Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das renkt sich wieder ein
Neuartige Prothesen haben die Behandlung von Schulterbeschwerden nach vorn gebracht
Kaffee einschenken, die Decke streichen, einen Ball werfen – die Schulter macht fast jede Armbewegung mit. Und wird dabei im Laufe der Jahre ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Schätzungen zufolge hat jeder Zweite jenseits der 50 einen kleinen oder größeren Riss in der Rotatorenmanschette, dem Geflecht aus Muskeln und Sehnen im Schulterbereich. Das kann höllisch schmerzen, ebenso wie die gefürchtete Kalkschulter, bei der sich Kalk nicht in der Schulter, sondern in den Sehnen ablagert. Nach dem Knie ist die Schulter jenes Gelenk, das am häufigsten mit Schmerzen auffällt. Die Therapie ist mitunter langwierig. Warum die Schulter so besonders ist, zeigt ein Blick in ihren Aufbau. Im Unterschied zur Hüfte sitzt bei der Schulter der Gelenkkopf nicht fest in der Pfanne. Seine Position behält er ausschließlich durch umgebendes Gewebe, seine Beweglichkeit garantieren zahlreiche, filigran ineinander verwobene Bänder, Sehnen und Muskeln. All das macht die Schulter zum komplexesten Gelenk des Menschen, erklärt Markus Scheibel, Chefarzt für Orthopädie an der Charité Berlin und Präsident der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellbogenchirurgie. Sehnenrisse der Rotatorenmanschette können der Anfang von Knorpelschäden sein, ebenso wie Entzündungen, Arthrose oder eine chronische Instabilität. Bei irreparablen Schäden und großem Leidensdruck bietet das künstliche Gelenk einen Ausweg aus dem Schmerz . Derzeit werden jährlich 25 000 Schulterprothesen eingesetzt – Tendenz steigend. Lange galt die Schulter allerdings als zu kompliziert für ein Kunstgelenk. Seit dem Jahrtausendwechsel hat sich das geändert, mehrere Prothesenvarianten sind auf dem Markt. Dabei kann der Gelenkkopf des Oberarms mit einer Kappe überzogen oder das gesamte Gelenk ersetzt werden. Eine weitere Möglichkeit stellt die sogenannte inverse Schulterprothese dar: Hier wird das Gelenk umgekehrt eingebaut. Diese Methode hat den Vorteil, dass der Patient trotz zerstörter Strukturen um die Schulter seinen Arm schmerzfrei wieder bewegen kann. Alle wichtigen Fakten im Überblick:
Wie lange dauert der Eingriff ?
Rund 90 Minuten – das ist von der Erfahrung des Operateurs abhängig.
Wie lange dauert der Klinikaufenthalt?
In der Regel vier oder fünf Tage.
Wann ist das Gelenk wieder voll belastbar und funktionsfähig?
Die Mobilisierung eines Gelenks beginnt ein bis zwei Tage nach der Operation mit ersten, vorsichtigen Übungen. Etwa ab dem dritten Tag werden die Bewegungsumfänge gesteigert. Weil die Betroffenen grundsätzlich mobil sind und auch laufen können, bevorzugen viele Patienten im Anschluss an die Klinik eine ambulante Reha. Dafür wird ihnen ein Fahrplan zur Nachbehandlung mitgegeben, dem sie gemeinsam mit einem Physiotherapeuten zu Hause folgen. Diese intensive Reha-Phase mit rund drei Terminen pro Woche dauert etwa drei bis vier Monate. Ein halbes bis ein dreiviertel Jahr sollte man insgesamt einplanen, bis das neue Gelenk den gesamten Alltag mitmacht.
Welche Bewegungsarten sind im Anschluss möglich?
Das hängt von der Art der Prothese ab und auch vom Beruf. Wer vor dem Kunstgelenk auf dem Bau gearbeitet hat, der sollte mit der neuen Schulter eher die Finger vom Presslufthammer lassen – zu groß ist das Risiko einer Lockerung. Und auch Tennis und Golf sind in der Regel nicht mehr möglich. Gut sind alle moderaten Bewegungen.
Kann es Probleme geben?
Es gibt Fälle, bei denen die Schmerzen auch mit einem neuen Schultergelenk bleiben. Die Gründe dafür sind vielfältig und können unter anderem damit zusammenhängen, dass es schon mehrere Eingriffe an der Schulter gab.
Welche Fragen sollte man dem Operateur stellen?
Gute Fragen sind: „Haben Sie sich auf die Schulter spezialisiert?“oder „Wie viele künstliche Schultern setzen Sie pro Jahr ein?“Mehr als 20 Prothesen pro Jahr stehen für die Erfahrung und die Routine des behandelnden Arztes. Wichtig ist auch die Nachfrage, ob der Operateur sich generell mit diesem Gelenk befasst. Also nicht nur mit der Prothese, sondern mit allen Erkrankungen rund die Schulter. Solche Ärzte kennen sich sehr gut aus in der Komplexität der Schulter im Verbund mit allen umgebenden Strukturen.
Wann wird eine WechselOP nötig?
Bei normalem Verlauf nach zehn bis 15 Jahren. Doch es gibt Sonderfälle, die – wie bei allen Endoprothesen – einen früheren Wechsel nötig machen.
Und bis dahin?
Es ist wichtig, nach zwei, fünf, zehn und 20 Jahren einen Check-up zu machen. Wer Probleme oder Schmerzen hat, sollte sich aber sofort bei seinem Operateur melden.