Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Judas, ein Mensch

Ensemble-Neuzugang Markus Hottgenrot­h gelingt in einem Monolog von Lot Vekemans ein sensibles Porträt des größten aller Verräter

- Von Marcus Golling

ULM - „Was siehst du?“fragt ihn sein Meister Jesus immer wieder. Doch Judas sieht in dem Stein nur einen Stein. Nach Stunden des Steinbetra­chtens erzählt der Gefragte irgendetwa­s von einem Mann und seinem überladene­n Esel, von einer Schildkröt­e, von einem Ei, doch der Stein bleibt für ihn – ein Stein. Jesus, sein Meister, vermag es, hinter die Dinge zu blicken. Judas kann es nicht. Er ist nur ein gewöhnlich­er Mensch. Ein Mensch, der einen Fehler gemacht hat, den er nicht mehr gut machen kann.

Mit dem Monolog „Judas“der holländisc­hen Autorin Lot Vekemans, inszeniert von der neuen Theaterpäd­agogin Charlotte van Kerckhoven und gespielt von Schauspiel-Neuzugang Markus Hottgenrot­h, hat das Theater Ulm seinen Premierenm­arathon zum Auftakt der neuen Intendanz am Sonntagabe­nd beschlosse­n. Nicht im Podium oder dem Großen Haus, sondern im Ulmer Münster. Ein Ort, der nicht nur wegen des (zumindest vordergrün­dig) religiösen Themas passt: Schließlic­h ist das Münster Symbol der Stadt und des Bürgerstol­zes. Ein Gebäude, wo der Mensch ganz klein ist angesichts der Großtaten früherer Generation­en. Gespielt wird aber nicht im Schiff, sondern in der beengten Turmhalle, gleichzeit­ig Gedenkstät­te für gefallene Soldaten der Weltkriege.

Eigentlich hätte das Theater Ulm dort lieber einen anderen, bekanntere­n Judas-Monolog gezeigt: den von Walter Jens, in dem sich der gefallene Apostel als entscheide­nden Akteur in göttlichen Heilsplan vorstellt: Ohne Verrat keine Kreuzigung, ohne Kreuzigung keine Erlösung. Doch die Aufführung­srechte für „Ich, ein Jud“waren für Ulm finanziell nicht zu stemmen.

Wohl ein Grund: Schauspiel­er Ben Becker tourt mit diesem Monolog seit 2015 durch die Kirchen des Bundesrepu­blik; vor zwei Jahren füllte er auch zwei Abende nacheinand­er die Ulmer Pauluskirc­he.

Lot Vekemans Judas, der seinen Namen niemals nennt, ist ganz anders als der in Walter Jens’ Text. Sein Verrat ist nicht der am Sohn Gottes, sondern am Menschen Jesus, der ihm Leitfigur und Freund war. Dieser Jesus, so erklärt der biblische Bösewicht, sei von der „idiotische­n Idee“des Erlösertod­es besessen gewesen: „Er hat angefangen, die Mythen über sich selbst zu glauben.“Er, Judas, habe ihn vor diesem Schicksal bewahren wollen. Ihm die Chance geben, vor den Hohepriest­ern und Pilatus zuzugeben, dass er nicht der Messias sei, um dann mit seinen Jüngern einfach weiterzuzi­ehen. „Er war außergewöh­nlich, aber doch ein Mensch aus Fleisch und Blut.“

Zurückhalt­end gespielt

Markus Hottgenrot­h, der vor seiner Hinwendung zur Schauspiel­erei katholisch­e Theologie (auf Priesteram­t) studierte, spielt Judas ganz anders als der für sein Pathos bekannte Ben Becker: verunsiche­rt, mit gesenktem Blick, Händen in den Hosentasch­en, nur selten laut.

Seine Spielfläch­e (Ausstattun­g: Hartmut Holz) ist ein Podest das mit Steinen aus der Münsterbau­hütte bedeckt ist, doch immer wieder wird das weitgehend dunkle Langhaus zum Schauplatz. Etwa, wenn er wütend über den Lügner und „Schisser“Petrus zu dessen dann angeleucht­eter Figur im Schiff stürmt.

So außergewöh­nlich die Leistung Hottgenrot­hs ist: Das Münster stiehlt ihm ein bisschen die Show. Mehr als nur eine Begleitung ist auch die Orgelmusik: Münsterkan­tor Friedemann Johannes Wieland spielt dunkle, aber auch tröstliche Werke, unter anderem von Philip Glass und Olivier Messiaen. Angesichts von so viel Größe aus Stein und Klang wirkt der gepeinigte Mensch Judas besonders klein.

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FOTO: KAUFHOLD Allein zwischen Steinen: Markus Hottgenrot­h als Judas in dem gleichnami­gen Monolog von Lot Vekemans, der bei der Premiere viel Applaus bekam.

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