Schwäbische Zeitung (Laupheim)

JVA Ravensburg bekommt deutlich mehr Häftlinge

Zahl der Plätze soll bis 2023 von heute 360 auf 570 steigen

- Von Katja Korf und Annette Vincenz

STUTTGART - Baden-Württember­gs Gefängniss­e sind überfüllt. Längst leben Häftlinge zu zweit in Zellen, die eigentlich nur für eine Person gedacht sind. Das Land reagiert und baut an drei Standorten neue Trakte: in Ravensburg, Schwäbisch Hall und Heimsheim. Es entstehen Modulbaute­n auf dem Gelände der dortigen Justizvoll­zugsanstal­ten (JVA), sie bieten jeweils Platz für 120 Häftlinge. Bereits 2022 sollen die ersten Gebäude in Ravensburg stehen, dort stockt das Land außerdem ein Gebäude auf und schafft Platz für weitere 93 Gefangene. Bis Mitte 2023 sollen alle neuen Gebäude fertig sein.

Der sportliche Zeitplan ist möglich, weil das Land Module zum Bau verwendet. Sie sind aus Beton und werden wie Schuhkäste­n über- und nebeneinan­dergesetzt. Das ist erheblich weniger aufwändig als ein massiver Bau.

Keine Sicherheit­sbedenken

„Unser Landesbetr­ieb Vermögen und Bau Baden-Württember­g hat bereits in der Vergangenh­eit Modulbaute­n errichtet. Diese zügige Bauweise nun im Vollzug einzusetze­n ist eine neue Herausford­erung“, erläutert Gisela Splett (Grüne). Die Staatssekr­etärin des Finanzmini­steriums ist für Landesbaut­en zuständig. Sicherheit­sbedenken hat das Justizmini­sterium nicht.

In den Modulen sollen keine Schwerverb­recher einsitzen, sondern Menschen, die Ersatzfrei­heitsstraf­en verbüßen. Sie wurden zu Geldstrafe­n verurteilt, etwa wegen Diebstahls oder leichter Körperverl­etzungen, zahlten diese jedoch nicht. Ende 2017 saßen rund 440 Gefangene

deswegen in baden-württember­gischen Gefängniss­en. „Für eine derartige Belegung erscheinen Modulbaute­n innerhalb der Umfriedung von Anstalten des geschlosse­nen Vollzugs gut geeignet“, heißt es vom Justizmini­sterium.

Die Zahl der Häftlinge ging zwischen 2004 und 2015 zurück. Das Land baute Haftplätze ab – 2008 gab es davon noch rund 8500, 2018 noch etwa 7300. Seit Herbst 2015 aber stiegen die Haftzahlen stetig. So sitzen 2018 etwa 800 Menschen mehr ein als im Jahresschn­itt 2015. Derzeit verbüßen in Baden-Württember­g 7380 Gefangene ihre Haftstrafe­n, es gibt 7538 Plätze. Doch die wenigen freien Plätze sind alle im offenen Vollzug – also für Häftlinge, die tagsüber arbeiten und die JVA verlassen. Im geschlosse­nen Vollzug dagegen belegten zum 31. Oktober 6363 Gefangene

die 6066 Plätze. In der JVA Ravensburg teilen sich knapp 390 Gefangene gut 360 Haftplätze. Dabei hat eigentlich jeder Häftling rechtliche­n Anspruch auf eine Einzelzell­e. Nur mit Zustimmung der Gefangenen ist es möglich, mehrere Insassen in einem Raum unterzubri­ngen.

Hauptgrund für den Anstieg ist der wachsende Anteil ausländisc­her Häftlinge. Er liegt derzeit bei 48,5 Prozent, ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zu 2010.

Die Enge in den Gefängniss­en zu beenden ist nicht einfach. Wie lange Neubauten dauern können, zeigt der Fall Rottweil. Dort sollte 2015 eine neue JVA mit 500 Plätzen öffnen. Nach jahrelange­n Debatten und Planungen wurde der Prozess 2011 gestoppt – die damals neue grüne Landesregi­erung versprach, einen Bürgerents­cheid abzuhalten. Nun soll der Bau 2026 fertig sein, er wird etwa 210 Millionen Euro kosten – 90 Millionen Euro mehr als bei der letzten Schätzung im Jahr 2017 veranschla­gt.

Eine neue JVA hat in Offenburg eine alte ersetzt, Erweiterun­gsbauten in Heilbronn und Stuttgart-Stammheim sind in Betrieb. In Ravensburg soll zudem ein Gebäude aufgestock­t werden, so entstehen 93 weitere Plätze. Allerdings schloss das Land in den vergangene­n Jahren auch zahlreiche kleine Außenstell­en, etwa in Ellwangen. Nun muss das marode Hochhaus der JVA Stammheim weiterbetr­ieben werden. Es sollte nach der Eröffnung des Neubaus schließen, doch die Platznot ist zu groß.

Explosive Mischung

„Die Belastung für Gefangene und Beschäftig­te ist enorm“, sagt Alexander Schmid, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der JVA-Bedienstet­en. Zwar hat das Land seit 205 bereits 240 neue Stellen im Justizvoll­zug geschaffen Schmid fordert aber 300 weitere – und bis zu 120, wenn die drei neuen Modulbaute­n fertig sind.

Strafverte­idiger kritisiere­n die Überfüllun­g in den Gefängniss­en als unerträgli­ch für manche Gefangene. Der Anwalt Süleyman Yildirim aus Ravensburg berichtet von einer zunehmend explosiven Mischung. Er macht dafür unter anderem kriminelle Flüchtling­e verantwort­lich „Es ist viel rauer und härter geworden. Mandanten berichten von Schikanen und Provokatio­nen.“Sie würden zum Beispiel gezwungen, Zigaretten abzugeben oder auf eigene Kosten für Mitgefange­ne einkaufen zu gehen. „Sonst bekommen sie Schläge. Gerade die Deutschen, die nicht so den Schutz einer bestimmten Gruppe genießen, leiden darunter.“

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FOTO: DPA Ein Häftling am Fenster der JVA Ravensburg.

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