Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Prozess vertagt nach Suizidversuch
Mutmaßlicher Supermarkterpresser von Friedrichshafen verletzt sich selbst – Auftakt nun am 8. Oktober
RAVENSBURG (li) - Der erste Verhandlungstag vor dem Landgericht Ravensburg im Prozess um vergifteten Babybrei musste am Montag auf den 8. Oktober vertagt werden. Nach Angaben der Justizvollzugsanstalt hat der Angeklagte in der Nacht zu Montag versucht, sich in seiner Zelle das Leben zu nehmen und war nicht verhandlungsfähig. Der mutmaßliche Supermarkterpresser vom Bodensee, ein 54-Jähriger aus dem Raum Tübingen, befand sich jedoch nicht in Lebensgefahr.
RAVENSBURG - Der mutmaßliche Supermarkterpresser, der vor einem Jahr in Friedrichshafen vergifteten Babybrei in Umlauf gebracht haben soll, hat in der Nacht auf Montag offenbar versucht, sich das Leben zu nehmen. Am Landgericht Ravensburg sollte am Morgen der Prozess gegen ihn beginnen. Weil der 54-Jährige wegen der Einnahme von Schlafmitteln verhandlungsunfähig war, wurde der Prozessbeginn zunächst auf den Nachmittag und schließlich auf den 8. Oktober verschoben.
Der Fall hat vor einem Jahr bundesweit Aufsehen erregt. Dementsprechend groß ist zum geplanten Prozessauftakt der Medienandrang im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Ravensburg. Doch die Fotografen und Fernsehteams warten vergeblich darauf, den Angeklagten vor ihre Kameras zu bekommen. Rund 20 Minuten, nachdem sie sich hinter einem Absperrband positioniert haben, gibt Richter Stefan Maier bekannt, dass der 54-Jährige sich in seiner Zelle Schnittwunden am linken Unterarm zugefügt und nach eigenen Angaben Schlafmittel eingenommen habe. Sein Zustand sei nicht lebensbedrohlich, aber es gebe Zweifel ein seiner Verhandlungsfähigkeit – weshalb der Richter den Prozessauftakt zunächst auf 14.30 Uhr verschiebt.
Das Ergebnis einer erneuten medizinischen Untersuchung zur Mittagszeit lässt einen Verhandlungsbeginn an diesem Tag allerdings nicht mehr zu. In einer Mitteilung an das Landgericht, die Richter Maier verliest, berichtet Thomas Mönig, Leiter der Justizvollzugsanstalt Ravensburg, dass der 54-Jährige zwar zunehmend wacher werde, auf Ansprache aber „garstig“reagiere. Ob der Mann ins Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg verlegt werden muss, werde noch geprüft. Den Vorfall wertet man in der JVA als „nicht ganz unernst gemeinten Suizidversuch“. Womit der Gefangene sich die Schnittverletzungen zugefügt hat, sei nach bisherigen Ermittlungen noch unklar, sagt Mönig der „Schwäbischen Zeitung“.
Im Haftraum habe man „keinen Gegenstand gefunden, der augenscheinlich als Werkzeug benutzt wurde“. Der Mann sei einzeln untergebracht, da er zum einen „für eine Gemeinschaft nicht zugänglich und geeignet“sei und es zum anderen nach fortlaufender fachlicher Einschätzung „keine Anzeichen für eine akute und aktuelle Gefahr von Selbstverletzungen“gegeben habe. Auch Franz Bernhard, Pressereferent des Landgerichts Ravensburg, gibt zu verstehen, dass ein Suizidversuch aus Sicht des Gerichts nicht absehbar war und von daher überraschend kam.
Suizide hat es in der Vergangenheit allerdings in der JVA Ravensburg schon mehrfach gegeben. Der bekannteste Fall ist der eines 53-jährigen Häftlings, der im Ravensburger Ortsteil Untereschach drei Familienmitglieder getötet haben soll und sich vor zwei Jahren im Gefängnis erhängte. Der Mann hatte in einer Drei-Mann-Zelle auf seinen Prozess gewartet. Im Gegensatz zum mutmaßlichen Supermarkterpresser galt er aber zuvor schon als stark suizidgefährdet. Hermann Assfalg, Chefarzt im Zentrum für Psychiatrie in Weißenau, will sich zum aktuellen Fall zwar nicht äußern, weil er im Prozess als Sachverständiger fungieren wird. Generell gibt er aber zu verstehen, dass die Tage vor dem Beginn eines Gerichtsprozesses für Angeklagte „problematisch“seien. „Das ist eine Belastungssituation, in der es – je nach Person und Situation – zu gewissen Handlungen kommen kann“, sagt er.
Der mutmaßliche Supermarkterpresser, ein 54-jähriger Mann aus dem Raum Tübingen, ist wegen versuchten Mordes in fünf Fällen, besonders schwerer räuberischer Erpressung in sieben Fällen und gemeingefährlicher Vergiftung angeklagt. Nach seiner Festnahme vor fast genau einem Jahr hatte er beim Haftrichter zwar eingeräumt, jener Mann zu sein, der zwei Wochen zuvor in fünf Geschäften in Friedrichshafen je ein Glas mit vergifteter Babynahrung in die entsprechenden Regale gestellt hatte. Näher äußern wollte er sich zu den Vorwürfen seitdem aber nicht.
11,75 Millionen Euro gefordert
Der Mann soll in einem per E-Mail verschickten Erpresserschreiben von sieben Handelskonzernen insgesamt 11,75 Millionen Euro gefordert und damit gedroht haben, 20 vergiftete Lebensmittel in verschiedenen Lebensmittel- und Drogeriemärkten im In- und Ausland in Umlauf zu bringen. Die vorab platzierten Gläser Babynahrung, die Ethylenglycol in einer für Babys und Kleinkinder tödlichen Dosis enthielten, sollten der Forderung Nachdruck verleihen. Die Polizei konnte die Gläser schnell finden und sicherstellen. Aufgrund zahlreicher und zum Teil sehr detaillierter Hinweise aus der Bevölkerung nahm die Polizei einen Verdächtigen fest – jenen Mann, der sich nun vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Ravensburg verantworten muss.