Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Verwaisten Eltern wieder Halt geben

Wie zwei Frauen mit dem Tod ihrer Kinder umgehen – Neue Selbsthilf­egruppe in Biberach

- Von Andreas Spengler

BIBERACH/LAUPERTSHA­USEN Grenzenlos­en Schmerz und Trauer haben Sonja Schädler aus Laupertsha­usen und Sonja Schelkle aus Biberach erlebt. Die beiden Bekannten haben ihre Kinder verloren, sich dann in einer Selbsthilf­egruppe kennengele­rnt und ziehen nun gemeinsam an einem Strang: In Biberach haben sie die neue Trauergrup­pe „Kontiki“ins Leben gerufen – und wollen anderen Eltern wieder Halt geben.

Als vor zwei Jahren ihr zwölfjähri­ger Sohn starb, erzählt Schelkle, da musste sie die bittere Erkenntnis machen: „Ich habe kein Handwerksz­eug in mir, um mit dem Tod meines Sohnes umzugehen.“Der Tod kam überrasche­nd nach einer Herzmuskel­transplant­ation. „Das Sterben war nie eine Option“, sagt sie heute unter Tränen. Der Schock und die Trauer Sonja Schädler, Trauerbegl­eiterin der Biberacher Trauergrup­pe „Kontiki“

wirken bis heute nach, aber Schelkle hat sich nach dem Tod ihres Sohnes nicht zurückgezo­gen, sondern die Öffentlich­keit und das Gespräch gesucht. In einer Selbsthilf­egruppe fand sie Halt, bald absolviert­e die Montessori-Pädagogin selbst die Ausbildung zur Trauerbegl­eiterin.

Jeden Tag mit dem Tod gerechnet

Auch Sonja Schädler musste den Tod ihrer Kinder erleben. Sie und ihr Mann Siegfried verloren ihren Sohn Luis und ihre Tochter Sophia, beide erkrankten an der seltenen Niemann-Pick-Krankheit. Beim Kampf um das Leben ihrer Kinder mussten sie „jeden Tag mit dem Tod rechnen“, erzählt sie. „Für uns war damals klar, dass wir an die Öffentlich­keit gehen.“Mit Spendengel­dern und Öffentlich­keitsarbei­t warb sie Sonja Schelkle aus Biberach und Sonja Schädler aus Laupertsha­usen gründen eine Trauergrup­pe für verwaiste Eltern. Beide haben selbst Kinder verloren.

für die Erforschun­g der Krankheit. Doch wichtig sei ihr auch gewesen, dass ihre Kinder „nicht in Vergessenh­eit geraten“. Auch Schädler beschäftig­te sich intensiv mit dem Tod und ließ sich zur Trauerbegl­eiterin schulen.

„Durch diese Ausbildung können

wir den trauernden Menschen so empathisch wie möglich begegnen. Wir wurden gelehrt, auf die Bedürfniss­e und die Lebenssitu­ationen der trauernden Personen einzugehen“, erklärt Schädler, die gelernte Industriek­auffrau ist. Vor allem Frauen hätten oft das Bedürfnis, über ihre

Trauer mit anderen zu sprechen. „Aber die Welt da draußen will das irgendwann nicht mehr hören.“In diesem Fall aber kann die Trauergrup­pe der richtige Ort sein.

Schädler und Schelkle möchten weitergebe­n, was sie selbst erlebt haben, mit einer eigenen Trauergrup­pe. „Wir wollen andere Eltern auffangen, so wie wir damals aufgefange­n wurden“, sagt Schädler. Die Arbeit der bisherigen Gruppen für verwaiste Eltern in Biberach von Heinrich Gils, Ruth Bolz-Kuchelmeis­ter und Heinz Weiss sowie von Norbert Nitsche soll weiterführ­t werden, betonen sie. Diese seien „sehr erfolgreic­h“gewesen. Auch für die Zukunft sei es wichtig, dass es Ansprechpa­rtner für verwaiste Eltern in Biberach gebe.

Das Motto der neuen Gruppe ist „Trauer Raum geben“. Der Name Kontiki geht auf den Namen eines Floßes zurück, auf welchem sich der Norweger Thor Heyerdahl 1947 aufmachte um zu beweisen, dass es die Besiedlung Polynesien­s vor der Zeit der Inka möglich war. Auf stürmische­r See und schwierige­r Überfahrt trotzten die Seemänner allen Entbehrung­en und erreichten schließlic­h ihr Ziel. „Das Floß ist eine wunderbare Metapher für das Getragense­in auf stürmische­r See“, erklärt Schädler. „Im Gefühl, das Ufer nicht mehr zu erreichen und zu ertrinken im Schmerz.“Selbst dann gebe es die Hoffnung „auf neues Leben und einen neuen Horizont zu erblicken, Land unter den Füßen zu bekommen am anderen Ende der Welt und wieder Leben zu finden, gefühlt auch am anderen Ende der Welt.“

In der Trauergrup­pe sollen alle Fragen behandelt werden, die verwaiste Eltern beschäftig­en: „An wen kann ich mich wenden? Mit wem kann ich sprechen? Wo finde ich jemanden, der eine vergleichb­are Erfahrung machen musste? Wie kann ich mit dem schmerzlic­hen Verlust weiterlebe­n?“

Angesiedel­t ist die Selbsthilf­egruppe bei der Kontaktste­lle Trauer der Caritas, sie wird unterstütz­t vom Fördervere­in Hospiz Biberach sowie von der Kontakt- und Informatio­nsstelle für gesundheit­liche Selbsthilf­egruppen. Die Gruppe soll keine geschlosse­ne Veranstalt­ung werden, betont Schädler. Neben regelmäßig­en Gruppenabe­nden sollen auch gemeinsame Spaziergän­ge, Filme, Workshops und Vorträge auf dem Programm stehen.

Jeder Trauernde gehe durch verschiede­ne Phasen der Trauer, glauben Schädler und Schelkle – und das sagen auch wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen. Zu Beginn eines Verlusts stehen meist Schuld, Wut und Fassungslo­sigkeit. „Am Ende kann man lernen, die Trauer wie eine Sucht zu akzeptiere­n.“Diesen Weg wollen Sonja Schelkle und Sonja Schädler mit allen gehen, die Hilfe, Gespräche oder einen Austausch brauchen.

„Wir wollen andere Eltern auffangen, so wie wir damals aufgefange­n wurden.“

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FOTO: PRIVAT

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