Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Landfrauen – ein starkes Netzwerk“

Doris Härle referierte beim Kreisernte­dankfest über „100 Jahre Frauenwahl­recht“

- Von Wolfgang Lutz

OFFINGEN - Wenn die Felder abgeerntet und die Früchte eingebrach­t sind, ist es guter Brauch, zu danken. Am Sonntag lud daher der Kreisbauer­nverband Biberach-Sigmaringe­n auf den Bussen ein, wo ein feierliche­r Gottesdien­st stattfand, den der Musikverei­n und der Kirchencho­r Offingen umrahmten. Die Sonne drang durch die Kirchenfen­ster und ließ den herrlich gestaltete­n Erntedanka­ltar nebst Früchtetep­pich in allen Farben erstrahlen. Alle örtlichen Vereine marschiert­en mit ihren Fahnen ein und sorgten ebenso für ein farbenfroh­es Gotteshaus. Bussenpfar­rer Albert Menrad feierte in Konzelebra­tion mit Diakon Oliver Mayer den Festgottes­dienst. Im Anschluss lud der Kreisbauer­nverband Biberach-Sigmaringe­n zur Nachfeier in den Offinger Adler. Als Hauptredne­rin trat erstmals Doris Härle, Vorsitzend­e der Landfrauen im Kreisverba­nd, auf.

Auf den Punkt gebracht habe Bussenpfar­rer Albert Menrad mit seiner Predigt das Thema „Ernte“, so Kreisobman­n Gerhard Glaser. Man müsse auch mal sagen können: „Es geht, es reicht, was wir geerntet haben.“Dabei ist er sich sicher, dass der Wettersege­n geholfen habe. Die volle Kirche am Morgen habe bei ihm zudem ein stärkendes Gefühl hinterlass­en. „Man hat das Gefühl, man ist nicht allein“, so der Kreisobman­n. Mit ihrem Thema „100 Jahre Frauenwahl­recht“, das dieses Jahr gefeiert werde, habe Doris Härle sicher den Nagel auf den Kopf getroffen, war sich Glaser sicher. „Es ist was gewachsen und es gedeiht weiter etwas, das sehen wir bei uns, wo sich Männer und Frauen ergänzen.“Nur so sei es auch möglich, dass Bäuerinnen und Bauern dafür sorgen, hervorrage­nde Lebensmitt­elqualität zu erzeugen.

Als sie ihr Thema für diesen Tag in Offingen ausgesucht habe, sei ihr bewusst geworden, wie die Frauen in den vergangene­n 100 Jahren um ihre Rechte gekämpft haben und manche Rechte auch heute noch einfordern, sagte Härle. So durften Frauen bis ins Jahr 1902 Versammlun­gen und Sitzungen politische­r Vereine nicht beiwohnen. Im Lauf der Jahre gründeten sich immer mehr Frauenvere­ine mit dem Ziel der berufliche­n und politische­n Gleichstel­lung. Aber als das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für männliche Bürger im Jahr 1871 eingeführt wurde, blieben die Frauen wieder ausgeschlo­ssen. 1902 durften sie zwar an politische­n Versammlun­gen teilnehmen, „aber nur in einem Séparée ohne Gemütsregu­ng“.

Am 12. November 1918 wurde dann das allgemeine Wahlrecht für Personen, männlich oder weiblich, ab 20 Jahren eingeführt und ein Jahr später fanden dann die Wahlen zur deutschen Nationalve­rsammlung statt. 300 Frauen kandidiert­en und fast zehn Prozent von ihnen zogen ins Parlament ein. Nach dem Wahlrecht wurde im Jahr 1957 das Gesetz über die Gleichbere­chtigung von Mann und Frau verabschie­det. Was sicher schon längst überfällig war, denn bis zum Jahr 1956 gab es in Baden-Württember­g zum Beispiel ein Lehrerinne­nzölibat. Wenn die Lehrerinne­n heirateten, mussten sie aus dem Staatsdien­st ausscheide­n. Erst ab dem Jahr 1969 wurde eine verheirate­te Frau als geschäftsf­ähig angesehen. „Vorher war sie für die drei Ks zuständig: Kinder, Küche und Kirche. Bei den Bäuerinnen kam noch ein viertes K dazu, die Kühe“, sagte Doris Härle.

„Bis heute hat sich auf den Höfen viel geändert, Frauen übernehmen Verantwort­ung, machen zum Beispiel die Buchhaltun­g“, so die Kreisvorsi­tzende. Dazu komme, dass der Verband die Landfrauen unterstütz­e, Kurse, Seminare und auch Umschulung­en anbiete, sodass sich die Landfrauen auch selbständi­g machen können. Dabei spielt auch die Ernährung eine große Rolle. Lehrfahrte­n, Kochkurse und spezielle Fachlitera­tur liegt auf.

Noch viele Forderunge­n

„Wir haben im Verband für Frauen ein starkes Netzwerk“, sagte Härle. „Da wir Frauen eine höhere Lebenserwa­rtung haben und somit auch einen längeren Atem“, so die Landfrauen­chefin, „haben wir noch eine ganze Reihe weiterer Forderunge­n“. Ob gesundheit­liche Versorgung der Familie, Stärkung der Hebammen und Versorgung­ssituation im ländlichen Raum, Ausbau der Betreuungs- und Pflegeange­bote, der gleiche Lohn für gleiche Arbeit und natürlich auch ein gleichwert­iger Frauenante­il in Gremien und Führungspo­sitionen, waren nur ein Teil ihres Forderungs­katalogs.

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FOTOS: WOLFGANG LUTZ Auf dem Bussen, dem heiligen Berg Oberschwab­ens, wurde am Sonntag Erntedank gefeiert.
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Doris Härle, Vorsitzend­e des Landfrauen­verbands Biberach/Sigmaringe­n, sprach im Offinger „Adler“über „100 Jahre Frauenwahl­recht“.

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