Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Luxus für Lehrlinge
Azubis sind Mangelware: Insbesondere die Hotellerie lässt sich deshalb einiges einfallen, um für junge Menschen attraktiv zu sein
OBERSTAUFEN/AULENDORF - Den Tag lieber mit ein paar Runden im Hotelpool an der frischen Luft ausklingen lassen? Oder in der neuen Saunalandschaft schwitzen? In diesem Sommer hat sich Lea Schmidt meistens für das Schwimmbad entschieden. Jetzt, da die Abende kühl sind, steigen die Chancen für die Sauna. „In manchen Wochen nutze ich die Hotelanlagen jeden zweiten Tag“, sagt die 22-jährige Aachenerin. Dabei ist sie gar kein Gast im Allgäuer Berghof. Sie ist Auszubildende (Azubi). Trotzdem stehen ihr wie ihren Kollegen die meisten Angebote offen. Tennisplätze und Fitnessstudio rund um die Uhr, Pool und Sauna abends. Und für Wellnessanwendungen und -produkte gibt es satte Mitarbeiterrabatte.
Die Zeiten, in denen Lehrlinge „Mädchen für alles waren“und kurzgehalten wurden, sind längst vorbei. Heutzutage suchen Betriebe händeringend Azubis, die Konkurrenz um qualifizierte Kräfte ist groß. Das gilt für Bayern, wo die Regionalstelle der Bundesagentur für Arbeit Ende September 16 236 offene Ausbildungsplätze und 1063 Suchende meldete, ebenso wie für Baden-Württemberg: Hier waren 8975 Stellen für Auszubildende unbesetzt – womöglich sind es noch mehr, die aber nicht gemeldet wurden. Der Markt sei „aus Bewerbersicht unverändert gut und einer der günstigsten in Deutschland“, sagte Christian Rauch, Geschäftsführer der Bundesagentur für Arbeit BadenWürttemberg, erst vergangene Woche. Auf 100 Ausbildungsstellen kämen im Schnitt 83 Bewerber.
Die offenen Azubi-Stellen bereiten nicht nur den Unternehmern Probleme, sondern bedeuten auch, dass der ohnehin herrschende Fachkräftemangel größer wird. Die Folge: Die Betriebe sind kreativ darin, junge Menschen mit Extras zu locken. Sie wandeln sich so zu modernen, attraktiven Arbeitgebern. Besonders deutlich zeigt sich das in der Gastronomieund der Hotelbranche. Neben dem Einzelhandel und Arztpraxen leidet sie besonders stark unter fehlendem Nachwuchs. Die klaffende Lücke sei großenteils auf den seit acht Jahren anhaltenden Boom in der Tourismusbranche zurückzuführen, sagt Susanne Droux vom Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband (BHG) im Dehoga: „Jedes Jahr entstehen zahlreiche neue Hotels.“In Bayern gebe es derzeit 10 000 Lehrlinge. „Die Betriebe könnten allerdings 10 bis 20 Prozent mehr unterbringen.“Auch in Baden-Württemberg ist noch Luft nach oben. Die Zahl der leeren Stellen bewegt sich laut Dehoga im vierstelligen Bereich.
Und so ist der Allgäuer Berghof nur eines von vielen gehobenen Hotels, die ihre Anlagen für Angestellte öffnen, den Mitarbeitern günstige Wohnungen zur Verfügung stellen oder Autos, die sie sich umsonst ausleihen dürfen. In der Region haben sich inzwischen ein gutes Dutzend Betriebe zu „Azubi Top Hotels“zusammengeschlossen. Unter dieser Marke werben die Betriebe auf Ausbildungsmessen damit, dass sie übertariflich bezahlen, Überstunden extra zählen, eine Willkommenskultur für neue Mitarbeiter leben und zahlreiche Zuckerl anbieten. So werden überdurchschnittliche Jahreszeugnisse mit einem iPhone, iPad oder Fatbike belohnt. Azubis dürfen einmal im Jahr mit den Eltern im eigenen Betrieb Gast sein, ein weiteres Mal bekommen sie ein Abendessen plus Übernachtung mit Begleitung in einem Partnerhotel, es gibt einen Eventday mit den Chefs und Incentivetouren in eine attraktive Stadt.
Der Erfolg spricht für sich: „Seit wir 2016 die Initiative gestartet haben, hat sich die Bewerberzahl verdoppelt“, sagt Sybille Wiedenmann, Geschäftsführerin der Allgäu-Top-hotels und der Allgäu-Hotels und Verantwortliche für das Projekt. Noch wichtiger: Die Motivation und Qualifikation der Interessenten hätten sich spürbar gesteigert. Entsprechend gibt es bereits eine Warteliste mit Hotels, die sich anschließen wollen. Längerfristig soll das Programm auf 80 Betriebe ausgeweitet werden.
Auch in Baden-Württemberg floriert der Wettbewerb um gute Lehrlinge. Das Hotel Arthus & Ritterkeller in Aulendorf hat beispielsweise inzwischen die Arthus-Akademie gegründet. „Teamwork, Spaß & Du mittendrin“ lautet das Motto, auf der Homepage strahlen einem junge Menschen entgegen. 13 Veranstaltungen werden den derzeit zwölf Azubis jährlich geboten, dazu Ausflüge genauso wie auch Seminare. Probleme mit Nachwuchs hätten sie bislang nicht, sagt Hotelleiterin Jessica Leuthold. Ein ähnliches Programm fährt das Ringhotel Krone in Schnetzenhausen, inklusive Besuch auf einem Weingut und Galaabend für Eltern und Freunde, an dem die Lehrlinge die Regie übernehmen.
Ausbildungsqualität entscheidet
Die Mischung zeigt: Es geht nicht nur um Extras im Sinne von Privatvergnügen, sondern auch um Fortbildung und um Möglichkeiten, zu zeigen, was man kann. Diese, glaubt Daniel Ohl, Sprecher der Dehoga in Baden-Württemberg, wüssten junge Menschen mindestens genauso zu schätzen: „Ein Zuschuss zum Führerschein ist sicher eine Maßnahme, entscheidend sind aber die Zuwendung zum Azubi und die Ausbildungsqualität“, sagt er. Wenn Betriebe ihre Lehrlinge fördern, ihnen was zutrauen, spreche sich das herum. Hier könne ein kleiner Betrieb, der nicht so viele Extras bieten kann, mit größeren Unternehmen durchaus mithalten.
Manchmal ist es auch die Stadt, die Anreize setzt, wie im Fall von Oberstaufen im Allgäu: Mitarbeiter in Tourismusbetrieben können über Fortbildungen Punkte auf einer Art Gastgeberkarte sammeln und erhalten im Gegenzug dafür Rabatte und freie Eintritte, etwa fürs Schwimmbad, für Skilifte, in Cafés und Restaurants und im Einzelhandel. Bis Jahresende werden die Karten ausgegeben. Tourismusdirektor Christopher Krull hofft nicht nur auf einen Anreiz für Bewerber, nach Oberstaufen zu kommen, sondern auch für stetige Weiterbildung.
Andere Branchen sind ebenfalls umtriebig. Der Landesverband der Bauinnungen schickt in Bayern Studenten und Handwerker als „Harry Hammer“und „Nicki Nagel“mit Helm und Hammer in Kindergärten, um früh das Interesse am Baugewerbe zu fördern. Innungen prämieren den „Azubi des Jahres“, der zwölf Monate lang ein Auto zur Verfügung gestellt bekommt, so etwa bei der Zimmererinnung Biberach oder der Stuckateurinnung Ludwigsburg. Das soll Anreiz genauso wie Werbung sein: „Das Auto ist entsprechend beklebt. Damit wollen wir natürlich auch Neugier für den Beruf wecken“, sagt Dietmar Brosi, Vorstand der Ludwigsburger Innung.
Bei Bäckereien gibt es ein ganzes Sammelsurium unterschiedlicher Anreize, wie Franz Sautter von der Landesinnung Baden-Württemberg sagt: Es geht los mit übertariflicher Bezahlung und Zuschüssen zu Führerschein oder Auto bis hin zur Finanzierung von Fortbildungen und sogar der Meisterausbildung.
Touristik-Azubi Lea Schmidt jedenfalls genießt die Extras, die ihr im Allgäuer Berghof geboten werden. Dazu gehört auch, dass sie in einer Lehrlings-WG wohnt, die auch als Anlaufstation für neue junge Mitarbeiter dient. „Hier kann jeder anklopfen, wir haben ein großes Wohnzimmer“, sagt sie.
„Seit wir 2016 die Initiative gestartet haben, hat sich die Bewerberzahl verdoppelt.“Sybille Wiedenmann, Geschäftsführerin Allgäu-Tophotels