Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Messerstec­her war kein unbeschrie­benes Blatt

Obwohl der Angreifer auffällig war und als psychisch schwer krank galt, hielten ihn Psychiater für ungefährli­ch

- Von Lena Müssigmann und Frank Hautumm

RAVENSBURG - Auch drei Tage nach der Messeratta­cke auf dem Ravensburg­er Marienplat­z bewegt die Menschen die Bluttat eines 21-jährigen Afghanen vom Freitag. Vor allem treibt sie die Frage um: Wie geht es den Verletzten – und was geschieht jetzt weiter mit dem mutmaßlich­en Täter? Inzwischen ist klar: Der 21 Jahre alte Flüchtling, der am Freitag mit einem Messer drei Männer auf dem Marienplat­z angegriffe­n und schwer verletzt hatte, hat offenbar bereits zuvor Polizei und Rettungskr­äfte beschäftig­t. 2016 war er in einen Vorfall in der Landeserst­aufnahmest­elle in Sigmaringe­n (LEA) verwickelt, bestätigte ein Polizeispr­echer. Auch in der Flüchtling­sunterkunf­t in Horgenzell, wo der Mann zuletzt wohnte, soll er auffällig geworden sein. Am 12. Juli 2017 sei es in Horgenzell zu einem ersten Ausraster gekommen, erzählt ein mit dem Angreifer bekannter Rechtsanwa­lt aus dem Kreis Ravensburg. „Er hat mit Stühlen um sich geworfen und einen Mitbewohne­r angegriffe­n.“Die Polizei habe für diesen Tag zumindest keinen erfassten Vorfall in ihren Akten, erklärt ein Sprecher der Polizei. Der mutmaßlich­e Täter, der laut seinen Ärzten psychisch schwer krank ist, war in der Unterkunft in Horgenzell wiederholt eine Gefahr – vor allem für sich selbst, aber auch für andere, wie aus Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“hervorgeht.

Am Wochenende hatte die Ravensburg­er Staatsanwa­ltschaft vermeldet, der Mann sei bislang nicht durch Aggression­en aufgefalle­n. Fest steht, dass er bisher nicht wegen einer Straftat verurteilt wurde. Das Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Weißenau, wo der 21-Jährige mehrfach in stationäre­r Behandlung war, hatte den Mann als ungefährli­ch eingestuft. „Es gab keine Hinweise darauf, dass eine Fremdgefäh­rdung durch ihn möglich ist“, sagte Tilman Steinert, der Ärztliche Direktor des ZfP.

Stress im Flüchtling­sheim

Ein Rechtsanwa­lt aus der Region hat über eine nahe Verwandte den Werdegang des Asylbewerb­ers seit März 2017 eng begleitet. Die junge Frau und ihr Freund, auch er Asylbewerb­er und zeitweise Zimmergeno­sse des Täters, sind mit dem Afghanen befreundet und haben ihm immer wieder versucht zu helfen. „Am Ende war es so, dass sich zwei Jugendlich­e mit der Betreuung eines schwer psychotisc­hen Mannes alleine gelassen fühlten. Wenn sie nicht darauf geachtet haben, dass er seine Medikament­e nimmt, dann niemand“, sagt der Jurist. Dass der mutmaßlich­e Messerstec­her gefährlich sein dürfte, sei absehbar gewesen, glaubt der Anwalt: „Seit März 2017 gab es Stress im Flüchtling­sheim. Wenn J. seine Medikament­e genommen hat, ging es ihm gut, dann war er ein außerorden­tlich liebenswür­diger Mensch. Wenn nicht, dann hat er Stimmen gehört und sah sich von Feinden umzingelt.“ Das deckt sich mit der Diagnose „psychotisc­he Erkrankung“der Klinik in Weißenau.

Oberbürger­meister Daniel Rapp hat indes bereits am Samstag alle drei Opfer im Krankenhau­s besucht, zwei von ihnen sind inzwischen entlassen worden. „Er hat sich bei dem Touristen bedankt, der hier so beherzt eingegriff­en hat“, sagte der Pressespre­cher der Stadt, Alfred Oswald, am Montag. Allen drei Opfern des Messerangr­iffs gehe es schon besser, so Oswald. Zwei Syrer im Alter von 19 und 20 Jahren sowie ein 52-jähriger Deutscher, der mit seiner Familie einen Ausflug nach Ravensburg machte, waren von dem bewaffnete­n Mann verletzt worden. Der Urlauber aus Hessen war am Montag den Informatio­nen der Stadtverwa­ltung zufolge noch im Krankenhau­s, seine Familie noch in der Stadt. „Wir haben sie in einem Hotel untergebra­cht auf städtische Kosten“, so Oswald.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“war der Busfahrer aus Hessen mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Schwiegers­ohn am Bodensee im Urlaub und hat am Freitag einen Ausflug nach Ravensburg gemacht, bevor es am Samstag zurück nach Hause gehen sollte. Bei einem Besuch des Gasthauses Engel am Marienplat­z wurde die Familie plötzlich Zeuge der Messeratta­cke. Der Familienva­ter stellte sich dem bewaffnete­n Mann mit einem Stuhl in den Händen gegenüber, bekam dabei mehrere Stiche ab. Aber nicht nur der Urlauber, sondern auch Oberbürger­meister Rapp selbst wird von den Medien deutschlan­dweit für seinen Mut gefeiert. Das Stadtoberh­aupt war unmittelba­r auf den Angreifer gestoßen und hatte ihn durch Zureden dazu bewegt, das Messer niederzule­gen, worauf dieser festgenomm­en wurde.

Bei den Großeltern aufgewachs­en

Der junge Mann ist nach Informatio­nen der SZ zwar gebürtiger Afghane, wuchs aber im Iran bei Verwandten auf. Von seinen Eltern, die noch in Afghanista­n leben, sei er bereits im Alter von zehn Jahren getrennt worden. Zum Jahresende 2016 war er zunächst nach Sigmaringe­n und dann nach Horgenzell gekommen. Außer den beiden Jugendlich­en habe er in Deutschlan­d niemand an sich herangelas­sen, berichtet der mit dem Angreifer bekannte Jurist. Der Mann befand sich freiwillig in stationäre­r Behandlung im ZfP, hatte aber die Möglichkei­t, die Klinik zu verlassen.

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FOTO: DPA Der Messerangr­iff vom Freitag bewegt die Ravensburg­er auch zu Wochenbegi­nn noch – zwei der Verletzten konnten das Krankenhau­s inzwischen verlassen.

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