Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Rechte Terrorzelle in Sachsen ausgehoben
Gruppe „Revolution Chemnitz“plante offenbar Anschlag – Acht Verdächtige in Haft
KARLSRUHE/CHEMNITZ - Die Polizei hat eine Gruppe mutmaßlicher Rechtsterroristen aus Chemnitz enttarnt, die am Tag der Deutschen Einheit einen Anschlag geplant haben soll. Am Montag ließ der Generalbundesanwalt sieben Männer festnehmen, die eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet haben sollen. Ein achter Mann, der mutmaßliche Anführer Christian K., saß bereits in Untersuchungshaft. Die Gruppe namens „Revolution Chemnitz“habe am 3. Oktober zur Tat schreiten wollen, wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mitteilte.
Die Mitglieder sollen bewaffnete Angriffe auf Ausländer, Politiker und Journalisten ins Auge gefasst haben. Die Männer wollten demnach mit Gewalt gegen den Rechtsstaat kämpfen. Die Polizei durchsuchte am Montag mehrere Wohnungen und Räumlichkeiten und fand unter anderem Schlagstöcke, ein Luftdruckgewehr und Speichermedien. Nach bisherigen Erkenntnissen gehören die Beschuldigten der Hooligan-, Skinhead- und Neonazi-Szene an und sollen sich als führende Personen in der rechtsextremistischen Szene Sachsens verstanden haben.
Die Terrorgruppe bildete sich offenbar kurz nach den Übergriffen und Protesten in Chemnitz. Auslöser hierfür war der gewaltsame Tod eines 35-jährigen Deutschen am Rande eines Stadtfestes Ende August. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber. Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“wollte die Gruppe „Revolution Chemnitz“mehr Terror verbreiten als der Nationalsozialistische Untergrund (NSU).
Innenminister Horst Seehofer (CSU) warnte in diesem Zusammenhang vor einer weiter hohen Terrorgefahr. Die Festnahmen seien Folge der Realisierung des „Grundsatzes ,Null Toleranz gegenüber Rechtsradikalen und Rechtsextremisten‘“. Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, warnte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“davor, „den Rechtsextremismus in Deutschland als ein sächsisches oder rein spezifisch ostdeutsches Phänomen zu betrachten“. Militanter Rechtsextremismus sei ein gesamtdeutsches und auch ein wachsendes Problem.
CHEMNITZ/BERLIN (dpa) - Chemnitz will den Tag der Deutschen Einheit mit einem „Fest für Toleranz und Demokratie“begehen. Doch während die lokale Wirtschaftsförderung gemeinsam mit Vereinen aus der Kultur- und Jugendarbeit Stände und ein Bühnenprogramm organisiert, bereitet sich in der Stadt auch eine Gruppe von Rechtsextremisten auf den Tag vor. Was die Männer aus der örtlichen Hooligan- und Neonazi-Szene genau planten, ist noch nicht bekannt. Fest steht nur: Im September haben sie sich laut Generalbundesanwalt zur Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“zusammengeschlossen. Gewalt spielt in ihrem Szenario eine Rolle. Am Tag der Einheit sollte ein Zeichen gesetzt werden. Die Polizei hat sie nun dingfest gemacht.
Sechs Mitglieder der Gruppe „Revolution Chemnitz“wurden in Sachsen festgenommen, ein weiteres in Bayern. Dort war der Mann gerade auf Montage. Ein achter Mann, der mutmaßliche Anführer, sitzt bereits seit zwei Wochen in Untersuchungshaft. Der 31-jährige Christian K. spielte nach Angaben der Ermittler bereits zuvor eine führende Rolle in der Chemnitzer Neonazi-Szene, in der bereits die NSU-Terroristen zugange waren.
Getarnt als Bürgerwehr
Damals war er im Anschluss an eine rechtspopulistische Demonstration der Vereinigung „Pro Chemnitz“mit mehr als einem Dutzend Anhängern seiner Gruppe durch Chemnitz gezogen und hatte auf der Schlossteichinsel, getarnt als Bürgerwehr, eine Gruppe von Ausländern mit einem Elektroschocker und Quarzhandschuhen angegriffen. Ein Iraner wurde durch eine Glasflasche am Kopf verletzt.
Es sollte nicht bei diesen Waffen bleiben. „Die Mitglieder hatten sich bereits nach den Preisen für halbautomatische Waffen erkundigt“, sagt Carolin Urban, Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft. Sie planten am 3. Oktober eine größere Gewalttat, über deren Ablauf die Ermittler bislang schweigen. Die Festgenommenen sind Teil einer Szene von rund 1300 gewaltbereiten Rechtsextremen im Freistaat Sachsen, das ist die Hälfte aller Angehörigen dieser politischen Strömung dort. 900 Menschen sind in Kameradschaften und parteiunabhängigen Gruppen organisiert.
„Revolution Chemnitz“gibt es noch nicht lange. Es werde geprüft, welche Rolle sie bei den ausländerfeindlichen Protesten in Chemnitz gespielt hätte, hieß es bei der Bundesanwaltschaft. „Nach bisherigen Erkenntnissen unserer Ermittler gibt es die Gruppe erst seit dem 11.September“, berichtet Urban.
Kurz nach ihrer Tat in Chemnitz wurden die Täter wegen Landfriedensbruchs – also wegen Gewalttaten aus einer Gruppe heraus – festgenommen, kamen aber bis auf Christian K. später frei. „Chemnitz ist schon seit der Wiedervereinigung ein Sammelbecken der rechtsextremen Szene, auch wenn die Mehrheit der Bewohner der Stadt keine rechte Gesinnung hat“, sagt der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke aus Berlin. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis 2000 in der sächsischen Stadt. 2014 verbot der damalige sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) die Gruppe „Nationale Sozialisten Chemnitz“(NSC).
Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz müssen wie ein Katalysator für die kruden Gewaltfantasien der Rechtsextremen gewirkt haben. In der Nacht zum 26. August starb dort der Deutsch-Kubaner Daniel H. am Rande eines Stadtfestes durch eine Messerattacke. Die Polizei benannte drei Asylbewerber als Tatverdächtige. Empörte Chemnitzer drückten ihre Trauer und Wut über die Bluttat aus. Bei Protestdemonstrationen marschierten auch Rechtsextremisten mit. Einige zeigten den verbotenen Hitlergruß.
Der Tod von Daniel H. ist laut Funke ein Ereignis, das die Szene wieder zusammenschweißt. Seit diesem 26. August kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Für Aufregung sorgt ein Video von einer der ersten Demonstrationen. Es zeigt eine Attacke auf ausländisch aussehende Menschen. An dem Video entzündet sich eine Debatte über den Begriff „Hetzjagd“, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen mischt sich in die politische Debatte ein und muss am Ende seinen Posten räumen.