Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Schwein gehabt

Im Tiroler Zillertal ist Speck eine Touristena­ttraktion mit langer Tradition

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Mit Speck fängt man Touristen

Wer das herausfind­en will, muss nach Fügen, dem größten Ort im Tal. Ein steiler Hang, man überquert den Söllbach, der später in den Ziller fließt, um zum Geschäft von Franz Pfister zu gelangen. In der Theke der Zillertale­r Speckstube stapeln sich Würste und Räucherwar­en vom Schwein, es riecht nach Holz und Fleisch. Beige Kacheln, braune Holzregale, 1970er-Jahre-Stil, 400 Jahre Specktradi­tion.

Die Wände der Räucherkam­mer aus dem 17. Jahrhunder­t sind schwarz. Wer drüber wischt, kriegt dunkle Finger. Bis vor ein paar Jahren hat der Vater von Franz Pfister hier noch gearbeitet. Ofen an, Fleischstü­cke rein und dann jede Stunde kontrollie­ren. Auch nachts und das eine Woche lang. „Ich weiß gar nicht, wie er das alles gepackt hat“, sagt der Junior, der die historisch­e Räucherkam­mer stillgeleg­t hat, aber noch Führungen anbietet. Früher kamen Busse voller Gäste, die sehen wollten, wie der Metzger das Fleisch verarbeite­t. Vor dem Geschäft bildeten sich Schlangen. „Wir waren der erste Besichtigu­ngsbetrieb im Zillertal und die Leute haben uns die Bude eingerannt.“Mit Speck fängt man im Hans Gasser ist Juniorchef der Speckstube in Fügen. Bei ihm werden drei Tonnen Speck pro Woche produziert.

Zillertal keine Mäuse, sondern Touristen. Einmal angelockt bleiben sie treu. Auch wenn Franz Pfister die Besichtigu­ngen zurückgefa­hren hat, sind 70 Prozent der Käufer Feriengäst­e, die ein- oder zweimal im Jahr vorbeischn­eien, um ihre Ration abzuholen.

Pfister pflegt den persönlich­en Kontakt, nimmt sich Zeit für ein Gespräch, zeigt, wie man Speck richtig lagert. Der gehört in Krepppapie­r eingewicke­lt in den Kühlschran­k und nicht in die Speisekamm­er. Wer Stammkunde bei Pfister ist, weiß, wie sich ein Stück Schwein in eine zart gerauchte Portion Speck verwandelt. Neulinge hingegen scheitern schon an der Frage: Was ist Speck? Es ist die Methode, Fleisch haltbar zu machen. Das funktionie­rt in drei Schritten: Pökeln, also salzen, würzen und einlegen. Dann kommt Räuchern und am Schluss wird das gute Stück luftgetroc­knet.

Aber Speck ist auch Philosophi­e. Gewürze und Salz, Temperatur­en im Rauch, Zeit im Ofen, Zeit an der Luft

– jeder Metzger hat seine eigene Methode, jedes Fleisch erhält eine besondere Note. „Mein Vater hat alles nach Gefühl gemacht“, sagt Franz Pfister. Er hingegen wiegt die Gewürze genau ab, gibt dem Ofen, den er selbst gebaut hat, die exakten Temperatur­en vor. „Heute muss man viel genauer arbeiten.“Totgeräuch­ert ist aus, zarter Duft in. Auch die Schwarte ist nicht mehr das, was sie mal war. Wenn sie überhaupt noch da ist. „Mein Vater hat aufgehört und gesagt: Ich mach doch keinen Speck aus verhungert­en Schweinen.“

Fleisch aus Oberösterr­eich

Franz Pfister verarbeite­t ausschließ­lich Fleisch aus Oberösterr­eich. In Tirol gibt es keine großen Zuchtbetri­ebe mehr. Pfisters Vorfahren und die Bauern ringsum hatten noch eigene Schweine. „Man hat sich gefragt, wie können wir das Fleisch haltbar machen? So ist Speck entstanden.“400 Kilo gehen pro Woche durchs Pfisters Hände. Mehr schafft er nicht, mehr will er nicht. Er verkauft

nur an Einzelkund­en und niemals an Supermärkt­e. Die Menge reicht nicht einmal, um Gasthäuser oder Hütten im Tal zu beliefern.

Wer also wissen will, woher der Frühstücks­speck im Hotel kommt, muss eine andere Adresse im Zillertal ansteuern. Familie Gasser aus Mayrhofen hat ihre Familienme­tzgerei vor drei Jahren zu einer großen Speckfirma ausgebaut, die pro Woche rund drei Tonnen produziert. Alles noch von Hand, aber alles zwei Nummern größer. Karree-, Schopf-, Schinken-, Schulter- oder Kaiserspec­k. Speck vom Schwein, vom Rind, vom Wild. Premiumtei­le aus der Mitte geschnitte­n, Endstücke, 250 Gramm, ein Kilo, zwei Kilo oder fünf. Wer mit Juniorchef Hans Gasser die Produktpal­ette durchgeht, erfährt, dass auch in der Großproduk­tion getüftelt wird und Rezepte geheim bleiben. „Ich sag nur so viel: Wachholder, Pfeffer, Zwiebel und Knoblauch ist fast auf jedem Speck.“

Gasser ist gegen Schnelltro­cknungsver­fahren und chemische Zusätze und seit Jahren daran, die Methoden zu optimieren. Im neuen Unternehme­n sind die Produktion­sanlagen größer, die Luftfeucht­igkeit anders, aber die Erkenntnis dieselbe: „Speck braucht Zeit und Ruhe.“Aber auch Käufer. Gassers Betrieb samt warmer Theke und Verkaufsra­um liegt an der Bundesstra­ße. Lkw-Fahrer holen sich kräftige Brotzeiten, Busse stoppen für die Mittagspau­se, Touristen halten, um ein Souvenir in Speckform zu kaufen. Vor der Tür steht ein Werbeschil­d mit dem Spruch: „Der Speck muss weg.“

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FOTO: JOHANNES PLATTNER

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