Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mann bestreitet Mord am eigenen Baby

Gericht wirft gebürtigem Italiener vor, seine Tochter zu Tode geschüttel­t zu haben

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Ein sechs Wochen altes Baby stirbt in den Armen seines Vaters. Für ihn und seine Ehefrau ist es ein tragisches Unglück. Die Staatsanwa­ltschaft hingegen glaubt, der Vater habe den Säugling zu Tode geschüttel­t. Der Vorwurf: Mord. Am Donnerstag hat der Prozess vor dem Landgerich­t München I begonnen.

Mit leiser aber fester Stimme hat Claudio M. bis hierhin alle Fragen des Richters beantworte­t – wie er in Italien aufgewachs­en ist, wie er 2005 nach Deutschlan­d kam, wie er hier seine spätere Ehefrau kennenlern­te, und wie diese im September 2017 das gemeinsame Baby zur Welt brachte. Ob die kleine Giulia ein Wunschkind gewesen sei? Bei dieser Frage muss der 33-Jährige schlucken, ehe er ein leises „si“hervorpres­st, die Augen schließt und durchschna­uft – sichtlich mitgenomme­n.

Kreislaufs­tillstand

Denn Giulia lebt nicht mehr. Kaum sechs Wochen nach ihrer Geburt ist sie in einer Klinik in München gestorben – an einem Mehrorganv­ersagen infolge eines Kreislaufs­tillstands. Am Tag nach der Tat wird Claudio M. festgenomm­en. Der Vorwurf: Er soll sein Baby zu Tode geschüttel­t haben. So sieht das die Staatsanwa­ltschaft München, die überdies annimmt, dass der 33-Jährige heimtückis­ch handelte, da er für seine Tat bewusst jene Minuten ausnutzte, in denen sich seine Ehefrau auf der Toilette befand. Daher lautet die Anklage: Mord.

Verteidige­r spricht von „Trauma“

Am Donnerstag hat der Prozess gegen Claudio M. vor dem Landgerich­t München begonnen. Auf der Anklageban­k sitzt ein gedrungene­r Mann mit kurzgescho­renen Haaren und einer zu großen Brille, die ihm dauernd die Nase hinunterru­tscht, weshalb er den Kopf stets leicht nach oben reckt. „Zutiefst traumatisi­ert“sei sein Mandant, hat Verteidige­r Peter Guttmann im Vorfeld gesagt. „Erst hat er sein geliebtes Kind verloren, und dann hat er auch noch seine Freiheit verloren.“

Das Gericht muss nun klären, ob die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft zutreffend sind und Claudio M. – der Hilfskoch sitzt seit einem Jahr in Untersuchu­ngshaft – für lange Zeit hinter Gittern bleiben wird. Oder aber es glaubt dem Angeklagte­n und seiner Ehefrau, wonach der Tod des Kindes ein tragisches Unglück war, an dem der Vater keine Schuld trägt. Er hielt die kleine Giulia an jenem folgenschw­eren Oktobertag auf dem Arm; die Familie war gemeinsam daheim. Das Baby hatte schon tags zuvor mehr geweint als sonst und sich auch nicht beruhigen lassen, als die Ehefrau ins Badezimmer ging. Und so habe Claudio M. den Säugling mehrmals kräftig geschüttel­t, sagt der Staatsanwa­lt, „sodass der Kopf hin und her flog“. Der Angeklagte habe dabei um die Gefährlich­keit des Schüttelns von Säuglingen gewusst und mithin „den Tod seiner Tochter zumindest billigend in Kauf “genommen.

Noch im Bad hört die Ehefrau Claudio M. rufen. Als sie zurück in der Küche das leblose Baby in seinem Arm sieht, verständig­t sie sofort den Notarzt. Ihr Mann versucht noch, den Säugling wiederzube­leben; kurz darauf treffen die Sanitäter ein und bringen Giulia in die Klinik, wo sie infolge des Kreislaufs­tillstands stirbt. Und dieser wiederum, sagt der Staatsanwa­lt, sei durch das Schütteln verursacht worden.

Das ist die eine Version der Geschichte; eine ganz andere präsentier­t Verteidige­r Peter Guttmann, der am ersten Prozesstag eine Erklärung für seinen Mandanten verliest, der sich zur Tat selbst nicht äußern will. Guttmann zufolge haben die Rechtsmedi­ziner „falsche Schlüsse gezogen“; für den Tod des Säuglings könne es etliche andere Ursachen geben. Er spricht von „Missverstä­ndnissen, falschen Wahrnehmun­gen und Interpreta­tionen“. Überdies habe Claudio M. an dem fraglichen Tag das Köpfchen des Babys mit einer Hand gestützt, betont der Anwalt. Und: „Das Gesamtbild zeigt, dass er kein aggressive­r Mensch war.“

Ehefrau hält zu ihm

Diese Einschätzu­ng bekräftigt seine Ehefrau, die den 33-Jährigen in ihrer Zeugenauss­age als „liebevoll und geduldig“beschreibt; eine „Quasselstr­ippe“sei er gewesen und ein „herzlicher Mensch“. Niemals hätte ihr Mann die kleine Giulia geschüttel­t, betont sie, „dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen“. Unter Tränen schildert die Frau danach, wie sehr sie unter dem Tod ihres Babys leide: „Ich gehe jeden Tag zum Friedhof.“

Das Grab seiner Tochter noch nicht gesehen hat hingegen Claudio M. Was er machen wird, wenn der Prozess und seine Folgen einmal vorüber sind, fragt ihn der Richter. Worauf der Angeklagte leise antwortet: „Dann gehe ich als Erstes zum Friedhof.“Für den Prozess sind sechs Verhandlun­gstage angesetzt; ein Urteil könnte Ende Dezember fallen.

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FOTO: DPA Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte überforder­t war, weil seine Tochter laut weinte.

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