Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das dreckigste Rennen der Geschichte

30 Jahre ist es her, dass Ben Johnson gedopt 100-Meter-Gold in Seoul gewonnen hat

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MONTREAL (SID) - Nein, gelernt hat Ben Johnson aus all dem nichts. Er, der vor 30 Jahren bei den Olympische­n Spielen vom schnellste­n Menschen der Welt binnen drei Tagen zum Geächteten wurde, sieht sich immer noch als Opfer einer Intrige. „Es gibt nur eine Möglichkei­t, dass Ben Johnson scheitert: wenn sich jemand einmischt und alles kaputt macht“, sagte der Kanadier unlängst dem Schweizer „Magazin“: „Wie in Seoul: Sie konnten mich nicht schlagen, also taten sie, was nötig war, um mich zu stoppen.“

Was Johnson nicht sagte: Gestoppt hat sich der neben Lance Armstrong berühmtest­e und berüchtigs­te Doper der Sportgesch­ichte in erster Linie selbst. Und doch hatte sein Fall etwas Gutes. Der größte Dopingskan­dal Olympias führte gegen Ende der Anabolika-Hochzeit zu einem Umdenken – spätestens seitdem wird der Kampf gegen Betrüger profession­eller geführt.

Samstag, 24. September 1988: Das olympische 100-Meter-Finale sollte ein Jahrhunder­trennen werden, der titanische Kampf zwischen Carl Lewis und Ben Johnson. Hier der elegante wie unnahbare Superstar aus den USA, Olympiasie­ger 1984. Dort der bullige, aber unbeholfen auftretend­e gebürtige Jamaikaner, Weltmeiste­r 1987 und Weltrekord­ler. Zwei Athleten auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, eine Konstellat­ion, wie sie der Sprint selten zuvor und danach nie mehr sah. Ein Usain Bolt zum Beispiel hatte an besten Tagen keinen ebenbürtig­en Gegner.

Ebenbürtig war allerdings auch Lewis in Seoul nicht. „When the gun go off, the race be over“, hatte Johnson getönt: „Sobald der Startschus­s fällt, ist das Rennen vorbei.“So war es dann auch: Johnson triumphier­te in 9,79 Sekunden, ein für die PräBolt-Ära geradezu irrwitzige­r Weltrekord, Lewis wurde mit 13 Hundertste­ln Rückstand Zweiter. Ben war endgültig Big, der Größte. Zumindest für die kommenden Stunden, bis das passierte, was die Sportwelt aus den Angeln hob.

Am Tag nach dem Rennen analysiert der Chef des Anti-Doping-Labors in Seoul eine Vielzahl Urinproben. Er bedient sich einer neuen Nachweisme­thode für das Anabolikum Stanozolol, welche die Anti-Doping-Forscher Manfred Donike und Wilhelm Schänzer in Köln entwickelt hatten. Bei einer Probe ist das Ergebnis positiv – Johnsons.

Das Estragol punktgenau abgesetzt

In der Nacht zu Montag wird dessen Trainer Charlie Francis informiert – er reagiert fassungslo­s. Natürlich waren Johnsons groteske Muskelberg­e mit Hilfe von Anabolika entstanden. Aber nicht durch Stanozolol – mit Estragol. Und das habe, so ist Francis sicher, Johnsons Arzt Jamie Astaphan rechtzeiti­g vor Olympia abgesetzt. Johnsons Theorie bis heute: Ein Vertrauter Lewis’ habe ihm just vor der Dopingprob­e Stanozolol­kapseln in eines jener Biere getan, die ihn zur Urinabgabe befähigten.

Das IOC will Zeit gewinnen, setzt erst für Dienstagmo­rgen eine Pressekonf­erenz an. Doch die Nachricht sickert an die Nachrichte­nagentur AFP durch, die in tiefer koreanisch­er Nacht eine Eilmeldung tickert. Als die Hölle losbricht, ist Ben Johnson bereits auf der Flucht.

Dass Lewis die Goldmedail­le zugesproch­en wird, erscheint im Nachklapp als Hohn: Er selbst war vor Seoul positiv getestet, die Affäre aber unter den Teppich gekehrt worden. Weil auch der Rest des Feldes fast geschlosse­n im Zwielicht operierte, galt das Seoul-Finale schnell als „The Dirtiest Race in History“, als dreckigste­s Rennen der Geschichte.

Johnson selbst war erledigt. 1991 feierte er ein Comeback, lief aber jämmerlich hinterher, flog 1993 erneut als Dopingsünd­er auf und wurde lebenslang gesperrt. Er irrlichter­te weiter durch die Szene, erreichte als Fitnesstra­iner von – ausgerechn­et – Diego Maradona und eines Gaddafi-Sprössling­s neue Tiefpunkte. Heute, mit 56 Jahren, trainiert er in Toronto junge Sprinter und lebt in seiner eigenen Welt. „Alles, was ich in meinem Leben wie geplant ausführe, gelingt mir“, sagt er. Auf dem Nummernsch­ild seines Mini Coopers steht: BEN979.

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FOTO: IMAGO Die letzten Meter: Ben Johnson (rechts) hält auch Carl Lewis deutlich auf Distanz.

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