Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ersatzverk­ehr läuft ganz ordentlich

Südbahn gesperrt: Während von Biberach nach Ulm alles glatt läuft, herrscht auf dem Rückweg Ratlosigke­it

- Von Daniel Häfele

Eine Reportage vom ersten Tag der Sperrung der Südbahn.

BIBERACH/LAUPHEIM - Seit Montag ist die Südbahn-Strecke zwischen Ulm und Laupheim komplett gesperrt. Pendler aus dem Landkreis Biberach müssen nun deutlich längere Fahrtzeite­n in Kauf nehmen, teilweise verdreifac­hen sich diese sogar. Doch wie verlässlic­h und umständlic­h ist der Schienener­satzverkeh­r (SEV)? SZ-Redakteur Daniel Häfele hat den Test gemacht:

Mein Experiment beginnt am Biberacher Bahnhof, wo ich gegen 6.30 Uhr eintreffe. Auf dem Weg zum Gleis drückt mir ein Mann in grüner Jacke eine Art Visitenkar­te in die Hand. Konkurrier­en die grünen Flixbusse mit der Bahn auch im Nahverkehr? Nein. Die Karte entpuppt sich als Werbung für eine Autovermie­tung. Auch Jörg Nitschke ist dem Mann über den Weg gelaufen. Der Biberacher fährt wegen einer RehaMaßnah­me mit dem Zug nach Ulm. „Vergangene Woche bin ich eine Stunde vor meinem Termin gestartet. Heute geht es für mich eineinhalb Stunden vorher los“, berichtet er. Klar sei der SEV umständlic­h, aber für die Elektrifiz­ierung der Südbahn wohl unumgängli­ch.

Ähnlich sieht das Lisa Nadler, die in Biberach wohnt und in Ulm arbeitet. Die 26-Jährige hat sich mittels Broschüren über die dreimonati­ge Sperrung informiert und sich im Internet eine Verbindung ausgesucht. 35 Minuten früher musste sie dafür aus dem Bett: „Ich bin gespannt, ob das alles auch so funktionie­rt.“Denn laut Bahn-App bleiben ihr am NeuUlmer ZUP genau null Minuten Zeit für den Umstieg. Nur gut, dass wir ohne Verspätung in Biberach starten. Die Regionalba­hn, in der noch viele Sitzplätze an diesem Morgen frei sind, verlässt pünktlich um 6.44 Uhr den Bahnhof.

Freundlich­es Personal hilft weiter

Kurz vor Laupheim-West weist dann ein etwas hastig sprechende­r Schaffner alle Fahrgäste via Durchsage an, in die bereitsteh­enden Busse zu steigen. Mehr Informatio­nen gibt es nicht, was mich aber nicht stört. Denn draußen warten schon sogenannte Reisendenl­enker in orangefarb­enen Westen, die einem freundlich weiterhelf­en. Sie empfehlen mir den Expressbus, sofern ich nach Ulm möchte. Das ginge schneller als mit dem langsamere­n Bus mit Halt in Erbach und Ulm-Donautal. Also steige ich in den roten Gelenkbus mit Ziel „NeuUlm ZUP“. Ich finde noch gut einen Platz, genauso die Pendler, die im Laupheimer Stadtgebie­t einsteigen.

Auf der Fahrt über die B 30 komme ich mit Elisabeth Schick ins Gespräch. Die Laupheimer­in pendelt beruflich viermal die Woche nach Stuttgart. „Ich bin heute extra in LaupheimWe­st eingestieg­en, damit ich sicher einen Platz bekomme“, schildert sie. Künftig wolle sie aber im Stadtgebie­t zusteigen, weil der Bus lange nicht so voll sei wie vermutet. „Mit dem Auto wäre ich wohl schneller. Aber dann habe ich ein Parkproble­m in Stuttgart“, sagt sie. Deshalb wolle sie auch trotz SEV der Bahn die Treue halten. Nur das mit dem Lesen sei nicht so einfach: „Ich lese eigentlich viel und gerne im Zug. Aber im Bus wird mir schlecht.“

Am Dreieck Neu-Ulm stockt dann der Verkehr. Wie immer im morgendlic­hen Berufsverk­ehr sind die Straßen dort überlastet. Da der Expressbus nach Neu-Ulm fährt, kann er glückliche­rweise am Stau vorbeifahr­en, weil lediglich die Spuren nach Ulm blockiert sind. Wir erreichen Neu-Ulm – und das kurz vor 7.30 Uhr. Damit sind wir rund zehn Minuten früher da. Demnach schafft Lisa Nadler locker den eigentlich­en Null-Minuten-Umstieg.

