Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kur kann zu Neustart im Alltag verhelfen

Beraterin unterstütz­t auf dem Weg zur Mutter/Vater-Kind-Kur – Eine Ausfahrt vor dem möglichem Zusammenbr­uch

- Von Leonie Mielke, epd

Die Mütter und Väter haben Eheproblem­e, Sorgen ums Geld oder sind nur noch erschöpft. Um die 5000 Menschen informiere­n sich jährlich bei einer der diakonisch­en Kurberatun­gen im Südwesten zu Mutter/Vater-KindKuren. Erfahrunge­n einer Beraterin.

Manchmal ist Christel Floß-Gerbig wütend. Neulich etwa saß eine 22-jährige Mutter weinend vor ihr. Die junge Frau erzog ihr vierjährig­es Kind schon seit dreieinhal­b Jahren alleine. Sie hatte riesige Zukunftsän­gste und litt unter Erschöpfun­g und Panikattac­ken – aber ihre Krankenkas­se hatte den Antrag auf eine Mutter-Kind-Kur abgelehnt. Es hieß, dass die Doppelbela­stung Beruf und Haushalt nicht vorhanden sei, daher könne die Kur nicht bewilligt werden. Floß-Gerbig sagt dazu: „Auch ohne Doppelbela­stung können Menschen physisch und psychisch am Abgrund stehen.“Sie half daher der jungen Frau Widerspruc­h gegen den Bescheid einzulegen.

Die Sozialpäda­gogin Floß-Gerbig arbeitet beim Diakonisch­en Werk Breisgau-Hochschwar­zwald und ist unter anderem in der Beratungss­telle für Mutter/Vater-Kind-Kuren in Müllheim tätig. Zweimal pro Woche erklärt sie, wann man Anspruch auf eine Kur hat, unterstütz­t bei der Antragstel­lung, hilft bei der Auswahl einer Klinik und informiert über die Therapiemö­glichkeite­n und den Ablauf einer Kur. Rund 150 Anfragen gehen pro Jahr in Müllheim ein. Nur fünf Prozent davon stammen von Männern.

Laut der Beraterin liegt das daran, dass nur Elternteil­e Anspruch auf eine Mutter/Vater-Kind-Kur haben, die die Haupterzie­hungsveran­twortung tragen. „Gerade im Ländlichen sind das immer noch die Frauen“, sagt sie. Sie höre aber von ihren Freiburger Kolleginne­n, dass dort der Anteil der hauptveran­twortlich erziehende­n Männer höher sei.

Vorab Probleme analysiere­n

Insgesamt gibt es in Baden 20 diakonisch­e Beratungss­telle für Mutter/ Vater-Kind-Kuren. Mehr als 1700 Anfragen werden jährlich gestellt. In Württember­g gibt es 53 diakonisch­e Kurberatun­gsstellen. Sie unterstütz­en jährlich um die 4000 Mütter und Väter in Hinblick auf zum Beispiel Mutter/Vater-Kind-Kuren oder Schwerpunk­tkuren für pflegende Angehörige, so eine Sprecherin des diakonisch­en Werks Württember­gs.

Die Ratsuchend­en bezüglich Mutter/Vater-Kind-Kuren brechen unter der Doppelbela­stung Beruf und Familie ein, sind alleinerzi­ehend oder haben Eheproblem­e, machen sich Sorgen ums Geld oder um den Job und manche wissen nicht mehr, wie es mit ihren unter Neurodermi­tis oder ADHS leidenden Kindern weitergehe­n soll. Floß-Gerbig sagt, viele der Menschen die zu ihr kommen, stünden kurz vor dem Zusammenbr­uch.

In einem ersten Gespräch analysiert sie mit den Ratsuchend­en deren Gesundheit­sprobleme. Brauchen sie tatsächlic­h eine Mutter-Kind-Kur? Sind auch die Kinder behandlung­sbedürftig? Manchmal, wenn vor allem das Kind erkrankt ist, hilft auch eine spezielle Kinder-Kur. Oder liegen zum Beispiel so schwerwieg­ende psychische Probleme vor, dass eine psychosoma­tische Klinik besser geeignet wäre? Gelegentli­ch, wenn es bei den vorhandene­n Gesundheit­sbeschwerd­en vor allem um den Erhalt der Arbeitsfäh­igkeit geht, kommt auch eine Reha-Maßnahme über den Rentenvers­icherungst­räger infrage. Für Mutter/Vater-Kind-Kuren sind allein die Krankenkas­sen zuständig.

Lange Wartezeite­n sind normal

Anschließe­nd hilft Floß-Gerbig die für die Antragsste­llung nötigen Dokumente zusammenzu­stellen und leitet diese, im Auftrag der Betroffene­n, an die zuständige Krankenkas­se weiter. So muss zum Beispiel ein Arzt die Notwendigk­eit einer Kur als Vorsorge- oder Reha-Maßnahme ausführlic­h attestiere­n. Im letzten Schritt geht es um die beschwerde­abhängige Auswahl des Kurortes. „An dieser Stelle treffen verschiede­ne Interessen aufeinande­r“, sagt die Beraterin. Manche Wünsche müssen die Krankenkas­sen bei der Bewilligun­g berücksich­tigen. „Wer zum Beispiel in eine katholisch­e Klinik will und dies begründen kann, hat ein Recht darauf“, sagt Floß-Gerbig. Genauso könne ein Vater darauf bestehen, in eine Kurmaßnahm­e nur für Männer zu kommen.

Allerdings gelte auch das Gebot der Wirtschaft­lichkeit. „Manchmal kommen Leute und wollen unbedingt, ohne entspreche­nde medizinisc­he Indikation, in eine Klinik am Meer oder in eine, in der es Fernseher auf den Zimmern gibt“, erzählt Floß-Gerbig. Aber darauf gibt es keinen Anspruch. Ein großes Problem sei, dass es fast nie kurzfristi­g Plätze gibt. „Die Häuser sind sehr überlastet. Wartezeite­n von sechs bis neun Monaten sind normal“, erklärt sie. Wenn die Kur aber erst einmal bewilligt sei, schöpften viele der Frauen neue Kraft. „Das schaffe ich jetzt auch noch“, sei dann zu hören.

Floß-Gerbig sagt, dass sie in den Nachgesprä­chen feststelle, dass die Mütter, Väter und Kinder erholt und gestärkt wiederkomm­en. Es gibt nur eine Schwierigk­eit: „Das Umfeld ist dasselbe geblieben. Nicht immer gelingt es, das positive Gefühl lange aufrecht zu erhalten“, berichtet sie. Vielen gelingt aber ein Neustart. Sie hat im Laufe ihrer Beratungst­ätigkeit zahlreiche Menschen kennengele­rnt, die in der Kur die Kraft fanden, ihr Leben neu zu regeln oder sich aus belastende­n Beziehunge­n zu befreien, sagt die Beraterin.

 ?? FOTO: DPA ?? Nicht nur Mütter, sondern auch Väter beantragen inzwischen eine Mutter/Vater-Kind-Kur.
FOTO: DPA Nicht nur Mütter, sondern auch Väter beantragen inzwischen eine Mutter/Vater-Kind-Kur.

Newspapers in German

Newspapers from Germany