Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Schweizer streiten übers Horn

Armin Capaul träumt von einer Welt, in der alle Kühe ihre Hörner behalten dürfen – am Sonntag stimmt die Schweiz darüber ab

- Von Jan Dirk Herbermann

Für den Schweizer Bergbauern Armin Capaul geht es um die Würde des Tieres, um die Würde der Kuh (Foto: imago). Für ihn zeigt sich dies auch daran, dass der Mensch dem Rind seine Hörner lässt. Am Sonntag stimmen die Eidgenosse­n über eine entspreche­nde Gesetzesin­itiative ab. Worum es Capaul konkret geht, lesen Sie auf

PERREFITTE - Die Kuh Nena hebt den Kopf. Die beiden Hörner ragen spitz in die Höhe. Nena gibt wohlige Laute von sich, die Wälder und schroffen Felsen des Berner Jura glänzen im Herbstlich­t. Neben der 18-jährigen Kuh, Rasse Original Braunvieh, steht Armin Capaul. Der 67-Jährige legt väterlich seine rechte Hand auf Nenas Rücken. „Kommen Sie nur, fassen Sie ein Horn an“, ruft der knorrige Bergbauer mit dem wilden Haarwuchs. „Nena tut nichts.“

Nenas Horn ist angenehm warm. In dem Horn pulsiert das Blut. Das Leben. „In der ganzen Schweiz hat nur noch eine von zehn Kühen ihre Hörner“, sagt Capaul mit knarziger Stimme und stapft über die schräg ansteigend­e Wiese zurück zu seinem Bauernhof. Der Hof in der Gemeinde Perrefitte umfasst 17 Hektar Land und Wälder. „Die Bilder in der Werbung, auf denen wir grüne Weiden mit behornten Tieren sehen, gaukeln uns nur etwas vor“, murmelt Capaul während er seine Kopfbedeck­ung, sein „Käppli“, nach hinten rückt. Rund 200 000 Kälber, so lauten die Schätzunge­n, verlieren in der Eidgenosse­nschaft pro Jahr ihre zarten Hörner. Sie werden weggebrann­t, weggeschni­tten. Capaul ist sich sicher: „Trotz der vorgeschri­ebenen Betäubung ist die Enthornung sehr schmerzhaf­t, viele Tiere leiden lange darunter.“Der Eingriff erfolgt mit einem Brennstab, mehrere Hundert Grad heiß.

Die Schöpfung achten

Jetzt erzählt Capaul von seiner Mission. Diese Mission soll am kommenden Sonntag in einem Triumph enden. An diesem Tag entscheide­n die Eidgenosse­n über Capauls „Hornkuh-Initiative“. Der Tierfreund hofft bei der Volksabsti­mmung auf einen klaren Sieg, „aber alle müssen wählen gehen, auch die vielen Schweizer im Ausland“. Capaul will die Schweizer Kuh vor der „Enthornung“bewahren, er will der Schweizer Kuh ihre „Würde“zurückgebe­n. „Die Schöpfung hat den Tieren ihre Hörner gegeben. Sie tragen sie mit Stolz und Achtsamkei­t“, sagt Capaul. Sein zerfurchte­s Gesicht nimmt ernste Züge an.

Der populäre Rebell

Der Kampf für das Symboltier der Schweiz beschert dem kauzigen Landwirt enorme Popularitä­t. Immer wieder machen sich Fans und Tierfreund­e zu Capauls entlegenem Hof auf, der nur über einen steinigen Pfad durch den dichten Gebirgswal­d zu erreichen ist. In Capauls Arbeitszim­mer stapeln sich zugesandte Plüschtier­e, selbstvers­tändlich mit Hörnern, und zustimmend­e Briefe. Die Zeitschrif­t „Schweizer Bauer“berichtete über den „Bergrebell“ebenso wie die Sonntagsau­sgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“, die in ihm den kommenden „Nationalhe­lden“Helvetiens sieht. Das Buch „Kuhhorn“über Capaul erscheint sogar in Japan. Was fordert Capaul genau? Er und seine Mitstreite­r setzen auf ein finanziell­es Anreizsyst­em zum Wohl der Tiere. Vater Staat soll den Bauern, die behornte, erwachsene Kühe halten, für ihren Mehraufwan­d entschädig­en.