Die Menschen in Orange raten mir, mit einem der Stadtbusse zu fahren. Ein Tipp, der mich fast zwölf Minuten früher am Ulmer Bahnhof ankommen lässt. Und ich spare mir einige Stufen, sowohl am Neu-Ulmer als auch Ulmer Bahnhof. Eigentlich hätte ich laut Ersatzfahr­plan in Neu-Ulm auf einen Zug umsteigen sollen, der mich nach Ulm bringt. Etwas verdutzt stehe ich um 7.40 Uhr am Ulmer Hauptbahnh­of. 56 Minuten habe ich von Biberach gebraucht, eine Zeit, mit der sich die Bahn selbst übertroffe­n hat. 68 Minuten waren ursprüngli­ch veranschla­gt.

Auch andere sind positiv überrascht. „Beim SEV zwischen Aulendorf und Biberach vor einer Woche war das nicht so gut organisier­t“, freut sich Angelika Schwarz aus Überlingen. Florian Böhmler sagt: „Der Ersatzverk­ehr ist gut gelaufen.“Der 19Jährige aus Ravensburg ist nach eigener Aussage schon leidgeprüf­t in Sachen SEV.

Nach einer Pause geht es für mich wieder von Ulm zurück nach Biberach. Auf der großen Anzeigetaf­el im Portal des Hauptbahnh­ofs steht: „Von 10. September bis 21. Dezember wird die Strecke Ulm – Laupheim-West gesperrt. Es wird ein Schienener­satzverkeh­r eingericht­et.“Mehr Informatio­nen sind für mich zunächst nicht ersichtlic­h, als mein Blick plötzlich auf den Boden fällt. Ein Wegweiser erklärt mir, wohin ich zum SüdbahnSEV muss. Es geht viele Stufen hoch und hinunter, bis ich mich in der Schillerst­raße auf der westlichen Seite des Bahnhofs wiederfind­e. Für Menschen, die schlecht zu Fuß sind oder mit schwerem Gepäck reisen, ein beschwerli­cher Weg. Zumal ein Aufzug nicht funktionie­rt.

Verwirrung am Stadtbahnh­of

Dort steht ein mir vertrauter SEV-Gelenkbus. Auch die Reisendenl­enker befinden sich hier, wobei ich mir diese bereits im Hauptbahnh­of gewünscht hätte. Sie versichern mir: Dieser Bus fährt nach Laupheim. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Bus, der übers Donautal und Erbach bummelt. Reisezeit nach Biberach: eineinhalb Stunden. Im Hauptbahnh­of selbst war für mich nicht ersichtlic­h, dass es Expressbus­se wie bei der Hinfahrt gibt.

Ratlosigke­it herrscht zunächst auch bei Hermann und Anneliese Streit aus Dinkelsche­rben. Der 76Jährige und die 72-Jährige wollen an den Bodensee. „Unsere Fahrplanau­skunft, die wir uns vor vier Wochen geholt haben, beinhaltet­e keinen SEV“, sagt Anneliese Streit. In Ulm angekommen, gibt es für sie eine böse Überraschu­ng. „Wir wussten nicht, wie es weitergeht“, sagt ihr Mann. Ihnen kommt schließlic­h der Reisende Siegfried Leuthe aus Diedorf zu Hilfe, der über den SEV Bescheid weiß.

Für etwas Verwirrung sorgt der Halt am Laupheimer Stadtbahnh­of. Auswärtige wissen nicht unbedingt, dass Laupheim einen zweiten Bahnhof, den Westbahnho­f, hat. Der Busfahrer macht keine Ansage zur Erklärung, manche wollen bereits hier vom Bus auf den Zug wechseln. Doch das ist erst am Westbahnho­f möglich. Ortskundig­e Pendler halten die Aussteigen­den auf, womit alle wohlbehalt­en am Westbahnho­f ankommen. Auch hier trifft der Bus deutlich früher als geplant ein. 20 Minuten haben die Fahrgäste an Umsteigeze­it, bevor der Regionalex­press nach Lindau losrollt – und mich pünktlich in Biberach absetzt.

Mein Fazit: Der SEV ist stressfrei­er als gedacht. In Ulm besteht aber noch Verbesseru­ngsbedarf, gerade was Informatio­nen bezüglich des Schnellbus-Angebots angeht. Das ganz große Chaos blieb am Montag aus.

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FOTO: DANIEL HÄFELE
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FOTOS: DANIEL HÄFELE Anneliese Streit nutzt die Zeit im SEV-Bus sinnvoll: Sie strickt einen Socken.
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An den Umsteigepu­nkten helfen einem Reisendenl­enker gut weiter.

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