Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das fremde Gefühl der Trauer
Henriette Dushes „Lupus in Fabula“erzählt bewegend vom schwierigen Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen
ULM - Zwei Schwestern wissen, dass der gefürchtete Anruf irgendwann kommen wird, der Anruf, mit dem sie die älteste Schwester ans Sterbebett des Vaters holt. Der Tod kommt auf leisen Sohlen, sie erwarten ihn in der Nacht. Als die Älteste sie dann aber ruft, ist es Montagnachmittag – und eine unausweichliche Begegnung der drei Schwestern im gemeinsamen Warten auf den Tod des Vaters reißt sie aus ihrem Alltag, wirft sie zurück auf sich selbst.
Der Sterbende selbst spielt – nicht nur physisch – keine Rolle im 2013 geschriebenen Stück „Lupus in Fabula“von Henriette Dushe, das Ivna Zic für das Podium des Theaters Ulm inszenierte. „Lupus in Fabula“ist ein wichtiges Stück, das nicht leicht auszuhalten ist, ein Stück über den Abschied und den Tod eines Elternteils und über die menschliche Unfähigkeit, mit dem Sterben umzugehen.
„Lupus in fabula“, der Wolf in der Geschichte – der Ausdruck war im alten Rom eine gängige Wendung, der etwa dem deutschen Sprichwort vom Teufel entspricht, der gerannt kommt, wenn man ihn nennt. In diesem Fall ist der Wolf der Tod, im Alltag tabuisiert, der mit Gewalt ins Leben einbricht. Drei sehr unterschiedliche Schwestern, jede auf ihre Weise egozentrisch, gehen mit ihrer Ohnmacht angesichts des sterbenden Vaters höchst unterschiedlich um. Letztes Weihnachten, da war er noch ein Baum von einem Kerl, und innerhalb von Monaten macht ihn eine Krankheit zu einem hilflosen, stinkenden Knochengerüst.
Die älteste Tochter (Tini Prüfert) hat ihr eigenes Leben aufgegeben, um den Vater zu pflegen, und sie versucht, ihr Entsetzen über das Erlebte in Worte zu fassen. Worte über Ausscheidungen und über eine Intimität, von der die Schwestern nichts wissen wollen. Auf ein Ende hoffend, hat sie sich bereits ein schwarzes Kleid gekauft und philosophiert über ihre Trauerrede.
Die mittlere Schwester (Nicola Schubert), gerade Mutter geworden, will das Sterben nicht wahrhaben und glaubt, den Vater im Leben festhalten zu können; die Jüngste (Franziska Maria Pößl) hadert mit privatem und beruflichem Stillstand.
Und dann sind da die Gefühle, die fremden eigenen Gefühle, zu denen die Schwestern keinen Zugang finden, während der Vater in der Phase der Agonie zumeist Unverständliches spricht oder auch in einem klaren Moment Hunger äußert. Die Realitätsflucht der drei Schwestern grenzt ans Absurde: Keine schafft eine menschliche Geste dem Sterbenden gegenüber; sie sprechen über ihn, wenden sich ihm letztlich aber nicht zu. Sie sind drei Eckpunkte eines Dreiecks, voneinander entfernt und im Bezug aufeinander.
Rivalität unter den Geschwistern
Der Text Henriette Dushes ist leise, poetisch, lässt viele Zwischentöne anklingen. Glaubwürdig sind auch die Szenen, in denen die Schwestern die Rivalität unter den Geschwistern, Neid und alte Konflikte und Sehnsüchte ausspielen, die unerfüllt blieben. Der Vater, der zu wenig Lob gab, der die Töchter ins Leben stellte und der darauf setzte, dass sie ihren Weg finden würden.
Dazwischen tauchen Urlaube an der See und Erinnerungen an schöne Momente mit dem Vater auf. Diesem vielschichtigen Text steht in Ivna Zics Inszenierung in Szenen viel Bewegung und manchmal zu viel Lautstärke gegenüber, die dann ein bisschen an Schauspielschule erinnert.
Das Podium des Theaters Ulm ist verändert: Es ähnelt nach einem Umbau endlich wieder der Werkstattbühne von einst, mit den – weit voneinander entfernten – originalen Drehstühlen von 1969 um das Sechseck, von denen aus der Zuschauer das Geschehen im Zentrum im Detail beobachten kann und ganz nah am Geschehen ist.