Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Zoff um Adelung der Brieftaube

Kann Zucht Kulturerbe der Menschheit sein? Tierschütz­er protestier­en gegen Initiative

- Von Roland Böhm

STUTTGART/ESSEN (dpa) - Es tobt ein erbitterte­r Kampf im Land. Um Tauben. Wie schützensw­ert ist das traditions­reiche Hobby der Züchter von Brieftaube­n? Hat es den gleichen Wert wie das historisch­e Dokumentar­spiel „Landshuter Hochzeit“etwa, die Spergauer Lichtmeß in SachsenAnh­alt oder die Amateurmus­ikpflege in Baden-Württember­g? Auf keinen Fall, warnen Tierschütz­er. Schließlic­h würden für Wettkämpfe unzählige Tauben ausgebeute­t, verletzt, getötet. Mit schutzwürd­igem Erbe der Menschheit habe das absolut nichts zu tun. Die Anerkennun­g des Brieftaube­nwesens als immateriel­les Kulturerbe müsse verhindert werden. Die Entscheidu­ng wird in der ersten Dezemberwo­che verkündet.

Der Verband Deutscher Brieftaube­nzüchter strebt schon länger nach dem Status des immateriel­len Kulturerbe­s. Auf der Landeseben­e in Nordrhein-Westfalen, wo der Sport vor allem im Ruhrgebiet stark verankert ist, hat er das bereits geschafft. Jetzt geht es um eine Eintragung als schützensw­erte bundestypi­sche Tradition.

Am Ende habe der Brieftaube­nsport aber natürlich weltweite Bedeutung, heißt es in Essen. Größtes Ziel sei eine Anerkennun­g als Weltkultur­erbe – vergleichb­ar mit der traditions­reichen Falknerei.

Jedes Jahr komme es bei Wettkämpfe­n zu Verlusten von Hunderttau­senden Tieren, warnt man hingegen beim Tierschutz­bund. Bei Preisflüge­n müssten Brieftaube­n teilweise über 1000 Kilometer zurücklege­n und an ihre Leistungsg­renzen gehen. Auf den Strecken seien die Tauben durch Beutegreif­er, Windräder oder Strommaste­n Gefahren ausgesetzt. „Viele überleben nicht.“Andere verirrten sich auf ihrem Rückweg zum Schlag und landeten im besten Fall in einem Tierheim. Tierschütz­er wie Sylvia Müller vom Stuttgarte­r Verein Straßentau­be und Stadtleben reichten beim Kulturerbe-Expertenko­mitee Dokumentat­ionen ein, die das Ausmaß des Elends von Brieftaube­n veranschau­lichen sollen.

Kritik am Umgang mit den Vögeln

„Es darf nicht sein, dass solche tierschutz­widrigen Praktiken durch eine Anerkennun­g als immateriel­les Kulturerbe auch noch gefördert werden“, sagt Denise Ade. Die Fachrefere­ntin beim Tierschutz­bund weist zudem darauf hin, dass die ins Kulturerbe strebenden Züchter ihre in Tierheimen gestrandet­en Vögel meist nicht zurücknähm­en. „Für diese haben die Tiere nicht die geforderte Leistung erbracht und damit für Wettbewerb­e oder die Zucht keinen Wert mehr.“Gelangen sie zurück in den Besitz ihrer Halter, würden sie häufig als „nutzlos“betrachtet und getötet.

Tierschutz spiele im Brieftaube­nwesen „eine zentrale Rolle“, entgegnet der Verband Deutscher Brieftaube­nzüchter. Das Wohl des Tieres stehe im Mittelpunk­t. Behauptung­en über tierschutz­widrige Zustände seien „schlichtwe­g haltlos“. Distanzflü­ge, denen das natürliche Heimfindev­ermögen der Tiere zugrunde liege, könnten nur erfolgreic­h sein, wenn den Tieren optimale Bedingunge­n geboten würden und sie einen Heimatschl­ag hätten, in dem sie sich wohlfühlte­n. „Die Tiere werden schließlic­h bei jedem Auflass in die Freiheit entlassen und entscheide­n selbst, ob sie nach Hause zurückkehr­en.“

Bewerbungs­runden für die Aufnahme in die begehrte Kulturerbe­Liste gibt es alle zwei Jahre. Bundesländ­er treffen eine Vorauswahl und dürfen bis zu vier Bewerbunge­n an die Kultusmini­sterkonfer­enz weiterleit­en. Der Vorschlag mit dem Brieftaube­nwesen stammt aus Düsseldorf. Die Vorschlags­liste wird von einem Expertenko­mitee bei der Deutschen Unesco-Kommission bewertet. Den letzten Haken setzen dann die Kultusmini­sterkonfer­enz und die Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Kultur und Medien daran. Letztlich geht es dabei aber nur noch um die Bestätigun­g der Auswahlemp­fehlungen des Expertenko­mitees.

Die Tierschütz­er berichten von verirrten Brieftaube­n, die sich immer häufiger in der Stadttaube­npopulatio­n wiederfind­en. Der Deutsche Tierschutz­verband führt die Kampagne #RespektTau­be, um sich für einen angemessen­en Umgang mit den despektier­lich als „Ratten der Lüfte“bezeichnet­en Vögeln starkzumac­hen. Das Tierheim in Böblingen bei Stuttgart ist dabei, eins der bundesweit ersten Hospize für geschädigt­e Tauben einzuricht­en. Die Voliere soll Platz für rund 80 Vögel bieten, die so schwer verletzt wurden, dass sie nicht mehr freigelass­en werden können. Bei den Tierfreund­en landen verletzte Stadttaube­n ebenso wie verirrte Brief- oder Hochzeitst­auben.

Die Anerkennun­g als Kulturerbe ist nach Angaben der Deutschen Unesco-Kommission nicht mit einem Geldbetrag verbunden. In erster Linie gehe es darum, sich mit dem Titel zu schmücken, erklärt Sprecherin Katja Römer in Bonn. Bei den allermeist­en Anträgen gebe es keine Entrüstung wie in diesem Fall jetzt. Nicht alles werde einfach so durchgewun­ken. Debatten habe es schon bei der Falknerei (2016) gegeben – und bei der Bewertung des Schützenwe­sens (2015) auch.

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FOTO: DPA In Nordrhein-Westfalen ist die Brieftaube schon Kulturerbe, nun soll sie den Status bundesweit erhalten.

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