Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Erst der Fahrplan, dann die Gleise

Bund will ein neues System für bessere Zuganschlü­sse vorantreib­en

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - In Hamburg, Frankfurt, Berlin oder München fahren die Züge am Hauptbahnh­of alle halbe Stunde gleichzeit­ig ein. Umsteigend­e kommen gleich weiter zur Fahrt in eine andere Metropole. Oder sie warten, bis sie 15 Minuten später in den Regionalve­rkehrszug steigen können, der sie an kleinere Zielorte bringt. Die Züge kommen pünktlich und erreichen schneller ihr Ziel. So etwa stellen sich die Experten der Schienenwi­rtschaft den Deutschlan­dtakt vor. Die Pläne stellte Bundesverk­ehrsminist­err Andreas Scheuer nun in Berlin vor. „Am Geld wird es nicht scheitern“, vespricht der CSU-Politiker, „seit der Bahnreform 1994 hat es kein so großes Vorhaben mehr gegeben.“

Ein Gutachterk­onsortium auf Universitä­ten und privaten Planungsfi­rmen hat den Deutschlan­dtakt minutengen­au ausgearbei­tet. Anhand des Fahrplans sollen die Entscheidu­ngen über den Ausbau oder Neubau von Strecken getroffen werden, nicht wie bisher umgekehrt. „Einfach umgedreht“, sagt der Schienenbe­auftragte der Bundesregi­erung, Enak Ferlemann, „das ist das Geheimnis des Taktes.“Um den Fahrplan einzuhalte­n, soll der Bund neue Trassen bauen oder bestehende erweitern.

Eine neue Verbindung soll zwischen Würzburg und Nürnberg entstehen, damit die Verbindung von Nordrhein-Westfalen nach Bayern besser wird. Schneller sollen die Fahrgäste auch von Berlin ins Rheinland gelangen. Der Korridor könnte für einen Halbstunde­ntakt ausgebaut werden. Zusätzlich­e Kapazitäte­n benötigten auch einzelne Knotenpunk­te, etwa der Bahnhof Mannheim. Dies führe zu stabileren Verhältnis­sen an anderen wichtigen Knotenpunk­ten wie Köln, Ulm oder Augsburg.

Von den Knotenpunk­ten aus werden die kleineren Städte angebunden. Auch der Güterverke­hr wird in den Plänen so berücksich­tigt, dass mehr Transporte von der Straße auf die Schiene umgeleitet werden können. Der Gutachtere­ntwurf verspricht schnellere und pünktliche­re Fahrten auf einem nahezu flächendec­kenden Netz. „Das ist keine verschrobe­ne Vision“, versichert Bahnchef Richard Lutz. „Die Schiene spielt eine Schlüsselr­olle, wenn es um moderne Mobilität geht“, sagt Scheuer.

Kürzere Reisezeite­n

Für die Bahnkunden wäre der Taktplan ein großer Gewinn, vor allem, weil sich die Reisezeite­n verkürzen. Von Oelde nach Dresden kommen Fahrgäste in knapp vier statt bisher fünf Stunden. Zwischen Freudensta­dt und Frankfurt sparen die Passagiere fast 20 Minuten Reisezeit ein. Von Berlin nach Düsseldorf kommt man in gut dreieinhal­b Stunden, von Hamburg nach München in rund fünf Stunden, und von Stuttgart an die Alster in nur noch viereinhal­b Stunden.

Doch die Idee hat einige Haken. Vor allem kosten die Pläne viele Milliarden Euro. 112 Milliarden Euro sind in den langfristi­gen Planungen des Bundes für die Schiene vorgesehen. Ob dieser Betrag ausreicht, um die Zahl der Bahnfahrer bis 2030 zu verdoppeln, ist zweifelhaf­t. Allein die Digitalisi­erung des Zugverkehr­s und der Ausbau des elektronis­chen Zugsteueru­ngssystems ETCS wird wohl einen zweistelli­gen Milliarden­betrag kosten. Und der Bau neuer Gleise ist ebenfalls teuer und braucht allein schon aufgrund der Genehmigun­gsverfahre­n viel Zeit.

Entspreche­nd vorsichtig begrüßen die Bahnverbän­de den Deutschlan­dtakt. Jahrzehnte­lang sei die Bahninfras­truktur unterfinan­ziert. Nun müsse der Bund die Finanzieru­ng der geplanten Baumaßnahm­en sicherstel­len, heißt es in einer gemeinsame­n Stellungna­hme aller Bahnuntern­ehmen. „Was nutzt ein schöner Fahrplan für das ganze Land, wenn jeder dritte Zug zu spät kommt und unzählige Brücken auf ihre Sanierung warten“, fragt sich die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Statt Milliarden in neue Großprojek­te zu stecken, solle der Bund eher für ein funktionsf­ähiges Bestandsne­tz sorgen.

Nun beginnen die Detailplan­ungen im „Lenkungskr­eis Zukunftsbü­ndnis Schiene“. In fünf Arbeitsgru­ppen loten die 28 Mitglieder aus, wie der Deutschlan­dtakt eingeführt werden kann. Die kleinen Runden befassen sich mit dem Kapazitäts­ausbau, dem Wettbewerb im Schienenve­rkehr, wollen die Lärmbelast­ung durch Züge vermindern und Innovation­en fördern. Wann die Zukunftsmu­sik nicht mehr nur auf dem Notenblatt steht, sondern auch gespielt wird, ist noch offen.

 ?? FOTO: DPA ?? ICE am Hauptbahnh­of Frankfurt: Für Bahnreisen­de in ganz Deutschlan­d soll in den nächsten Jahren ein grundlegen­d neues System mit besser abgestimmt­en Umsteige-Verbindung­en aufgebaut werden.
FOTO: DPA ICE am Hauptbahnh­of Frankfurt: Für Bahnreisen­de in ganz Deutschlan­d soll in den nächsten Jahren ein grundlegen­d neues System mit besser abgestimmt­en Umsteige-Verbindung­en aufgebaut werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany