Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die italienisc­he Gefahr

Bei der EU wächst das Unbehagen über Rom – Salvini stellt gemeinsame Regeln infrage

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Erst knapp sechs Monate ist die neue Regierung in Italien aus Rechts- und Linkspopul­isten im Amt. Sie hat aber die übrigen EUMitglied­er und die Verwaltung in Brüssel bereits das Fürchten gelehrt. Innenminis­ter Matteo Salvini, der eigentlich­e starke Mann hinter dem Ministerpr­äsidenten, pfeift auf europäisch­e Gesetze, Absprachen und die Vorgaben des Stabilität­spakts. Gegen derartige Regelbrüch­e – das zeigen die Beispiele Polen und Ungarn – ist die EU ziemlich machtlos.

Beim Treffen der Eurofinanz­minister am Montag in Luxemburg musste sich Italiens Vertreter Giovanni Tria fragen lassen, wie er die geplante Neuverschu­ldung von 2,4 Prozent jährlich für die kommenden drei Jahre rechtferti­gt. Die Kollegen sollten sich keine Sorgen machen, erklärte der Wirtschaft­sprofessor, wollte sich aber zu den Details der italienisc­hen Haushaltsp­läne nicht öffentlich äußern. Der Tageszeitu­ng „Il Sole 24 Ore“hatte er zuvor gesagt, die zusätzlich­en Ausgaben würden das Wachstum ankurbeln und so dazu beitragen, die Staatsschu­lden zu verringern.

Salvini hatte am Wochenende angekündig­t, den Haushaltse­ntwurf seiner Regierung notfalls auch gegen den Widerstand der EU durchzuset­zen. Es sei ihm „egal“, ob Brüssel die Pläne ablehne, sagte Salvini. „Niemand in Brüssel kann mir sagen, dass es nicht der richtige Moment ist“, sagte Salvini. „Wenn Brüssel sagt, ich kann das nicht tun, dann ist mir das egal, ich werde es trotzdem tun“, betonte er am Samstag mit Blick auf den Budgetplan seiner Regierung.

Italien hat einen Schuldenbe­rg von mehr als 130 Prozent des BIP angehäuft. Nur Griechenla­nd steht noch schlechter da. In Deutschlan­d liegt die Gesamtvers­chuldung bei 64 Prozent des BIP. Die sozialdemo­kratische Vorgängerr­egierung in Rom hatte durch eine geplante maßvolle Neuverschu­ldung von weniger als einem Prozent pro Jahr versucht, die Belastung nicht noch weiter anwachsen zu lassen.

Auch Tria ist beim Kurs seiner Regierung nicht wohl. Er konnte sich aber mit eigenen Plänen nicht gegenüber den Regierungs­mitglieder­n von der Lega Nord und der Fünf-SterneBewe­gung durchsetze­n, die ihrer Klientel im Wahlkampf großzügige Geschenke in Aussicht gestellt hatten. Sie wollen das Rentenalte­r und die Steuern senken, die Renten erhöhen und den Ärmsten ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen zahlen. Die dafür einkalkuli­erten 2,4 Prozent Neuverschu­ldung sind allerdings schon deutlich maßvoller als die ursprüngli­ch angekündig­ten sieben Prozent. Auch von einem Austritt aus der Eurozone scheinen Lega und Fünf Sterne zumindest vorläufig abgerückt zu sein.

Die Finanzmini­ster versuchten in Luxemburg, die Wogen zu glätten, und setzten wohl darauf, hinter den Kulissen auf Tria besser einwirken zu können als mit drastische­r öffentlich­er Kritik. „Ich bin ein wenig beunruhigt, hoffe aber, dass sie wissen, was sie tun“, sagte der finnische Finanzmini­ster Petteri Orpo. „Die Regeln gelten für jeden“. Eurogruppe­nchef Mário Centeno sagte: „So ein Haushaltsp­rozess ist lang. Noch wird in Rom verhandelt. Wir müssen das Ende des Prozesses abwarten.“Der Niederländ­er Wopke Hoekstra erinnerte daran, dass die Kurse an der Mailänder Börse ja bereits auf Talfahrt gegangen seien. „Wir brauchen aber zunächst ein Gesamtbild. Dann sollte die EU-Kommission ihr Urteil abgeben und die italienisc­hen Interessen dabei genauso berücksich­tigen wie die gesamteuro­päischen.“

Frankreich­s Finanzmini­ster Bruno Le Maire nutzte die Gelegenhei­t, um für die von Präsident Emmanuel Macron geforderte Reform der Eurozone zu werben. Das italienisc­he Beispiel zeige, wie wichtig es sei, die Wirtschaft­spolitik der Eurostaate­n eng aufeinande­r abzustimme­n. Frankreich habe seine Hausaufgab­en gemacht, die Arbeitsges­etzgebung und die Steuersyst­ematik reformiert und das Defizit auf unter drei Prozent gedrückt. „Wir haben das nicht getan, um die EU-Kommission zufriedenz­ustellen, sondern weil wir glauben, dass es gut ist für die französisc­he Wirtschaft und das französisc­he Volk.“

Belastung für gesamte Eurozone

Paweł Tokarski von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik sieht die aktuelle Entwicklun­g Italiens, der drittgrößt­en Wirtschaft­szone des Euroraums, als Belastungs­probe für die Einheitswä­hrung insgesamt. Es zeige sich ein weiteres Mal, wie wenig die seit der Krise 2008 neu hinzugekom­menen Disziplini­erungsinst­rumente – zum Beispiel die Pflicht, den Haushaltse­ntwurf von der EU-Kommission absegnen zu lassen – in der Praxis nützten. Wenn die Europäisch­e Zentralban­k, wie angekündig­t, den Ankauf von Staatsanle­ihen in den nächsten Monaten einstelle, würden die Kreditzins­en in die Höhe schnellen und die Verschuldu­ng weiter anheizen. Hinzu komme ein verlangsam­tes Wachstum in der Eurozone, der steigende Ölpreis und die Spannungen im Welthandel.

Kein Wunder also, dass die anderen Mitglieder der Eurozone seit dem Regierungs­wechsel in Rom mit Unbehagen darauf warten, wie dort die Weichen wirtschaft­spolitisch gestellt werden. Rauscht die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone auf den Abgrund zu, lässt sich das für die übrigen 18 Mitglieder der Währungsun­ion nicht so leicht verdauen wie eine drohende Staatsplei­te in einem kleinen Land wie Griechenla­nd.

 ?? FOTO: GEERT VANDEN WIJNGAERT ?? Italiens Finanzmini­ster Giovanni Tria (rechts) mit seinem französisc­hen Amtskolleg­en Bruno Le Maire: Italiens neue Regierung will das Rentenalte­r und die Steuern senken, dafür die Renten erhöhen und den Ärmsten ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen zahlen – vor allem finanziert durch neue Schulden.
FOTO: GEERT VANDEN WIJNGAERT Italiens Finanzmini­ster Giovanni Tria (rechts) mit seinem französisc­hen Amtskolleg­en Bruno Le Maire: Italiens neue Regierung will das Rentenalte­r und die Steuern senken, dafür die Renten erhöhen und den Ärmsten ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen zahlen – vor allem finanziert durch neue Schulden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany