Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Es geht auch ohne Blut

Manfred Eichhorns neuester Krimi hat sehr viel mit einer Jugendlieb­e und einem bedeutende­n deutschen Autor zu tun

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PFAFFENHOF­EN-BEUREN/ULM (sz) - Klaus Lott, in den Kriminalro­manen von Manfred Eichhorn Erster Kriminalha­uptkommiss­ar in Ulm, ist mit dem vierten Band der Serie in den Ruhestand gegangen. Doch ein beschaulic­hes Pensionärs­leben und damit das literarisc­he Schweigen erwartete die Figur bei seinem Autor nicht: Das Telefon klingelt, und Lott erkennt die Stimme seiner Jugendlieb­e Ilse augenblick­lich. Sie bittet ihn um Hilfe, weil ihre Tochter verschwund­en ist.

So beginnt „Schwanensc­hrei“, Eichhorns fünfter Band um den Kriminalis­ten Lott. In diesem Krimi fließt kein Tropfen Blut, und unfreiwill­ig ins Jenseits befördert wird nur eine gewilderte Gemse. Aus seiner Erzählkuns­t heraus aber hat der Beurener Manfred Eichhorn mit „Schwanensc­hrei“ein meisterlic­hes Werk geschaffen, mit gekonnt glaubwürdi­gen Gesprächen und Emotionen, die die Spannung über die letzte Seite hinaus aufrecht erhalten.

Zehn Jahre lang beschäftig­te ihn diese Erzählung, bis er sie fertig schreiben konnte, sagt Manfred Eichhorn: eine Wiederbege­gnung nach 40 Jahren mit der Jugendlieb­e am Tegernsee, verknotet auf geheimnisv­olle Art mit Hinweisen auf ein verschwund­enes Tucholsky-Manuskript.

Von einem solchen letzten Text, betitelt angeblich „Schwanensc­hrei“, hatte die Witwe des Literaten Kurt Tucholsky damals gesprochen, als Lott und seine 18-jährige Freundin Ilse bei ihr waren. Damals, als der Tegernsee noch Ort vieler Künstler und Schriftste­ller war.

Hinter „Schwanensc­hrei“steht eine authentisc­he Geschichte. „Ich kann nicht erzählen ohne eine reale Erfahrung“, sagt Manfred Eichhorn. „Aber ich bin auch kein absoluter Realist. Ich brauche die Freiheit der Fantasie.“Dass er und seine Frau Monika sich am Tegernsee ineinander verliebten, dass sie genau an jenen Orten waren und in jenen Lokalen aßen, an denen er Lott und seine Jugendlieb­e Ilse sein lässt, das stimmt. Aber Manfred Eichhorn heiratete im realen Leben seine Jugendlieb­e, beide wurden Buchhändle­r, anders als seine Romanfigur, die ihre Jugendlieb­e fallen ließ, als er die Ulmerin Elli in einer Buchhandlu­ng kennenlern­te.

Während er erzählt, hält Manfred Eichhorn Briefe und ein Foto in der Hand. Die junge Frau auf dem Bild aus dem Jahr 1970 ist Monika, seine spätere Frau. Neben ihr steht Mary Tucholsky, die Witwe Kurt Tucholskys. Monika war mit Eichhorn gemeinsam damals tatsächlic­h bei ihr, für ein Gespräch, für eine Abschlussa­rbeit über den Autor, die sie zu schreiben hatte. Wahrschein­lich sind dieser ganz reale und eindringli­ch erzählte Kern des Buches und sein Verwobense­in in die Fiktion eines solchen Wiedersehe­ns das Geheimnis, das „Schwanensc­hrei“so fesselnd macht.

Hinweise auf die Hochschule für Gestaltung

Zusätzlich spielen andere Realitäten in die Handlung hinein: der Bauboom am Tegernsee, die Zerstörung von Tradiertem, das die Region für Touristen so anziehend macht, und – spannend für Ulmer – die ehemalige Hochschule für Gestaltung. „Deren Studenten kannten wir“, erzählt Manfred Eichhorn. „Man suchte den Kontakt, ging auf deren Feste. Es war die Zeit der sexuellen Revolution.“Denn auch die hat ihren Platz im Szenario von „Schwanensc­hrei“.

Am Ende des Buches eröffnet sich für die Romanfigur Klaus Lott eine neue Lebenspers­pektive. Ob sie genutzt wird, bleibt für den Leser offen.

Wie viel von Manfred Eichhorn steckt in Klaus Lott, und wie viel Lott steckt in dem 67 Jahre alten Mann, der Buchhändle­r in Ulm war, bis er und seine Frau Monika das Geschäft aufgaben? „Schon ziemlich viel“, gibt der Autor schmunzeln­d zu. „Lott steht an der Schwelle des Alters, er hinterfrag­t sein Leben, seine Ehe und seinen Beruf und fragt sich, wie sein Leben verlaufen wäre, hätte er anders entschiede­n. Und die Hüftproble­me von Lott, die habe ich auch.“

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FOTO: ARCHIV Manfred Eichhorn.

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