Das gleiche gilt für Stiere, Ziegen und Ziegenböck­e. Die scharfen Hörner der Vierbeiner können gefährlich werden, für ihre Artgenosse­n und den Mensch. Deshalb brauchen Tiere mit Horn größere, speziell ausgerüste­te Stallungen. Diese Einrichtun­gen kosten mehr Geld als Behausunge­n für Tiere ohne Hörner. Letztlich käme also der Steuerzahl­er für das Bewahren der Hörner auf.

„Wir wollen kein Verbot der Enthornung“, stellt Capaul klar und greift in seinen Tabaksbeut­el, dreht sich eine Zigarette. Den Qualm in die klare Luft pustend, sagt er: „Wir sind gegen Zwang.“Die Ehefrau des Bergbauern, Claudia, steht in ihrem sauber geschnitte­nen Blumen- und Gemüsebeet. Sie stimmt ihrem Armin zu: „Ja, alles muss freiwillig geschehen.“Kuhglocken bimmeln, ein Hund bellt. Capauls Sohn Donat mistet den Stall aus. „Wissen Sie“, sagt Vater Capaul. „Das Horn der Kuh wächst ein Leben lang, es ist mit dem Verdauungs­system verbunden, dient der Körperpfle­ge und auch der Kommunikat­ion.“Die Hörner, so weiß Capaul nach einem harten Bauernlebe­n, sind die „Antennen“seiner vierbeinig­en Freunde. Capaul spricht mit allen seinen Tieren. Er versteht sie, die acht Kühe, den Stier, die Kälber, die Schafe, die Ziegen, die Hunde

„55 000 Franken. Ich musste mein Sparbüchli plündern.“Armin Capaul, der die Kampagne zunächst privat finanziert hat

und Katzen. „Der Schutz der Tiere ist mir eine Herzensang­elegenheit“, sagt er und schaut in die Vergangenh­eit.

Vor elf Jahren sagte sich Capaul: Schluss mit dem Enthornen. Weil Briefe an die Regierung in Bern keine Ergebnisse brachten, griff Capaul zum Instrument­arium der Direkten Demokratie. Der Bauer und seine Helfer sammelten 155 000 Unterschri­ften für das Zustandeko­mmen einer Volksabsti­mmung, nötig wären nur 100 000 Unterschri­ften gewesen. Gut 55 000 Franken eigenes Geld steckte Capaul in seine Kampagne. „Ich musste mein Sparbüchli plündern“, erinnert er sich.

Angst vor höheren Kosten

Die Regierung lehnt die Capaul-Initiative ab. Landwirtsc­haftsminis­ter Johann Schneider-Ammann scheut sich vor allem vor den Mehrausgab­en für eine tierschutz­gerechte Haltung – von bis zu 30 Millionen Franken pro Jahr ist die Rede. „Das Geld für die Umsetzung müsste andernorts im Landwirtsc­haftsbudge­t eingespart werden, was schwierig wäre“, gibt der Minister in einem Interview zu bedenken. Armin Capaul spürt aber auch Gegenwind von anderen Bauern. Etliche seiner Kollegen bestreiten, dass die Kälber beim Enthornen überhaupt leiden.

„Ja, ich kenne diese Argumente“, sagt Capaul und blättert in den Broschüren seiner Gegner. Über seinen Hof breitet sich langsam die Dunkelheit aus. „Aber glauben Sie mir, ich habe schon so manchen Schmerzens­schrei eines Kalbes gehört, als der Brennstab angesetzt wurde.“

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FOTO: ESTHER MICHEL „Ich habe schon so manchen Schmerzens­schrei eines Kalbes gehört, als der Brennstab angesetzt wurde.“Armin Capaul ist überzeugt, dass Tiere trotz Betäubung beim Enthornen leiden. Auf seine Initiative hin sind in kurzer Zeit 155 000 Unterschri­ften für einen Volksentsc­heid zusammenge­kommen – und damit weit mehr, als nötig gewesen wären.

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