Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ehepaar steht nach Raubmord vor Gericht
Ehepaar muss sich nach brutalem Einbruch vor dem Ulmer Landgericht verantworten – Die Angeklagten schweigen
ULM ( lsw) - Das wegen eines Raubes mit tödlichem Ausgang angeklagte Ehepaar hat sich am Freitag vor dem Ulmer Landgericht nicht zur Tat geäußert. Bei der Tat am 6. Januar 2018 war ein 59 Jahre alter Mann tödlich verletzt worden. Dem zur Tatzeit 39-jährigen Angeklagten aus Georgien wirft die Staatsanwaltschaft Mord sowie schwere Körperverletzung und Raub vor (Az. 2 Ks 21 Js 488/18). Die 46-jährige Ehefrau aus Kasachstan ist wegen schwerer Körperverletzung und Raubes angeklagt. Zwei mutmaßliche Komplizen flüchteten. Einer von ihnen sitzt bereits seit längerem in Israel in Auslieferungshaft.
Wo sich der vierte mutmaßliche Täter aufhält, ist unklar.
ULM - Das Einbrechertrio, das am frühen Morgen des Dreikönigstages 2018 in ein Einfamilienreihenhaus am Ulmer Eselsberg einsteigt, kennt sich bestens aus: Der Weg ins Haus führt durch die Garage. Die Männer – nach später gewonnenen Erkenntnissen der Polizei sind sie zum Tatzeitpunkt 39, 36 und 32 Jahre alt – haben es auf Geld und Schmuck abgesehen. Sie gehen gezielt vor: Im Schlafzimmer der 91-jährigen Hausbesitzerin sind Wertsachen versteckt. Die Täter wissen offenbar auch, dass im Haus auch der 59-jährige, geistig eingeschränkte, aber körperlich kräftige Sohn lebt. Unter Stress reagiert er unkontrolliert. Verraten haben soll diese Details die Ehefrau des 39-jährigen Anführers der Einbrecherbande: Die 46-Jährige hat als Hauswirtschafterin im Haus der Opfer gearbeitet und das Trio eingewiesen. Die Täter müssen also damit rechnen, dass sich der 59-Jährige wehrt: Doch die Anwendung massiver Gewalt nehmen sie in Kauf. Der Mann wird schwer verletzt, am Abend des Dreikönigstages ist er tot.
Am Freitag hat der Prozess (Az. 2 Ks 21 Js 488/18) um einen der seit Jahren brutalsten Wohnungseinbrüche im Südwesten vor dem Ulmer Landgericht begonnen: Dem heute 40-jährigen Giorgi N. wirft die Staatsanwaltschaft Mord sowie schwere Körperverletzung und Raub vor, der 46jährigen Ehefrau Natalia N. schwere Körperverletzung und Raub. Doch nicht gegen alle Verdächtigen kann die Kammer verhandeln: Zwei mutmaßliche Komplizen sind geflüchtet. Einer von ihnen sitzt bereits seit Längerem in Israel in Auslieferungshaft. Wo sich der vierte mutmaßliche Täter aufhält, ist unklar.
Finanziell prekäre Lage
Den Plan für den brutalen Raub hecken das angeklagte Ehepaar Giorgi und Natalia N. nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft um die Jahreswende 2017/18 aus. Schon seit dem Sommer 2017 hat sich die finanzielle Lage verschärft. Die Ehefrau, sie ist in Kasachstan geboren und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, ist krank. Dem Ehemann – er stammt aus Georgien, hat keinen Beruf und ist vorbestraft – haben die deutschen Behörden jede Unterstützung gestrichen. Mit Einbrüchen halten sich die beiden, die in Ulm wohnen, über Wasser.
Am 27. Dezember gelingt ein großer Coup: Bei einem Wohnungseinbruch, so berichtet es der Vertreter der Anklage, erbeuten die Eheleute Bargeld, Sparbücher und Schmuck im Wert von gut 70 000 Euro. Bei einem weiteren Einbruch in der Nacht auf den 5. Januar stehlen sie in der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild in Ziemetshausen sakrale Gegenstände und Messgewänder im Wert von etwa 10 000 Euro. Um den Wert ihrer Beute taxieren zu können, suchen die beiden online nach ähnlichen Gegenständen, stellt die Polizei später fest. Als sie bemerken, dass die Kelche und Schalen nicht aus purem Gold sind, sondern nur vergoldet, werfen die Täter ihre Beute weg.
Enttäuscht vom Misserfolg, will sich das Paar in der Nacht zum Dreikönigstag endlich finanziell gründlich sanieren. Gemeinsam mit zwei Komplizen fährt es in eine Wohnsiedlung am Ulmer Eselsberg und steuert um 2.30 Uhr ein Einfamilienhaus am Veltliner Weg an. Dort kennt sich Natalia N. gut aus, hat sie doch im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt in jenem Haus als Hauswirtschafterin gearbeitet.
Während die Frau in einem der beiden Fluchtautos wartet, dringen Giorgi N. und seine beiden Komplizen über die Garage in die zuvor von der Frau beschriebene Wohnung ein, wie Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier in der Anklage verliest. Als die Männer ein vergittertes Fenster aushebeln und sich dann Zugang zur Wohnung verschaffen, machen sie laut Anklage so viel Krach, dass der 59 Jahre alte Michael N. aufwacht. Die Täter sind darauf vorbereitet und haben Paketband eingepackt.
Eine tödliche Knebelung
Die Täter finden den Hausbewohner im Obergeschoss, schlagen ihm mit einem eigens beschafften Nageleisen „in vorgefasster Absicht“, wie der Staatsanwalt sagt, auf Kopf und Gesicht. Sie brechen seine Nase, schleppen ihn ins Erdgeschoss, fesseln und knebeln ihn mit Paketband. „Das Klebeband wurde ihm so fest um das Gesicht gewickelt, dass er nicht mehr richtig atmen konnte“, heißt es in der Anklageschrift. Der Mund ist verschlossen. Auch durch die schwer verletzte, stark blutende Nase bekommt er keine Luft. Das Gehirn des Mannes wird dadurch nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. „Die Täter nahmen bewusst und billigend den Erstickungstod ihres Opfers in Kauf“, ist Oberstaatsanwalt Staudenmaier überzeugt.
Auch die Seniorin, Elfriede N., wird misshandelt. Die Täter stoßen sie zur Seite und reißen ihr die Kette vom Hals. Später kann sie das Paketband am Kopf ihres Sohnes abschneiden und einen Notruf absetzen. Der Rettungsdienst kann nichts mehr ausrichten. Michael N. stirbt am Nachmittag in einer Ulmer Klinik: Zu schwer sind die Hirnverletzungen. Die Täter fliehen mit Schmuck im Wert von 10 000 Euro. In Sirmione am Gardasee verhökern sie die Beute.
In Ulm geht in den Tagen nach dem Überfall die Angst um. Angesichts der Brutalität zählen Emotionen, nicht die Fakten von der rückläufigen Zahl der Wohnungseinbrüche in Baden-Württemberg um 24 Prozent im Jahr 2017 auf 8437 Fälle. Die Nachbarn stellen Kerzen auf und legen Karten nieder: „In stillem Gedenken an das Opfer des schrecklichen Verbrechens. Mögen die Gewalt und der Hass keinen Platz in unserem Herzen haben.“Polizeisprecher Wolfgang Jürgens spricht von einem absoluten Ausnahmefall und davon, dass ihm in seinem Berufsleben kein vergleichbarer Fall erinnerlich sei. Einbrecher achten seiner Erkenntnis nach normalerweise darauf, Mieter oder Eigentümer nicht anzutreffen: „Das ist ein in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlicher Fall“, sagt Jürgens.
Derweil nimmt die Sonderkommission „Treppe“die Arbeit auf und überprüft alle Spuren. Schnell fällt der Verdacht auf die ehemalige Hauswirtschafterin Natalia N., verheiratet, Mutter. Als die 46Jährige am 10. Januar nach Ulm zurückkehrt, klicken die Handschellen. Fünf Tage später nimmt die Polizei ihren Mann Giorgi N. fest: DNA-Spuren am Tatort lassen nach Meinung der Staatsanwaltschaft keinen Zweifel zu, dass er am Tatort war. Als die Staatsanwaltschaft im Mai Anklage erhebt, umfassen die Ermittlungsergebnisse 10 000 Blatt. Die Spurenlage sei „sehr gut“, sagt Oberstaatsanwalt Staudenmaier.
Die alte Dame Elfriede N., die ihren Sohn verlor – sie ist jetzt 92 –, wird das kaum trösten. In dem Prozess unterstützt sie die Staatsanwaltschaft als Nebenklägerin – allerdings nicht persönlich im Angesicht der mutmaßlichen Täter, sondern vertreten durch eine Anwältin.
Bei der Prozesseröffnung am Freitag erscheinen die beiden Angeklagten Giorgi und Natalia N. mit einem Briefumschlag und einem Aktenordner vor dem Gesicht. Als die Anklage verlesen wird, lassen sie keine Gemütsregung erkennen. Die Dramatik, die Brutalität, die Skrupellosigkeit des Verbrechens, das Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier schildert, scheint sie nicht zu berühren. „Wollen Sie sich zu diesen Vorwürfen äußern?“, fragt der Vorsitzende Richter Gerd Gugenhan. Nein, erklären die beiden Anwälte, das wollten ihre Mandanten nicht.
Anwalt: „Wesensfremde Taten“
Die Prozessstrategie des Verteidigers der Ehefrau ist schon jetzt deutlich: Verteidiger Daniel Sprafke will herausstellen, dass seine Mandantin Natalia N. mit dem Raubmord nichts zu tun hat. Er sagt am Freitag den Medien: „Die Rückkehr nach Deutschland zeugt doch – trotz eines großen Presseechos in Ulm nach der Tat – gerade von einem reinen Gewissen meiner Mandantin. Ihr sind solche Taten nicht nur wesensfremd, sie hat sie nicht begangen.“Er sei davon überzeugt, dass die schweren Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen die Ehefrau haltlos sind. Aber der Verteidiger Sprafke wird erklären müssen, woher die Täter das Detailwissen hatten, das nur der Ehefrau und ehemaligen Hauswirtschafterin Natalia N. bekannt sein konnte.
Gern hätte die Staatsanwaltschaft alle vier mutmaßlichen Täter im selben Prozess vor Gericht gesehen. Doch wohin einer von ihnen, Igor O., ein 36-jähriger Georgier, geflohen ist, weiß sie nach eigenen Angaben nicht. Ob und wann Israel den anderen Verdächtigen, den 32-jährigen Giorgi C., ausliefert, sei ungewiss: „Das Verfahren um die Auslieferung zieht sich in die Länge“, sagt Staudenmaier, „das Rechtssystem dort ist komplett unterschiedlich.“
„Die Täter nahmen bewusst und billigend den Erstickungstod ihres Opfers in Kauf.“Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier