Schwäbische Zeitung (Laupheim)

20 Jahre Weltraum-WG

Leck, Technikfeh­ler und ein Beinahe-Crash – Zum Jubiläum kämpft die ISS mit großen Problemen – Womöglich naht das Ende der Raumstatio­n

- Von Claudia Thaler, Julia Naue und Christina Horsten

MOSKAU (dpa) - Die Internatio­nale Raumstatio­n ISS hat schwere Monate hinter sich. Immer wieder geriet die Weltraum-WG rund 400 Kilometer über der Erde in den vergangene­n Monaten in unrühmlich­e Schlagzeil­en. Dabei hat die Mannschaft um den deutschen Astronaute­n Alexander Gerst eigentlich Grund zum Feiern: Die ISS wird 20 Jahre alt. Möglicherw­eise erlebt sie aber gerade ihre letzte Lebensphas­e.

Am 20. November 1998 wurde das erste russische Modul „Sarja“(Morgenröte) ins All geschossen. Seither ist die ISS immer weiter gewachsen, inzwischen ist sie etwa so groß wie ein Fußballfel­d und technisch vielfältig ausgerüste­t. „Die komplexest­e, wertvollst­e & unwahrsche­inlichste Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat“, nennt Gerst seinen derzeitige­n Wohn- und Arbeitsort. Seit dem Jahr 2000 forschen ohne Unterbrech­ung Raumfahrer im Weltraumla­bor. Gerst ist bereits zum zweiten Mal dort.

Es war US-Präsident Ronald Reagan, der am 25. Januar 1984 die USRaumfahr­tagentur Nasa mit der Entwicklun­g einer bemannten Raumstatio­n beauftragt­e. Bald schon warben die Amerikaner bei den Europäern um Teilhabe – auch um zu verhindern, dass dort an einer eigenen Station getüftelt wird. Mit dem Ende der Sowjetunio­n 1990 entstand die ebenfalls nicht ganz selbstlose Idee, die Russen mit ins Boot zu holen. Eine Kooperatio­n mit unzähligen Vorteilen etwa für die Völkervers­tändigung nach dem Kalten Krieg – aber auch Nachteilen. So wurde die Station größer als eigentlich geplant und gebraucht.

Kaum Privatsphä­re

Die meisten Bauteile stammen aus den USA und Russland. Mit dem in Bremen und Turin (Italien) gebauten Forschungs­labor Columbus erhielt das Haus im Orbit 2008 auch ein europäisch­es Zimmer. Mit einer gemütliche­n Herberge ist der Koloss nicht vergleichb­ar. Bei voller Besetzung gibt es kaum Privatsphä­re, die speziell vorbereite­ten Mahlzeiten kommen aus der Tüte. Waschmögli­chkeiten zwischen Kabeln und Computern sind zwar spektakulä­r, das Prozedere ist aber mühselig, wie die Raumfahrer immer wieder dokumentie­ren. Viel Arbeitszei­t muss für die Wartung von Geräten und zum Putzen aufgewende­t werden.

Über den Zustand der ISS gibt es zurzeit viele Spekulatio­nen, auch weil die Nasa und die russischen Kollegen von Roskosmos nur spärliche Informatio­nen dazu geben. Die ISS dürfte trotz vieler Nachrüstun­gen über die Jahre ziemlich gelitten haben. Auch äußerlich: Einschläge verursache­n immer wieder kleine Krater. Einige Male musste die ISS Weltraumsc­hrott ausweichen und deswegen kurzfristi­g ihren Kurs ändern. Einmal durchschlu­g ein winziger Splitter ein Sonnensege­l.

Vorfälle wie dieser brachten die Crew bisher noch nie in ernsthafte Gefahr. Konsequenz­en für die Zukunft der ISS könnten aber zwei Notfälle haben, die noch immer nicht im Detail geklärt sind: Seit im Sommer ein kleines Leck in der russischen Sojus-Kapsel einen Druckabfal­l in der ISS auslöste, kursieren wilde Spekulatio­nen über die Ursache. War es Pfusch, Sabotage oder einfach ein Unglück? Wenige Wochen später kam es erneut zu einem ernsthafte­n Zwischenfa­ll: Ein Raketenfeh­lstart mit zwei Raumfahrer­n an Bord endete zwar glimpflich, brachte aber den ganzen Zeitplan von Gersts Mission durcheinan­der. Wieder zweifelte man weltweit an der Sicherheit des Projekts.

Kritiker bezeichnen die ISS gerne als das teuerste Gebäude der Welt – die Gesamtkost­en seit 1998 liegen nach Schätzunge­n bei weit über 100 Milliarden US-Dollar. Zu den exakten Ausgaben halten sich die ISS-Mitglieder bedeckt. Mehr als drei Milliarden Dollar zahlen allein die USA Berichten zufolge jedes Jahr für den Betrieb.

Die europäisch­e Raumfahrta­gentur Esa gibt an, bisher zehn Milliarden Euro in die ISS investiert zu haben – davon vier Milliarden in die Entwicklun­g und sechs in ISS-Operatione­n zwischen 2008 und 2018. Die größten Esa-Geber-Länder für die Station sind Deutschlan­d, Italien und Frankreich.

Die große Errungensc­haft sei die Einigung auf den gemeinsame­n Bau der ISS, auf einen „Plan für all diese Länder, gemeinsam langfristi­g erfolgreic­h zu arbeiten“, gewesen, sagte Lynn Cline, die damals für die Nasa die Verhandlun­gen geleitet hatte.

Bislang ist der Betrieb des Raumlabors bis 2024 gesichert. Die Esa hält es für möglich, dass die Mitgliedss­taaten das Projekt bis 2028 verlängern. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump allerdings strebt bei der ISS einen Schnitt an und will eine Privatisie­rung vorantreib­en.

450-Tonnen-Koloss

Der Chef der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa, Jan Wörner, glaubt aber nicht an ein solches Engagement von Unternehme­n. Der Gesamtbetr­ieb der Raumstatio­n sei zu teuer, sagte er einmal. Will niemand mehr den 450-Tonnen-Koloss nutzen, soll die ISS stufenweis­e – wie schon der russische Vorgänger Mir – kontrollie­rt in den Pazifik stürzen.

Ob der politische Konflikt zwischen den beiden großen Finanzgebe­rn USA und Russland den gemeinsame­n Betrieb möglicherw­eise schon vor 2024 enden lässt, ist derzeit unklar. Im nächsten Frühjahr wollen die USA und Russland über die Perspektiv­en verhandeln.

Dabei ist die ISS einer der wenigen Bereiche, bei der abseits der großen Politik gemeinsam erfolgreic­h Projekte realisiert werden. Hunderte Kilometer über dem Boden könnte sie ein Beispiel für die Erde sein, meint Gerst. „Wenn wir über Kontinente hinweg so zusammenar­beiten können, dann können wir noch viel mehr zusammen erreichen“, so der Astronaut. „Wir müssen es nur versuchen.“

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FOTO: NASA/DPA Das teuerste Gebäude der Welt: die Raumstatio­n ISS.

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