Schwäbische Zeitung (Laupheim)
90 Minuten bis zum Halleluja
Zum Diademus-Finale bieten das Händelfestspielorchester Halle und starke Sänger eine Art „Best of Barock“
ROGGENBURG - Benno Schachtner weiß, wie man ein Publikum fesselt. Die Bänke im Kirchenschiff sind voll, Orchester und die zehn Vokalisten stehen bereit. Doch Countertenor Schachtner, zum Abschluss seines Diademus-Festivals im Kloster Roggenburg eigentlich der Dirigent, blickt nicht zu den Musikern, sondern zu den Zuhörern – und singt selbst. Mit seinem strahlenden und sensiblen Falsett besingt er die „Eternal source of light divine“(„ewige Quelle göttlichen Lichts“). Georg Friedrich Händels 1713 komponierte Ode an die britische Königin Anne Stuart erklang zum Einzug der Braut bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle in Windsor.
„Eternal source of light divine“ist ein klug gewählter Einstieg in ein Konzert, mit dem das Festival künstlerisch ein Ausrufezeichen setzt. Denn Schachtner hat für das Finale der dritten Ausgabe von Diademus selbst ein Oratorium zusammengestellt – aus Versatzstücken anderer Oratorien und Kantaten, aber auch aus weltlichen Werken wie der populären Händel-Ode, der dann auch gleich die Ouvertüre der Oper „Giulio Cesare“aus der Feder desselben Komponisten folgt. Die großen Meister seiner Epoche sind in dem „Pasticcio“vertreten: Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann, Dietrich Buxtehude, Henry Purcell und andere. Ein „Best of Barock“also, das jedoch von dem Narrativ des Kirchenjahres zusammengehalten wird: Das Roggenburger Oratorium beginnt mit der Advent und endet mit Auferstehung und Himmelfahrt. Von vorweihnachtlicher Besinnlichkeit bis zum jauchzenden Halleluja in gut eineinhalb Stunden. Kein Programm für Puristen, sondern für neugierige Musikfreunde.
Für dieses Unterfangen hat der 33jährige Schachtner, der auch Truhenorgel und Cembalo spielt, hochkarätige Unterstützung: Es musiziert das Händelfestspielorchester Halle auf historischen Instrumenten. Das Ensemble, das dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert, verfügt über internationales Renommee in der AlteMusik-Szene und hat im Frühjahr die erste CD der neuen Reihe „Haendeliana Hallensis“veröffentlicht – mit Countertenor Schachtner als Sänger. Beim Abschlusskonzert in Roggenburg übernehmen die von Schachtner zusammengestellten Diademus Vocalisten die Gesangsparts: Jessica Jans, Isabel Schicketanz, Carine Tinney (alle Sopran), Jennifer Gleinig (Alt), David Erler (Countertenor), Henning Jensen, Daniel Schreiber (Tenor), Tobias Berndt, Hugo Oliveira, Martin Schicketanz (Bass). Am Ende des Konzerts wird Schachtner sagen, dass ihn mit jedem dieser Sänger eine Geschichte verbindet. Und dass er sich die Kollegen für sein Festival eigentlich gar nicht leisten könne.
Die Diademus Vocalisten übernehmen sowohl die Chor- als auch die Solopassagen – heutzutage ungewöhnlich, zur Zeit des Barock durchaus normal. Das ergibt in der Interpretation Schachtners einen besonderen Chorklang, denn die markanten Stimmen der Sänger leuchten auch in den polyfonen Passagen hervor, natürlich in Händels gleißendjubilierenden „For unto us a child is born“(aus „Messiah“), bei dem sich Schachtner auch wieder vokal einbringt, besonders fein verwoben in der Buxtehude-Kantate „Jesu, meines Lebens Leben“, die als eine Art Gebet vor dem fröhlichen Epilog kommt, der wiederum von einem großen „Halleluja“gekrönt wird: von Händel, aber nicht aus dem Messias-, sondern aus dem Saul-Oratorium.
Überhaupt ist dieses Oratorium durch das Zusammenspiel verschiedener Komponisten und unterschiedlicher emotionaler Zustände an Farbenreichtum kaum zu überbieten. Das liegt natürlich auch am intensiven und differenzierten Dirigat Schachtners, der eben nicht nur barocke Eleganz beherrscht, sondern auch ein Gefühl für Opulenz zum richtigen Zeitpunkt hat. Wunderbar, wie der studierte Kirchenmusiker Orchester und Vokalisten zu einem großen, dynamischen Klangkörper vereint. Willkommene Momente des Innehaltens beschert Sprechkünstlerin Heike Viefhaus, die zwischen den Programmteilen Gedichte von Rainer Maria Rilke rezitiert.
Schachtners mutiges Konzept geht auf
Tatsächlich: Dieses „Pasticcio“ist ein „Best of“im besten Sinn, weil es den ganzen Kosmos der Barockmusik in ein kompaktes und zeitgemäßes Format bringt, ohne dessen Komplexität zu opfern. Benno Schachtners mutiges Konzept ist aufgegangen. Ein brillantes, am Ende von den 500 Zuhörern umjubeltes Konzert. Das bekommt noch eine Zugabe: „Lascia ch’io pianga“. Eine berühmte Arie, deren Geschichte zeigt, dass der lockere Umgang mit der Musik, wie ihn Schachtner bei seinem „Pasticcio“gewagt hat, im Barock ganz normal war: Komponist Händel verwendete die Musik in zwei Opern und einem Oratorium.