Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Begegnungen bei Baklava
In der Neuen Mitte verschenken Flüchtlinge Essen aus ihren Heimatländern
ULM - Eigentlich verkaufen sie selbst Gebäck, gleich nebenan. Doch die „syrischen Mädchen aus Böfingen“, wie sie sich auf einem Schild an ihrem Stand nennen, sind zu Qusai Alomar gehuscht, um seine Falafel zu probieren. Alomar stammt aus Syrien, in seiner Heimat war er Koch. Hier besucht er die Realschule. „Vielleicht werde ich hier auch Koch“, sagt der Syrer. Aber deutsch kochen müsse er noch lernen. Fürs Erste serviert der Mann mit weißer Schürze, Zopf und Vollbart hausgemachte Falafel beim Straßenfest zum „Tag des Flüchtlings“. Die Bällchen aus pürierten Kichererbsen sind so etwas wie das syrische Nationalgericht. Alomar und andere, die hierher gekommen sind, haben Speisen aus ihren Heimatländern vorbereitet, die sie am Freitagnachmittag auf dem Hans-und-Sophie-Scholl-Platz in der Ulmer Neuen Mitte verschenken. Wer will, kann etwas spenden. Fast jeder wirft ein paar Münzen in eine der Boxen.
Dass es dieses Fest gibt, liegt vor allem an denen, die gekocht haben. „Die Geflüchteten hatten den Wunsch, das zu machen“, berichtet Elena Flügel, Zweite Vorsitzende des Vereins Menschlichkeit Ulm. Der Verein, der Asylbewerber unterstützt, hat das Fest gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Ulm/Alb-DonauKreis, der Internationalen Stadt und anderen Vereinen organisiert. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele Leute kommen“, gesteht sie. Aus den Boxen klingt arabische Popmusik. An den weiß gedeckten Tischen in der Mitte des Platzes sitzen Besucher aller Altersgruppen und essen Sauerteigfladen mit roten Linsen aus Eritrea, Der Tag des Flüchtlings in Ulm ist zu einem Straßenfest geworden.
afghanisches Gulasch mit Rindfleisch und Baklava – arabisches Süßgebäck. An den Ständen geht es noch enger zu. Zwei Mütter haben ihre liebe Mühe, ihre Kinderwagen vorbeizuschieben.
Das Straßenfest bildet den Auftakt zu den „Tagen der Begegnung“. Die interkulturelle Veranstaltungsreihe hat sich in Ulm und Neu-Ulm etabliert. Auf dem Programm stehen Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Workshops, Filme, Gesprächsabende, eine Theateraufführung – und das Straßenfest zum Auftakt am Freitag.
Letzteres steht unter dem Motto: „Ich koche. Du kommst. Wir reden.“Damit das klappt, treibt Elena Flügel die jungen Flüchtlinge an. „Es ist wichtig, dass die Leute wirklich miteinander reden. Gerade habe ich zwei Jungs aus Syrien losgeschickt, damit sie sich mit den Besuchern unterhalten“, berichtet sie. Einer, der von sich aus auf alle zugeht, ist Nouri Kharouf. Der 23-Jährige, der eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, ist vor drei Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Inzwischen sitzt er selbst im Vorstand des Vereins Menschlichkeit und hat schon Deutsch-Kurse an der Volkshochschule geleitet. „Ich fühle mich in der Stadt angekommen“, sagt Kharouf. Er habe zwar auch Ablehnung erfahren, erlebe aber fast alle Begegnungen als offen und positiv. Der 23-Jährige ist es, der das Fest eröffnet: „Ich möchte, dass ihr alle aufeinander zukommt und euch kennenlernt“, sagt er ins Mikrofon. Als er anschließend über den Hans-undSophie-Scholl-Platz flaniert, kommt er nicht weit. Schon nach ein paar Metern begrüßt ihn der erste Bekannte, dann fragt ihn ein Mann auf Arabisch nach einem deutschen Wort: „Taschentuch“, sagt Kharouf. Er ist überzeugt, dass Essen und Trinken die Menschen zusammenbringen können. „Ich finde, das ist der beste Weg“, sagt er. An einem der weiß gedeckten Tische sitzt Katja Huber aus Weißenhorn. Das Straßenfest ist ihr auf dem Nachhauseweg von der Arbeit aufgefallen. Jetzt probiert sie gefüllte Weinblätter und Gebäck. „Schmeckt sehr gut“, lobt sie. „Und die Atmosphäre ist toll. So etwas könnte öfter sein.“