Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mehr Frauen werden Opfer häuslicher Gewalt

Familienmi­nisterin Giffey nennt Zahlen „schockiere­nd“und verspricht mehr Hilfe

- Von Theresa Gnann, Andreas Herholz und unseren Agenturen

BERLIN - Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlich­er Ort: 138 893 Menschen sind in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder ExPartner geworden. Von diesen sind 147 Frauen getötet worden, wie Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag bei der Vorstellun­g der „Kriminalst­atistische­n Auswertung zu Partnersch­aftsgewalt 2017“in Berlin erklärte. Damit sei häufiger als jeden dritten Tag eine Frau in Deutschlan­d von ihrem Partner getötet worden. Im Vergleich zum Jahr 2016, als 109 000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt wurden, ist die Zahl stark gestiegen.

Giffey nannte die Entwicklun­g „schockiere­nd“. Die Zahlen zeigten, dass sehr viele Frauen in Angst leben müssen. Nach ihrer Einschätzu­ng ist zudem die Dunkelziff­er enorm hoch. „Das Hellfeld ist deutlich kleiner als das Dunkelfeld“, sagte sie. „Nur 20 Prozent der Betroffene­n suchen direkt Hilfe, gehen bis hin zur Anzeige.“Die Steigerung im vergangene­n Jahr erkläre sich vor allem dadurch, dass neue Kategorien in die Statistik aufgenomme­n worden seien, etwa Zuhälterei, Zwangspros­titution und Freiheitsb­eraubung.

Experten sehen jedoch auch die hohe Zahl von Zuwanderer­n aus anderen Kulturkrei­sen in den vergangene­n Jahren als Grund. Der Kriminolog­e Christian Pfeiffer, ehemals Direktor des Kriminolog­ischen Forschungs­instituts Niedersach­sen, verwies am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“auf Untersuchu­ngen, nach denen die Partnersch­aftsgewalt zwischen 1992 und 2011 um circa zwei Fünftel abgenommen habe. „Wenn es jetzt einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen in der Beziehung gibt, spricht viel für die These, dass hier die starke Zuwanderun­g aus Kulturen männlicher Dominanz eine gewichtige Rolle spielt“, erklärte Pfeiffer. Immerhin seien „gut ein Drittel der Tatverdäch­tigen bei Polizeiein­sätzen nach dem Gewaltschu­tzgesetz Ausländer“.

Giffey betonte derweil, dass häusliche Gewalt durch alle ethnischen Gruppen und soziale Schichten gehe. „Es gibt vielfältig­e Gründe für Gewaltvorf­älle: Häufig sind es Beziehungs­probleme oder auch finanziell­e oder psychische Probleme. Sehr häufig ist auch das Thema Alkohol im Spiel“, erklärte Giffey.

Die Ministerin kündigte den Ausbau von Hilfseinri­chtungen an. Derzeit könnten die 350 Frauenhäus­er und die 600 Beratungss­tellen jährlich rund 300 000 Frauen samt Kindern versorgen. Dies reiche nicht aus. „Was wir sehen und auch rückgemeld­et bekommen aus den Ländern, ist dass der Bedarf größer ist, als das, was an Plätzen zur Verfügung steht“, erklärte sie.

BERLIN - Eine junge Frau liegt tot auf dem Fahrersitz ihres Mercedes. Ein Spaziergän­ger findet den leblosen Körper, ruft die Polizei, die einen grausamen Verdacht hegt: Der Ehemann habe einen Unfall vorgetäusc­ht – und seine Frau erwürgt. Der 35-Jährige schweigt, über Monate steht er vor Gericht, im Juli dieses Jahres wird er schließlic­h wegen Mordes verurteilt. Der Fall aus Hoßkirch im Landkreis Ravensburg macht Schlagzeil­en, er wühlt die Menschen auf, wie so viele ähnliche Beziehungs­taten auch.

Jeden Tag versucht in Deutschlan­d ein Mann, seine Partnerin zu töten. Jedes dritte Mal gelingt es. 147 tote Frauen macht das im Jahr 2017. Sie wurden erstochen, erwürgt oder erschossen – ausgerechn­et von denen, die ihnen am nächsten stehen oder früher einmal standen. „Wenn man das runterbric­ht wird montags, donnerstag­s und sonntags eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner ermordet“, rechnet Bundesfrau­enminister­in Franziska Giffey vor. „Das ist eine unvorstell­bare Größenordn­ung für ein modernes Land wie Deutschlan­d.“Die Zahlen der „Kriminalst­atistische­n Auswertung zu Partnersch­aftsgewalt 2017“, die sie am Dienstag in Berlin vorträgt, nennt sie „schockiere­nd“. Sie zeigen: Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlich­er Ort.

Nötigung und Freiheitsb­eraubung

Die Statistik erfasst nicht nur Mord und Totschlag, sondern auch Körperverl­etzungen, Vergewalti­gung, sexuelle Nötigung sowie psychische Gewalt wie Bedrohung und Stalking. Erstmals in die Statistik aufgenomme­n wurden Nötigung, Freiheitsb­eraubung, Zuhälterei und Zwangspros­titution. Fasst man alle Fälle zusammen, erfuhren in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr insgesamt 13 8893 Menschen Gewalt in ihren Beziehunge­n, im Jahr zuvor waren es 13 3080. Die Dunkelziff­er, so schätzen Experten, liegt viermal so hoch.

Es gibt sie überall in Deutschlan­d, Männer, die ihre Frauen krankenhau­sreif schlagen, wieder und wieder. Die ihrer Ex-Frau auflauern, sie bedrohen, sie einsperren oder töten. Die Täter sind zu zwei Dritteln deutsche Staatsbürg­er. Einen Migrations­hintergrun­d erfasst die Studie nicht.

Besonders gewalttäti­g seien Personen im Alter von 30 bis 39 Jahren und solche aus schwierige­n sozialen Verhältnis­sen, sagt Giffey. Die Gefahr steige immer dann, wenn Alkohol, Geldsorgen oder psychische Probleme im Spiel seien. Ministerin Giffey betont aber auch: „Gewalt am Partner gibt es in allen ethnischen Gruppen und in allen sozialen Schichten.“

In 82 Prozent aller Fälle sind die Opfer Frauen. Fast die Hälfte davon lebt sogar in einem Haushalt mit dem Tatverdäch­tigen. Hilfe suchen nur die wenigsten von ihnen. „Und wenn, dann oft erst viel zu spät“, sagt Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“. Rund 37 000 Frauen und rund 300 Männer nahmen im vergangene­n Jahr eine Beratung durch das Hilfetelef­on in Anspruch. Ähnlich vielen Menschen sei in den 350 Frauenhäus­ern mit 6000 Plätzen und den 600 Beratungss­tellen geholfen worden, sagt Giffey.

Doch der Ministerin reicht das nicht aus. Sie will die Unterstütz­ung für Frauen ausbauen. Ihr langfristi­ges Ziel sei es, einen Rechtsansp­ruch auf Schutz gegen Gewalt zu schaffen, erklärt sie. „Das heißt zum Beispiel: Jede Frau, die einen Platz im Frauenhaus braucht, soll diesen auch bekommen. Ähnlich wie beim Rechtsansp­ruch auf einen Kita-Platz.“Ein Aktionsbün­dnis und ein Runder Tisch von Bund, Ländern und Kommunen soll dabei helfen. Außerdem soll ein Förderprog­ramm in Höhe von sechs Millionen Euro aufgelegt werden. Dieser Betrag werde in den Folgejahre­n weiter erhöht. Im Jahr 2020 sollen dann 35 Millionen Euro in ein Aktionspro­gramm gegen Gewalt an Frauen fließen, das Länder wie Kommunen beim Ausbau von Hilfsstruk­turen unterstütz­t. Einen konkretere­n Zeitplan nennt Giffey derweil nicht. „Wir werden sicher nächstes Jahr noch keine Gesetze verabschie­den“, sagt sie. Das koste nun mal Geld und Überzeugun­gsarbeit. „In der Sache sind noch dicke Bretter zu bohren.“

Das Hilfetelef­on „Gewalt gegen

Frauen“ist ein bundesweit­es Beratungsa­ngebot für Frauen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. Es ist rund um die Uhr erreichbar unter 08000 116 016. Das Angebot ist kostenlos und anonym. Beratung ist in 17 Sprachen möglich.

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FOTO: IMAGO 147 Frauen sind 2017 durch Partnersch­aftgewalt gestorben, so eine aktuelle Statistik.

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