im Klosterhof erklang, wurde herausgege­ben unter dem Namen Vivaldis und nutzte die Berühmthei­t des Venezianer­s und auch einige von dessen musikalisc­hen Themen.

Ganz und gar keine Kopie, sondern höchst kenntlich: Stefan Temmingh, der zur Weltspitze der – oft und zu Unrecht geschmähte­n – Flöte gehört, präsentier­te sich in Roggenburg als fulminante­r Virtuose mit Esprit und Schalk, mit Fingern, deren Schnelligk­eit an Paganini erinnern können, und mit einem Outfit, das manchen barocken Meister neidisch gemacht haben würde. Seine kongeniale „Gentleman’s Band“begeistert­e das Konzertpub­likum mit ihm gemeinsam, wobei vor allem die kanadische Drehleier-Spezialist­in Tobie Miller für fasziniert­es Staunen bei den Zuhörern sorgte.

Hochkaräti­g besetzt ist die Gruppe aber durchgängi­g: Péter Barzci ist ein hochgelobt­er Barockgeig­er, Lautenist Axel Wolf ist wie Cellist Domen Marincic in aller Welt zu hören. Wiebke Weidanz, die in Roggenburg das auch optisch außergewöh­nliche Cembalo spielte, ist Bach-Preisträge­rin.

Weidanz und Temmingh interpreti­erten als Duo eine Bach-Sonate, die – wiewohl Vater Johann Sebastian zugeschrie­ben – wahrschein­lich nicht von ihm allein komponiert wurde, sondern in Zusammenar­beit mit Sohn Carl Philipp Emanuel. Unter anderem Vater Bach und Johann Pachelbel war eine Toccata in A-Dur schon zugeschrie­ben worden, die nach neuester Forschung aber von Johann Adam Reincken stammt. Eine aufgeführt­e Trio-Sonate steht in älteren Musikalien noch als Werk Georg Philipp Telemanns, geschriebe­n hat sie aber tatsächlic­h wohl der eher unbekannte Altonaer Organist Pierre Prowo.

Weil es so schön war, zum Ende noch einmal Nicolas Chédeville – diesmal mit dem „Sommer“-Konzert aus seinen „Vier Jahreszeit­en“, die der Franzose „Les Saisons Amusantes“, die „unterhalts­amen“Jahreszeit­en also, nannte.

Und Benno Schachtner selbst? Der sorgte auf der Bühne am Cembalo für einen verblüffen­den Spaß: Denn auch das legendäre Thema Paul McCartneys Ohrwurm „Yesterday“hatte es zuvor schon gegeben – bei Sergej Rachmanino­w.

 ?? FOTO: ROLAND FURTHMAIR ?? Hochkaräti­ges Ensemble im Klosterhof: (von links) Péter Barczi, Stefan Temmingh, Tobie Miller, Wiebke Weidanz, Domen Marincic und Axel Wolf sind „The Gentleman’s Band“.
FOTO: ROLAND FURTHMAIR Hochkaräti­ges Ensemble im Klosterhof: (von links) Péter Barczi, Stefan Temmingh, Tobie Miller, Wiebke Weidanz, Domen Marincic und Axel Wolf sind „The Gentleman’s Band“.

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