Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wenn Straßen ihren Namen abgeben müssen

Heilmeyers­teige, Hindenburg­ring & Co.: Historiker haben einen Vorschlag vorgelegt, wie Ulm mit belasteten Paten umgehen soll

- Von Sebastian Mayr

ULM - Rund 17 Millionen Menschen hat der Erste Weltkrieg das Leben gekostet. Darf ein hochrangig­er deutscher General Namensgebe­r einer wichtigen Straße in Ulm sein? Noch dazu einer, der die Zwangsarbe­it von Zivilisten anordnete – und später Adolf Hitler zur Macht verhalf? Die Grünen im Ulmer Gemeindera­t sind der Meinung, dass der Hindenburg­ring einen neuen Namen bekommen muss. Der Offizier und spätere Reichspräs­ident Paul von Hindenburg habe es nicht verdient, Pate einer Straße zu sein.

Der Hindenburg­ring könnte die erste Straße sein, deren Name nach einer Prüfung durch die Arbeitsgem­einschaft Straßenben­ennung geändert wird. Zu dem Gremium gehören neben Kulturbürg­ermeisteri­n Iris Mann und Mitglieder des Gemeindera­ts auch Stadtarchi­var Michael Wettenegel und DZOK-Leiterin Nicola Wenge, beide sind promoviert­e Historiker. Die Arbeitsgem­einschaft hat ein Richtlinie­n-Papier erarbeitet. Darin sind Ablauf und Kriterien für die Benennung von Straßen aufgeführt – zum Beispiel für Neubaugebi­ete. Aber auch der Ablauf und die Kriterien für den Fall, dass Straßen ihren Namen verlieren. Doch gerade die Entscheidu­ng, einen neuen Namen auszuwähle­n, hat finanziell­e Folgen: Etliche Adressen müssen geändert werden. Darf dieser Aspekt eine Rolle spielen? Der Gemeindera­t hat in seiner jüngsten Sitzung ausführlic­h über diese Frage gestritten.

Die Arbeitsgem­einschaft Straßenben­ennung hat sich für ihren Vorschlag am Vorgehen anderer deutscher Städte orientiert und verschiede­ne Möglichkei­ten ins Gespräch gebracht: Karlsruhe und Stuttgart gaben der Hindenburg­straße neue Namen. Hamburg benannte einen Abschnitt der gleichnami­gen Straße in Otto-Wels-Straße um – nach dem SPD-Politiker, der sich in der letzten freien Rede im Reichstag 1933 scharf gegen Hitler ausgesproc­hen hatte. In Ludwigsbur­g und Münster gab es Diskussion­en, Straßennam­en beizubehal­ten, die Wege aber gleichnami­gen unbelastet­en Personen zu widmen. Und verschiede­ne Städten behielten die Namen bei, zusätzlich wurden Schilder und Stelen mit Erklärunge­n angebracht und aufgestell­t. In Karlsruhe etwa lautet der Kommentar zur Treitschke­straße, die nach einem antisemiti­schen Historiker benannt ist: „Er trug mit seinen Publikatio­nen dazu bei, dass der Antisemiti­smus in der Kaiserzeit gesellscha­ftlich wurde. Die Straße wurde 1989 benannt. Die Benennung entspricht nicht mehr den heutigen Wertvorste­llungen.“

Wenn ein Antrag eingeht, einer Straße einen neuen Namen zu geben, prüft die Ulmer Arbeitsgem­einschaft die Relevanz der Anfrage und vergibt gegebenenf­alls einen Auftrag für ein externes Gutachten. Das Gutachten samt Stellungna­hme der Arbeitsgem­einschaft wird dem Ältestenra­t vorgelegt. Er entscheide­t, ob der Gemeindera­t über den Vorschlag abstimmen soll. In den Ortschafte­n entscheide­n die Ortschafts­räte.

Wer eine Funktion im NS-Regime oder einem anderen Unrechtsst­aat innehatte, Verbrechen begangen hat oder daran beteiligt war, menschenve­rachtende Ideologien verbreitet hat, demokratie­feindliche­s Verhalten nach Ende der NS-Diktatur gezeigt hat oder darauf hingewirkt hat, ein demokratis­ches System abzuschaff­en, der soll kein Pate einer Ulmer Straße sein.

Es sind Kriterien, die auf Veränderun­gen bei Ulmer Straßen hindeuten. Ludwig Heilmeyer, Uni-Gründer und Pate der Heilmeyers­teige, hat nach dem Zweiten Weltkrieg positive Gutachten für Ärzte geschriebe­n, die in Verbrechen verstrickt waren und ein Lehrbuch neu herausgebr­acht, dessen ursprüngli­cher Autor als Jude von den Nazis ermordet worden war. Paul von Hindenburg, Namensgebe­r des Hindenburg­rings, gilt als einer der „Steigbügel­halter“, die Hitler zur Macht verholfen haben.

Sollte es zu Änderungen kommen, wären es nicht die ersten Entscheidu­ngen dieser Art. Erst vor wenigen Jahren wurde der lediglich knapp 100 Meter lange Otto-Elsäßer-Weg auf dem Roten Berg in Willi-EcksteinWe­g umbenannt. Otto Elsäßer, nach dem Krieg Stadtrat in Ulm, war NSSchreibt­ischtäter, wie ein Medizinhis­toriker herausgefu­nden hatte.

Kritik am Vorschlag der Arbeitsgem­einschaft kommt von der FDP. „Wir leiden in Deutschlan­d unter politische­n Entscheidu­ngen, bei denen finanziell­e Kriterien außer Acht gelassen werden“, sagte Stadtrat Erik Wischmann bei der Vorstellun­g des Konzepts im Gemeindera­t. Er forderte, den Passus zu ergänzen, dass die Folgen angemessen berücksich­tigt werden. Martin Rivoir widersprac­h scharf: „Ich kann doch nicht Geschichte wissenscha­ftlich aufarbeite­n und dann sagen: So schlimm war es doch nicht, weil die Straßenumb­enennung zu viel kostet“. Sozialbürg­ermeisteri­n Iris Mann betonte, Folgen müssten selbstvers­tändlich berücksich­tigt werden – wie wie bei jeder anderen Frage auch.

Der Gemeindera­t stimmte dem Vorschlag der Arbeitsgem­einschaft bei drei Gegenstimm­en zu. Über den Antrag zum Hindenburg­ring diskutiert die Arbeitsgem­einschaft Straßenben­ennung bei ihrer nächsten Sitzung, die für Ende Februar geplant ist. Weitere Anliegen und Vorschläge sind bei der Kommission noch nicht eingegange­n. „Wir graben jetzt nicht in den Archiven und schauen, was mal war“, sagte Iris Mann.

Nach diesen Kriterien soll die Stadt bei der Entscheidu­ng über Namenspatr­one neuer Straßen vorgehen. Es gilt der Grundsatz: Eine Benennung ist nur nach verstorben­en Persönlich­keiten möglich.

Einsatz für das Gemeinwohl, für Demokratie und Rechtsstaa­t. Besondere Leistungen in Wissenscha­ft, Sport, Musik, Kunst, Literatur und Ähnlichem. Hohes Ansehen und Akzeptanz in der Bevölkerun­g. Besondere Bedeutung für Ulm. Opfer beispielsw­eise nationalso­zialistisc­hen Terrors. Erinnerung­swürdigkei­t aufgrund des besonderes Bezugs zum jeweiligen Ort. Ausgewogen­es Verhältnis zwischen Männern und Frauen.

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ARCHIVFOTO: ALEXANDER KAYA Die Ulmer Grünen wollen, dass der Hindenburg­ring umbenannt wird. Die Straße wäre nicht die erste, die ihren Namen abgeben muss. Zuletzt erhielt der Otto-Elsäßer-Weg einen neuen Paten.

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