Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wenn Straßen ihren Namen abgeben müssen
Heilmeyersteige, Hindenburgring & Co.: Historiker haben einen Vorschlag vorgelegt, wie Ulm mit belasteten Paten umgehen soll
ULM - Rund 17 Millionen Menschen hat der Erste Weltkrieg das Leben gekostet. Darf ein hochrangiger deutscher General Namensgeber einer wichtigen Straße in Ulm sein? Noch dazu einer, der die Zwangsarbeit von Zivilisten anordnete – und später Adolf Hitler zur Macht verhalf? Die Grünen im Ulmer Gemeinderat sind der Meinung, dass der Hindenburgring einen neuen Namen bekommen muss. Der Offizier und spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg habe es nicht verdient, Pate einer Straße zu sein.
Der Hindenburgring könnte die erste Straße sein, deren Name nach einer Prüfung durch die Arbeitsgemeinschaft Straßenbenennung geändert wird. Zu dem Gremium gehören neben Kulturbürgermeisterin Iris Mann und Mitglieder des Gemeinderats auch Stadtarchivar Michael Wettenegel und DZOK-Leiterin Nicola Wenge, beide sind promovierte Historiker. Die Arbeitsgemeinschaft hat ein Richtlinien-Papier erarbeitet. Darin sind Ablauf und Kriterien für die Benennung von Straßen aufgeführt – zum Beispiel für Neubaugebiete. Aber auch der Ablauf und die Kriterien für den Fall, dass Straßen ihren Namen verlieren. Doch gerade die Entscheidung, einen neuen Namen auszuwählen, hat finanzielle Folgen: Etliche Adressen müssen geändert werden. Darf dieser Aspekt eine Rolle spielen? Der Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung ausführlich über diese Frage gestritten.
Die Arbeitsgemeinschaft Straßenbenennung hat sich für ihren Vorschlag am Vorgehen anderer deutscher Städte orientiert und verschiedene Möglichkeiten ins Gespräch gebracht: Karlsruhe und Stuttgart gaben der Hindenburgstraße neue Namen. Hamburg benannte einen Abschnitt der gleichnamigen Straße in Otto-Wels-Straße um – nach dem SPD-Politiker, der sich in der letzten freien Rede im Reichstag 1933 scharf gegen Hitler ausgesprochen hatte. In Ludwigsburg und Münster gab es Diskussionen, Straßennamen beizubehalten, die Wege aber gleichnamigen unbelasteten Personen zu widmen. Und verschiedene Städten behielten die Namen bei, zusätzlich wurden Schilder und Stelen mit Erklärungen angebracht und aufgestellt. In Karlsruhe etwa lautet der Kommentar zur Treitschkestraße, die nach einem antisemitischen Historiker benannt ist: „Er trug mit seinen Publikationen dazu bei, dass der Antisemitismus in der Kaiserzeit gesellschaftlich wurde. Die Straße wurde 1989 benannt. Die Benennung entspricht nicht mehr den heutigen Wertvorstellungen.“
Wenn ein Antrag eingeht, einer Straße einen neuen Namen zu geben, prüft die Ulmer Arbeitsgemeinschaft die Relevanz der Anfrage und vergibt gegebenenfalls einen Auftrag für ein externes Gutachten. Das Gutachten samt Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft wird dem Ältestenrat vorgelegt. Er entscheidet, ob der Gemeinderat über den Vorschlag abstimmen soll. In den Ortschaften entscheiden die Ortschaftsräte.
Wer eine Funktion im NS-Regime oder einem anderen Unrechtsstaat innehatte, Verbrechen begangen hat oder daran beteiligt war, menschenverachtende Ideologien verbreitet hat, demokratiefeindliches Verhalten nach Ende der NS-Diktatur gezeigt hat oder darauf hingewirkt hat, ein demokratisches System abzuschaffen, der soll kein Pate einer Ulmer Straße sein.
Es sind Kriterien, die auf Veränderungen bei Ulmer Straßen hindeuten. Ludwig Heilmeyer, Uni-Gründer und Pate der Heilmeyersteige, hat nach dem Zweiten Weltkrieg positive Gutachten für Ärzte geschrieben, die in Verbrechen verstrickt waren und ein Lehrbuch neu herausgebracht, dessen ursprünglicher Autor als Jude von den Nazis ermordet worden war. Paul von Hindenburg, Namensgeber des Hindenburgrings, gilt als einer der „Steigbügelhalter“, die Hitler zur Macht verholfen haben.
Sollte es zu Änderungen kommen, wären es nicht die ersten Entscheidungen dieser Art. Erst vor wenigen Jahren wurde der lediglich knapp 100 Meter lange Otto-Elsäßer-Weg auf dem Roten Berg in Willi-EcksteinWeg umbenannt. Otto Elsäßer, nach dem Krieg Stadtrat in Ulm, war NSSchreibtischtäter, wie ein Medizinhistoriker herausgefunden hatte.
Kritik am Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft kommt von der FDP. „Wir leiden in Deutschland unter politischen Entscheidungen, bei denen finanzielle Kriterien außer Acht gelassen werden“, sagte Stadtrat Erik Wischmann bei der Vorstellung des Konzepts im Gemeinderat. Er forderte, den Passus zu ergänzen, dass die Folgen angemessen berücksichtigt werden. Martin Rivoir widersprach scharf: „Ich kann doch nicht Geschichte wissenschaftlich aufarbeiten und dann sagen: So schlimm war es doch nicht, weil die Straßenumbenennung zu viel kostet“. Sozialbürgermeisterin Iris Mann betonte, Folgen müssten selbstverständlich berücksichtigt werden – wie wie bei jeder anderen Frage auch.
Der Gemeinderat stimmte dem Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft bei drei Gegenstimmen zu. Über den Antrag zum Hindenburgring diskutiert die Arbeitsgemeinschaft Straßenbenennung bei ihrer nächsten Sitzung, die für Ende Februar geplant ist. Weitere Anliegen und Vorschläge sind bei der Kommission noch nicht eingegangen. „Wir graben jetzt nicht in den Archiven und schauen, was mal war“, sagte Iris Mann.
Nach diesen Kriterien soll die Stadt bei der Entscheidung über Namenspatrone neuer Straßen vorgehen. Es gilt der Grundsatz: Eine Benennung ist nur nach verstorbenen Persönlichkeiten möglich.
Einsatz für das Gemeinwohl, für Demokratie und Rechtsstaat. Besondere Leistungen in Wissenschaft, Sport, Musik, Kunst, Literatur und Ähnlichem. Hohes Ansehen und Akzeptanz in der Bevölkerung. Besondere Bedeutung für Ulm. Opfer beispielsweise nationalsozialistischen Terrors. Erinnerungswürdigkeit aufgrund des besonderes Bezugs zum jeweiligen Ort. Ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen.