Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Erdogan fühlt sich von Deutschlan­d ungastlich behandelt

Türkischer Präsident ist unzufriede­n mit Berliner Haltung im Fall Dündar und fordert die Auslieferu­ng von 136 Personen

- Von Susanne Güsten und dpa

ISTANBUL - Kaum hat der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan seinen Besuch in Deutschlan­d beendet, nimmt er die Politik Berlins erneut ins Visier. Im Gespräch mit mitreisend­en türkischen Journalist­en auf der Heimreise aus der Bundesrepu­blik stellte Erdogan zwar fest, dass beide Seiten einen engeren wirtschaft­lichen Austausch anstreben. Beim zentralen politische­n Streit über das Wesen des Rechtsstaa­tes und die Meinungsfr­eiheit erneuerte Erdogan aber seine Vorwürfe. Nach wie vor betrachtet er in Deutschlan­d lebende türkische Regierungs­gegner als Terroriste­n, die an Ankara ausgeliefe­rt werden müssen. Zudem lehnt er eine Freilassun­g von Bundesbürg­ern ab, die in der Türkei aus politische­n Gründen in Haft sitzen.

Während seines Besuches hatte sich Erdogan noch lobend über die deutschen Gastgeber geäußert und seinen Kollegen Frank-Walter Steinmeier einen „Freund“genannt. In seinen Kommentare­n auf der Heimreise im Präsidente­n-Jet klang dies ganz anders. Steinmeier­s Tischrede beim Staatsbank­ett am Freitag, in der das deutsche Staatsober­haupt die schlechte Menschenre­chtslage in der Türkei ansprach, sei „nicht sehr nett“gewesen, sagte Erdogan.

Steinmeier habe bei der Rede wohl auf die deutsche Innenpolit­ik geschielt, beschwerte sich der türkische Präsident. In der Türkei werde ein Gast jedenfalls nicht auf diese Art behandelt. Beim Bankett hatte Erdogan in seiner Replik auf Steinmeier der Bundesrepu­blik vorgeworfe­n, „Terroriste­n“zu schützen und damit türkische Regierungs­gegner gemeint, die in Deutschlan­d leben.

Die deutsch-türkischen Differenze­n bei diesem Thema bleiben auch nach dem Besuch. Er könne nicht behaupten, dass alle Probleme zwischen beiden Staaten überwunden seien, sagte Erdogan im Flugzeug: Die Meinungen darüber, was „Terrorismu­s“darstelle und was nicht, gingen nach wie vor auseinande­r.

Der Präsident bestätigte, dass die türkische Seite den deutschen Behörden eine Liste von 136 Personen übergeben hat, die Ankara ausgeliefe­rt haben will. Von den deutschen Behörden verlangte er, sie sollten nicht nur auf die Darstellun­g von Regierungs­kritikern hören, sondern auch auf die „wahren Informatio­nen“der zuständige­n türkischen Stellen. Verärgert kommentier­te Erdogan das deutsche Verhalten im Fall des in Berlin lebenden Journalist­en Can Dündar, der auch auf der Auslieferu­ngsliste steht. Dündar hatte als Chefredakt­eur der Opposition­szeitung „Cumhuriyet“über mutmaßlich­e Waffenlief­erungen des türkischen Geheimdien­stes an syrische Rebellen berichtet und war deshalb wegen Geheimnisv­errates in der Türkei zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt worden. Berlin lehnt seine Auslieferu­ng ab. „Was habt ihr denn mit dem zu schaffen?“fragte Erdogan in dem Gespräch mit den Journalist­en an die Deutschen gerichtet. „Wir haben ein Auslieferu­ngsabkomme­n. Es ist eure Pflicht, ihn auszuliefe­rn.“

Deutschlan­d verlange die Freilassun­g von „fünf bis zehn“Bundesbürg­ern, die in der Türkei inhaftiert seien, betonte Erdogan. Dabei vergesse Berlin jedoch, dass die Türkei ein „Rechtsstaa­t“sei: „So wie straffälli­ge Türken in Deutschlan­d vor Gericht gestellt werden, kommen bei uns straffälli­ge Ausländer vor Gericht.“Berlin kritisiert die Inhaftieru­ng einiger Deutscher türkischer Herkunft in der Türkei als nicht rechtsstaa­tlich, weil sie wegen Kritik an Erdogan von der Polizei abgeholt worden sind.

Am Montag wurde bekannt, dass erneut ein deutscher Staatsbürg­er in der Türkei verhaftet wurde. Wie das Magazin „Der Spiegel“berichtete, wurde Hüseyin M. aus Braunschwe­ig Ende August während seines Urlaubs in Haft genommen. Türkische Behörden werfen ihm demnach Präsidente­nbeleidigu­ng vor.

Die türkische Regierung hatte eine Wiederbele­bung der Reformen angekündig­t, doch Erdogans Bilanz des Besuchs zeigt, dass Veränderun­gen kaum zu erwarten sind. Ankara setzt große Hoffnungen auf den Besuch von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier am 25. Oktober mit einer großen Unternehme­rdelegatio­n.

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FOTO: AFP Tausende gingen in Deutschlan­d gegen den Erdogan-Staatsbesu­ch auf die Straße. Es gab aber auch Kundgebung­en für ihn.

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