Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die Landfrauen – ein starkes Netzwerk“
Doris Härle referierte beim Kreiserntedankfest über „100 Jahre Frauenwahlrecht“
OFFINGEN - Wenn die Felder abgeerntet und die Früchte eingebracht sind, ist es guter Brauch, zu danken. Am Sonntag lud daher der Kreisbauernverband Biberach-Sigmaringen auf den Bussen ein, wo ein feierlicher Gottesdienst stattfand, den der Musikverein und der Kirchenchor Offingen umrahmten. Die Sonne drang durch die Kirchenfenster und ließ den herrlich gestalteten Erntedankaltar nebst Früchteteppich in allen Farben erstrahlen. Alle örtlichen Vereine marschierten mit ihren Fahnen ein und sorgten ebenso für ein farbenfrohes Gotteshaus. Bussenpfarrer Albert Menrad feierte in Konzelebration mit Diakon Oliver Mayer den Festgottesdienst. Im Anschluss lud der Kreisbauernverband Biberach-Sigmaringen zur Nachfeier in den Offinger Adler. Als Hauptrednerin trat erstmals Doris Härle, Vorsitzende der Landfrauen im Kreisverband, auf.
Auf den Punkt gebracht habe Bussenpfarrer Albert Menrad mit seiner Predigt das Thema „Ernte“, so Kreisobmann Gerhard Glaser. Man müsse auch mal sagen können: „Es geht, es reicht, was wir geerntet haben.“Dabei ist er sich sicher, dass der Wettersegen geholfen habe. Die volle Kirche am Morgen habe bei ihm zudem ein stärkendes Gefühl hinterlassen. „Man hat das Gefühl, man ist nicht allein“, so der Kreisobmann. Mit ihrem Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“, das dieses Jahr gefeiert werde, habe Doris Härle sicher den Nagel auf den Kopf getroffen, war sich Glaser sicher. „Es ist was gewachsen und es gedeiht weiter etwas, das sehen wir bei uns, wo sich Männer und Frauen ergänzen.“Nur so sei es auch möglich, dass Bäuerinnen und Bauern dafür sorgen, hervorragende Lebensmittelqualität zu erzeugen.
Als sie ihr Thema für diesen Tag in Offingen ausgesucht habe, sei ihr bewusst geworden, wie die Frauen in den vergangenen 100 Jahren um ihre Rechte gekämpft haben und manche Rechte auch heute noch einfordern, sagte Härle. So durften Frauen bis ins Jahr 1902 Versammlungen und Sitzungen politischer Vereine nicht beiwohnen. Im Lauf der Jahre gründeten sich immer mehr Frauenvereine mit dem Ziel der beruflichen und politischen Gleichstellung. Aber als das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für männliche Bürger im Jahr 1871 eingeführt wurde, blieben die Frauen wieder ausgeschlossen. 1902 durften sie zwar an politischen Versammlungen teilnehmen, „aber nur in einem Séparée ohne Gemütsregung“.
Am 12. November 1918 wurde dann das allgemeine Wahlrecht für Personen, männlich oder weiblich, ab 20 Jahren eingeführt und ein Jahr später fanden dann die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung statt. 300 Frauen kandidierten und fast zehn Prozent von ihnen zogen ins Parlament ein. Nach dem Wahlrecht wurde im Jahr 1957 das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau verabschiedet. Was sicher schon längst überfällig war, denn bis zum Jahr 1956 gab es in Baden-Württemberg zum Beispiel ein Lehrerinnenzölibat. Wenn die Lehrerinnen heirateten, mussten sie aus dem Staatsdienst ausscheiden. Erst ab dem Jahr 1969 wurde eine verheiratete Frau als geschäftsfähig angesehen. „Vorher war sie für die drei Ks zuständig: Kinder, Küche und Kirche. Bei den Bäuerinnen kam noch ein viertes K dazu, die Kühe“, sagte Doris Härle.
„Bis heute hat sich auf den Höfen viel geändert, Frauen übernehmen Verantwortung, machen zum Beispiel die Buchhaltung“, so die Kreisvorsitzende. Dazu komme, dass der Verband die Landfrauen unterstütze, Kurse, Seminare und auch Umschulungen anbiete, sodass sich die Landfrauen auch selbständig machen können. Dabei spielt auch die Ernährung eine große Rolle. Lehrfahrten, Kochkurse und spezielle Fachliteratur liegt auf.
Noch viele Forderungen
„Wir haben im Verband für Frauen ein starkes Netzwerk“, sagte Härle. „Da wir Frauen eine höhere Lebenserwartung haben und somit auch einen längeren Atem“, so die Landfrauenchefin, „haben wir noch eine ganze Reihe weiterer Forderungen“. Ob gesundheitliche Versorgung der Familie, Stärkung der Hebammen und Versorgungssituation im ländlichen Raum, Ausbau der Betreuungs- und Pflegeangebote, der gleiche Lohn für gleiche Arbeit und natürlich auch ein gleichwertiger Frauenanteil in Gremien und Führungspositionen, waren nur ein Teil ihres Forderungskatalogs.