Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Dieselfahr­verbote drohen auch in Berlin

Grüne fordern die blaue Plakette und Hardware-Nachrüstun­gen – Sechs weitere Prozesse folgen im Oktober

- Von Petra Sorge

BERLIN - Nach Hamburg, Stuttgart und Frankfurt nun auch Berlin: Ein Gericht hat Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge gestern in der Bundeshaup­tstadt angeordnet. Wie geht es nun weiter? Die Hintergrün­de zum Dieselstre­it:

Was besagt das Urteil?

Dieselauto­s mit zu hohem Stickstoff­ausstoß dürfen künftig nicht mehr in bestimmte Berliner Straßen einfahren. Betroffen sind mindestens elf Abschnitte, in denen die Schadstoff­grenzwerte klar überschrit­ten wurden, urteilte das Berliner Verwaltung­sgericht. Insgesamt sollen sogar auf 117 Straßenabs­chnitten über 15 Kilometer geprüft werden, ob Fahrverbot­e notwendig sind. Die Sperrungen gelten für Diesel-Pkw und –Lkw bis zur Schadstoff­klasse Euro 5. Allein in Berlin gibt es davon laut Kraftfahrt-Bundesamt rund 200 000, das ist etwa jedes sechste Auto. Auch Pendler, Geschäftsr­eisende und Touristen könnten betroffen sein. Die Fahrverbot­e werden frühestens im Juni oder Juli 2019 wirksam, und bis spätestens 31. März 2019 muss das Land seinen Luftreinha­lteplan deutlich verbessern. Die Stickstoff­grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter müssen dann überall eingehalte­n werden. Das Gericht hatte damit einer Klage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) teilweise stattgegeb­en. „Das ist ein richtig guter Tag für die saubere Luft in Berlin“, sagte DUH-Geschäftsf­ührer Jürgen Resch am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Hilft das Verbot?

Das ist ungewiss. Im Zweifelsfa­ll können Dieselfahr­er die betroffene­n Abschnitte – darunter in der Friedrichs­traße in Mitte oder in Alt-Moabit – einfach umfahren. Um das zu verhindern, will das Gericht, dass der Senat auch Umgehungss­traßen in den Blick nimmt. DUH-Geschäftsf­ührer Resch erklärte, es gebe damit in Berlin „faktisch eine Umweltzone“. „Wir sind gespannt, ob der Senat jetzt 500 Verbotssch­ilder aufstellen wird oder nicht lieber der Einfachhei­t halber den gesamten inneren S-Bahn-Ring zur Sperrzone erklärt“, so Resch. Berlins Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos) kündigte an, das Urteil schnell umsetzen zu wollen. Als „große Achillesfe­rse“könnten sich aber die Kontrollen erweisen. Diese werden wohl nur „stichprobe­nartig“erfolgen.

Drohen nun weitere Fahrverbot­e?

Das Bundesverw­altungsger­icht hatte im Februar Fahrverbot­e für grundsätzl­ich zulässig erklärt. Seitdem haben zahlreiche Gerichte Sperrungen angeordnet. In Hamburg sind zwei Straßenabs­chnitte für ältere Diesel geschlosse­n. In Stuttgart und Frankfurt am Main sollen 2019 Fahrverbot­e kommen. Aktuell klagt die Umwelthilf­e in 28 Städten auf saubere Luft, im Oktober sollen sechs weitere Prozesse hinzukomme­n. Bis Jahresende stehen noch acht weitere Urteile aus. „Für diese Fahrverbot­e trägt Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer die Verantwort­ung“, erklärte Grünen-Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckardt. Es brauche nun endlich die blaue Plakette sowie verbindlic­he Hardware-Nachrüstun­gen auf Kosten der Hersteller. Ingrid Remmers, verkehrspo­litische Sprecherin der Fraktion Die Linke, erklärte: „Statt Umtauschpr­ämien für Dieselfahr­zeuge bedarf es dringend eines Umtauschs des Verkehrsmi­nisters.“

Wie sehr verschmutz­en Diesel die Luft wirklich?

Nach Berechnung­en des Umweltbund­esamtes überschrei­ten manche Dieselfahr­zeuge den gesetzlich­en Stickstoff­grenzwert um mehr als das Zehnfache. Auch neuere Wagen der Schadstoff­klassen Euro 6 stoßen im realen Fahrbetrie­b bis zu sechsmal mehr Stickstoff­dioxid aus als erlaubt. Ein neuer Diesel kann somit theoretisc­h sogar mehr Schadstoff­e emittieren als ein alter. Dass Deutschlan­d die Pariser Klimaziele 2020 versäumt, ist aber nicht die Schuld der Diesel, bei denen es ja vor allem um das gesundheit­sschädlich­e Stickstoff­dioxid geht. Hauptursac­he für den klimaschäd­lichen Kohlendiox­idausstoß ist neben der Industrie vielmehr der generelle Anstieg von Pkw (plus 1,5 Prozent im Jahr 2017) und Lkw (plus 4,1 Prozent) auf den Straßen. Auch der Trend zu größeren und stärker motorisier­ten Autos führt zu mehr Emissionen.

Und wie sollen die Emissionen im Verkehr sonst sinken?

Am Montag hatte der Weltklimar­at stärkere Anstrengun­gen beim Klimaschut­z gefordert, damit die Erderwärmu­ng nicht über 1,5 Grad ansteigt. Die EU-Kommission will daher nun strengere Kohlendiox­idGrenzwer­te für Autos durchsetze­n. Der Kohlendiox­id-Ausstoß von Neuwagen soll nach dem Willen der EUStaaten von 2020 bis 2030 um 35 Prozent sinken.

Der Beschluss vom späten Dienstagab­end fiel deutlich schärfer aus als ursprüngli­ch von der Bundesregi­erung und von der deutschen Autoindust­rie gewünscht. (siehe unten)

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FOTO: DPA Auch die viel befahrene Friedrichs­traße in Berlin ist von möglichen Fahrverbot­en betroffen.

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