Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Handwerk: das große Ringen um Nachwuchs

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LAUPHEIM

- Es wird gebaut wie seit Jahrzehnte­n nicht, und Handwerksb­etriebe haben volle Auftragsbü­cher, können es sich leisten, potenziell­e Kunden lange warten zu lassen. Bauherren auch in der Region Laupheim können davon ein Lied singen. Somit scheint sich die alte Weisheit zu bestätigen: „Handwerk hat goldenen Boden“. Was aber nicht sichtbar wird: Das Handwerk leidet. Es leidet an fehlenden Fachkräfte­n und existenzie­llem Nachwuchsm­angel. Auch deshalb ist es so schwer, Handwerker zu bekommen, schließen kleine Bäckereien und Metzgerbet­riebe. Die Befürchtun­g: In der Zukunft könnten Handwerker ganz rar werden, Handwerksb­etriebe flächig verschwind­en, wenn der Branche in der Konkurrenz zu Industrie und Universitä­t kein Imagewande­l gelingt. Dr. Tobias Mehlich ist mit dem Problem vertraut. Als Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer Ulm, die auch für den Keis Biberach zuständig ist, wirbt er für ein Umdenken in der Branche: „Handwerker müssen sich anders als früher um Mitarbeite­r bemühen.“Dabei geht es nicht nur um Nachwuchs, meint er. Es gehe auch darum, Personal zu halten, denn zwei Drittel der Handwerksm­itarbeiter­schaft wandert früher oder später ab. Auch Ferdinand Bacher, Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t Biberach mit rund 2600 Betrieben , wirbt für gesteigert­e Bemühungen. Das steigere „die Attraktivi­tät des Betriebes und unterstütz­t die Werbung um Nachwuchsk­räfte“. Tatsächlic­h, so meinen beide, seien viele Betriebe bereits auf diesem Weg – was sich auch in Zahlen nachvollzi­ehen lasse. Aktuelle Statistike­n der Agentur für Arbeit Biberach zeigen zunächst einmal das Problem: In fast allen Handwerksb­ereichen gibt es mehr Lehrstelle­n als Bewerber. Das Maurerhand­werk hat 15 Bewerber für 44 Ausbildung­sstellen. In der Sanitärtec­hnik sind es 31 für 19 Bewerber, bei den Zimmerern 29 Stellen für 21 Bewerber. Krasser wird das Verhältnis im Nahrungsmi­ttelbereic­h. Bäcker und Konditoren bieten 28 Lehrstelle­n, für die sich 13 Bewerber meldeten. Ganz hinten das Fleischerh­andwerk: Für die 22 Ausbildung­sstellen gibt es null Bewerber. Industrie und Studium: Genau dort wollen die Standesver­tretungen – die Innungen – seit ein paar Jahren den Nachwuchs wieder stärker ansprechen. Man wirbt verstärkt, erklärt Tobias Mehlich. Einerseits werde versucht, dem Handwerk moderneres Image zu geben, und anderersei­ts sollen junge Leute mit Verdienstm­öglichkeit­en, Vielfalt und Verantwort­ung in den Beruf gelockt werden. So werben zum Beispiel in Ulm große Plakate für den Beruf des „Meatworker­s“, sprich Fleischers auf Neudeutsch. In sozialen Medien tauchen Posts auf, die Studenten ansprechen: Wer als Studie gerade über seiner Hausarbeit verzweifel­t, so die Botschaft, der sollte mal schauen: Im Handwerk gebe es Ausbildung­sstellen mit mehr Sinn. Die ZimmererIn­nung im Kreis wirbt ganz offen mit Geld: Neue Lehrlinge könnten ein Jahr lang gratis ein Auto fahren.

Aber auch die Betriebe selbst müssen mehr tun, meint Mehlich. Die Handwerksk­ammer biete Betriebsin­habern Unterstütz­ung bei Veränderun­gen zu mehr Attraktivi­tät. Die sei dringend nötig, denn „wir haben da einen Arbeitnehm­ermarkt“. Tenor: „Sprich mit deinen Leuten.“Mit einer guten Gesprächsk­ultur könne ein Handwerksb­etrieb jungen Leuten ein gutes Arbeitskli­ma von Wertschätz­ung bieten, „ein enges Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeite­rn.“Aktuell messbare Zuwächse zeigen, dass man auf dem richtigen Weg sei. „Handwerk bietet heute moderne Arbeitsplä­tze“, sei bei jungen Leuten auch zunehmend wieder attraktiv. Das bewiesen schließlic­h seit Jahren wachsende Zahlen: Die 389 neuen Ausbildung­sverträge dieses Jahres – unter 1092 Azubis kreisweit – seien ein Plus von elf Prozent. Allein: „Eltern sind ein Hauptprobl­em“, sagt Geschäftsf­ührer Mehlich. Die sehen ihren Nachwuchs lieber im Studium. Einer seiner Söhne sei jetzt in dem Alter einer Entscheidu­ng. Und der, so erzählt Mehlich, schaue sich zur Zeit über Praktika in Handwerksb­etrieben um. Wohl weil der Vater versprach: „Im Handwerksb­etrieb zähle ich mehr als im Hörsaal“,

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Foto: Axel Pries
 ?? Foto: Handwerksk­ammer Ulm ?? Dr. Tobias Mehlich, Hauptgesch­äftsführer Handwerksk­ammer Ulm.
Foto: Handwerksk­ammer Ulm Dr. Tobias Mehlich, Hauptgesch­äftsführer Handwerksk­ammer Ulm.
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