Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Satanische Geschichten
Angeklagte im Prozess um den Laupheimer Mordversuch berichten aus ihrem Leben
Prozess wegen Mordversuchs: Angeklagte berichten aus ihrem Leben.
RAVENSBURG/LAUPHEIM - Was ging im Februar in Laupheim in der Familie vor, die – laut Anklage – ihre jüngste, schwangere Tochter und Mutter eines zehn Monate alten Jungen mit mehreren Messern beinahe massakriert hat, weil sie offenbar ein außereheliches Verhältnis hat? Das Ravensburger Landgericht musste am gestrigen zweiten Verhandlungstag erfahren, dass es eine Antwort auf diese Frage wohl nur mit Hilfe von Zeugen gibt. Denn die vier Angeklagten – der Bruder der jungen Frau und ihr Ehemann nach islamischem Recht sowie ihre Eltern – machten keine Angaben zum Tatvorwurf. Nur zu ihren Lebensläufen äußerten sie sich.
Dabei ähneln sich die Geschichten der beiden Hauptangeklagten sehr. Beide wachsen in kinderreichen Familien auf, der eine in Libyen, der andere in Syrien. Um ihre Eltern bei der Finanzierung des Lebensunterhalts zu unterstützen, brechen sie frühzeitig die Schule ab und gehen arbeiten. Er träume davon, PC-Programmierer zu werden, erzählt der 20-jährige Bruder des Opfers dem Gericht. Seine Eltern seien vor seiner Geburt vom Libanon nach Libyen ausgewandert. Er berichtet von Kriegserlebnissen, von Leichen und Leichenteilen, die er den Familien der Toten überbracht haben will. In der Gesellschaft habe es die Familie schwer gehabt. „Wir waren Ausländer und wurden nicht gut behandelt. Hätte uns jemand getötet, hätte es niemanden interessiert“, erzählt er.
„Feinde der Revolution“
erzählt er, mit den Tränen kämpfend. Nur er, seine Frau und die beiden jüngsten Kinder blieben zusammen und kamen in eine Gemeinschaftsunterkunft nach Biberach. Es folgten mehrere Umzüge, weil es wohl wiederholt Stress mit Mitbewohnern gab. Über Ochsenhausen, BurgriedenBühl, Sommershausen und erneut Biberach landete die Familie im Januar 2018 in Laupheim.
Heirat nach einem Monat
Da war die 17-jährige Tochter bereits mit dem doppelt so alten Syrer „verheiratet“. Auch dieser war, so erzählt er dem Gericht, nach Deutschland geflüchtet, weil dort schon sein Bruder lebte und ihm eine bessere Zukunft in Aussicht stellte. Zurück ließ er seine Frau, die er geheiratet habe, als sie 15 war, und zwei Kinder. Über Wertheim und Warthausen landete er in Biberach, wo er die junge Libyerin kennenlernte. Einen Monat später hätten sie geheiratet. „Am gleichen Tag habe ich mich von meiner ersten Frau scheiden lassen“, behauptet der Syrer vor Gericht. Wirr und ebenso wenig glaubhaft klingen seine weiteren Schilderungen über die Beziehung zu seiner neuen Frau, mit der er nach Österreich zog. Das dortige Jugendamt habe ihnen aus nichtigem Grund den Sohn genommen und seine Frau schließlich samt dem Kleinen in ein Mutter-KindHeim gesteckt. Von dort seien die drei dann nach Deutschland zur Familie seiner Frau geflohen. Das Verhältnis zu seiner Frau bezeichnete er als gut, mit den „üblichen Problemen“.
Ihr Bruder saß zu dieser Zeit in UHaft, weil er einem Bekannten geholfen haben soll, ein (letztlich gescheitertes) islamistisches Attentat in Kopenhagen zu verüben. Seine Beziehung zum IS beschreibt er so: „Ich habe es bewundert, wie sie es geschafft haben, der ganzen Welt Angst zu machen.“Erst als er sich näher informiert habe, sei ihm klar geworden, „dass sie viele schlechte Sachen machen“. Heute „hasse“er den IS. Auch vom islamischen Glauben habe er sich abgewendet, vielmehr sei er überzeugt: „Die Macht liegt bei Satan.“Der habe auch ihn im Griff. Der 20-Jährige berichtete von mehreren Suizidversuchen während der aktuellen U-Haft in StuttgartStammheim. Ein Grund seien Schuldgefühle wegen der Inhaftierung seiner Eltern. Auf eine ursprünglich geplante Erklärung verzichtete er. „Ich möchte mich erst bei meiner Schwester persönlich entschuldigen“, sagte er.
Dazu dürfte es bald Gelegenheit geben. Denn zu den Zeugen, die an den weiteren neun Verhandlungstagen ab 19. Oktober vernommen werden, zählt auch das Opfer.