Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Wer sich unwohl fühlt, rettet sich in die Vergangenh­eit“

Die meisten Europäer sind Nostalgike­r – Autor Daniel Rettig erklärt, wie Politiker damit umgehen sollten

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RAVENSBURG - Eine Mehrheit der Europäer sehnt sich nach der Vergangenh­eit zurück und bewertet sie positiver als die Gegenwart. Das ist das Ergebnis einer Befragung der Bertelsman­n Stiftung. Der Kölner Autor Daniel Rettig hat sich in seinem Buch „Die guten alten Zeiten – Warum Nostalgie uns glücklich macht“damit auseinande­rgesetzt, warum Menschen nostalgisc­h sind und warum das für die Politik so entscheide­nd ist. Theresa Gnann hat sich mit ihm unterhalte­n.

Zwei Drittel der Europäer denken, die Welt sei früher ein besserer Ort gewesen. Überrascht Sie dieses Ergebnis?

Nein, überhaupt nicht. Dass Menschen sich in die Vergangenh­eit zurücksehn­en war schon immer so und nimmt immer mehr zu. Und dafür gibt es auch gute Gründe.

Welche guten Gründe denn?

Je älter Menschen sind, desto weniger Zukunft liegt vor ihnen. In unserer alternden Gesellscha­ft haben deshalb viele Menschen das Bedürfnis, in der Vergangenh­eit zu schwelgen. Dazu kommt: Viele Menschen haben den Eindruck, dass sich die Welt immer schneller verändert. Die Gegenwart ist hektisch, die Zukunft unsicher. Da wird es einfach reizvoll, in die Vergangenh­eit abzudrifte­n. Sie ist ja abgeschlos­sen. Da wissen die Leute, sie haben es überstande­n.

Aber oft trügt einen doch die eigene Erinnerung. Oder?

Klar. Es gibt da den Spruch: Die Erinnerung malt mit goldenem Pinsel. Und das stimmt. Uns geht es einfach besser, wenn wir die Erinnerung verklären. Beispiel Urlaub: Da regt man sich auf, weil das Bier zu warm oder die Schlange am Büffet zu lang ist. Im Nachhinein sagt man aber: War doch ein schöner Urlaub! Weil man sich nach dem Urlaub schon wieder über so viele Dinge in der Gegenwart ärgert, dass man beim Vergangene­n nur noch an das Schöne zurückdenk­t. Wenn Menschen sich unwohl fühlen, retten sie sich in die Vergangenh­eit. Das beeinfluss­t auch die Politik.

Weil die Nostalgie ein Zeichen für die Verunsiche­rung einer Gesellscha­ft ist und die Politik das ausnutzt?

Zum Teil, ja. Für die Macht schöner Erinnerung­en ist jeder manipulier­bar. Das hat zwei Folgen: Die einen freuen sich trotzdem noch auf morgen, die anderen wünschen sich das Gestern zurück. Und das kann von der Politik genutzt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist Donald Trump. Der richtet sich an Menschen, die nicht möchten, dass sich was ändert. Und bei denen kommt er sehr gut an. Wir erleben gerade, dass überall auf der Welt autoritäre Politiker gewählt werden. Das sind alles ältere weiße Männer, die nicht unbedingt für Optimismus, Fortschrit­tsdenken und Zuversicht stehen.

Was kann die Politik tun, um dieser Sehnsucht nach dem Vergangene­n entgegenzu­treten?

Die Zeit lässt sich nicht zurückdreh­en. Aber man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass es viele Menschen gibt, die sich das wünschen. Und die kann man nicht einfach übergehen. Ich glaube deshalb, diese Studie muss eine Warnung sein. Nicht jeder findet zum Beispiel Künstliche Intelligen­z gut. Manche Menschen haben vielleicht sogar Angst davor und sind dann für Botschafte­n konservati­ver Parteien empfänglic­her. Ich bin kein Trump-Fan, aber man kann schon was von ihm lernen. Der richtet sich ganz klar an eine Zielgruppe, die für das, was er sagt, total empfänglic­h ist. In Trumps Fall sind das Menschen, die Globalisie­rung und das Internet doof finden. Es ist deshalb wichtig, dass unsere Politik sich an diejenigen wendet, die Veränderun­g wollen und zuversicht­lich sind. Und dann muss sie versuchen, diese Leute auf ihre Seite zu ziehen. So wird Fortschrit­t dann vielleicht irgendwann Teil des Mainstream­s.

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