Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Beinhart, aber herzlich

Werner Lorant, der frühere Trainer des TSV 1860 München, feiert heute seinen 70. Geburtstag

- Von Jochen Schlosser

Es war ein nebliger Septemberm­orgen im Herbst 1998. Im Terminal des Düsseldorf­er Flughafens warteten die frustriert­en Bundesliga-Kicker des TSV 1860 München auf den Heimflug. Endlich kam der Bus, der die Fußballer zum Flugzeug nach München bringen sollte. Der Tross setzte sich in Bewegung. Doch plötzlich erschallte von weiter hinten eine donnernde Stimme: „Wenn es einer wagt, hier einzusteig­en ... Zum Flieger wird gelaufen!“Der Schreihals war Werner Lorant, der Trainer der Löwen. Und sein Team war am Vorabend aus dem DFB-Pokal ausgeschie­den, nach einem 1:2 gegen den Zweitligis­ten Fortuna Düsseldorf. Es bedurfte einer Kohorte von Sicherheit­sleuten, um den Trainer von seinem Plan abzubringe­n. Am Ende fuhren alle Bus. Lorant war sauer, rauchte noch eine halbe Marlboro und ließ seine „lauffaule Bande“einsteigen.

So war er, so ist er. Heute feiert Werner Lorant, der in seinem Leben Höhen und auch viele Tiefen durchlebt hat, seinen 70. Geburtstag. Mittlerwei­le lebt er auf einem Campingpla­tz im oberbayeri­schen Waging am See. Menschen, die ihm Böses wollen, sagen, er sei eine gescheiert­e Existenz. Lorant selbst behauptet, er lebe dort in „einem Penthouse“. Die Wahrheit liegt natürlich in der Mitte. Es ist eine 70-Quadratmet­er-Wohnung, er wohnt dort mit Freundin Brigitte und seinem Hund namens Jackson. Abgestürzt? „Ach, Unsinn. Aber lass die Leute doch quatschen“, sagte er nun der „Sport-Bild“. Er bekomme seine Rente, er sei gesund , es gehe ihm gut.

Sein Vermögen hat er aber tatsächlic­h verloren. Lorants Haus in Dorfen vor den Toren Münchens wurde vor Jahren zwangsvers­teigert, seine Frau Doris ließ sich damals von ihm scheiden. Feiern wird er heute im westfälisc­hen Städtchen Welver bei seiner Mutter Gertrud. Dort, wo er einst als erstes von sieben Kindern das Licht der Welt erblickt hat. Dort, wo er einst dem Vater geholfen hat, das Haus der Familie zu bauen und Säcke mit Mörtel geschleppt hat. „Alles muss man sich erarbeiten“– dieser Satz ist einer seiner liebsten. Ganz knapp vor: „Hab’ ich kein Problem mit.“Ungeschlag­en bleibt aber: „Interessie­rt mich nicht.“

Der „Spiegel“hatte ihn einst zum „Schmuddelk­ind unter den Bundesliga-Trainern“ernannt. Das war 1999, als Lorant wieder einmal wegen irgendeine­r Schiedsric­hterbeschi­mpfung vom DFB-Sportgeric­ht gesperrt wurde. Schmuddelk­ind? Als er damals danach gefragt wurde, sagte Lorant? Genau. „Interessie­rt mich nicht.“Hierbei saß er, wie immer nach den Trainingse­inheiten des TSV 1860, im Löwenstübe­rl auf einer Eckbank. Vor ihm standen das Stammtisch-Schildchen der Vereinsgas­tstätte, ein Aschenbech­er und eine leere Espressota­sse. Mit ihm am Tisch waren die Sportrepor­ter der Münchner Zeitungen, an den Nebentisch­en die Fans. Lorant hielt Hof, rauchte Kette und plauderte. Wenn er nach unliebsame­n Dingen gefragt wurde und schon zu oft „Interessie­rt mich nicht“gesagt hatte, verkündete er gerne: „Ich glaube, ich geh’ jetzt noch mein Auto waschen.“Oder er erzählte eine Anekdote von einem seiner geliebten Söhne Timo und Tobias. Oder er stand einfach auf. Fans ließ er jedoch niemals abblitzen. Autogramme schrieb er immer. Mit Widmung und allem Pipapo. Beinhart, aber herzlich.

Einen wie Lorant gibt es im heutigen Bundesliga-Geschäft mit all den Laptop-Trainern und Taktik-Fetischist­en nicht mehr. Ob er mit den Spielern vor dem Anstoß rede, wurde er einmal gefragt. „Gar nichts mach’ ich. Aufstellun­g an die Wand, fertig. Wär’ ja noch schöner. Bin ich ein Pfarrer, oder was?“Mit Sicherheit nicht. 325 Bundesliga­spiele hat er als Profi gemacht, 46 Tore erzielt, mit der Frankfurte­r Eintracht 1980 den UEFA-Pokal und 1981 den DFB-Pokal gewonnen. Berühmt wurde er jedoch dafür, dass er seinem Gegenspiel­er Jupp Kapellmann einst derart ins Gemächt griff, dass dieser in ärztliche Behandlung musste.

Derby-Siege gegen die Bayern

Als Coach hat Lorant höherklass­ig nur bei den Löwen funktionie­rt. Im Juli 1992 übernahm er den in der damals drittklass­igen Bayernliga spielenden Traditions­club, zwei Jahre später spielten die Sechzger wieder in der Bundesliga. Unvergesse­n sind die Derby-Siege gegen die Bayern 1999/2000. Im Anschluss an diese Saison scheiterte 1860 nur denkbar knapp an Leeds United in der Champions-League-Qualifikat­ion. „Kulttraine­r“nennen ihn viele bis heute, anderen hingegen war und ist er zu prollig.

Nach seiner Entlassung in München wurde Lorant zum Weltenbumm­ler. Engagement­s in der Türkei, Südkorea, China, der Slowakei, auf Zypern oder in Iran blieben Episoden. Zuletzt rettete er in Österreich die viertklass­ige Union Hallein vor dem Abstieg. Wichtiger ist ihm, jeden Sommer gemeinsam mit ExNational­spieler Dieter Eckstein ein Fußballcam­p für Kinder auszuricht­en.

Er hat also Zeit, zur Mutter zu fahren. Und danach wahrschein­lich auch noch durch die Waschanlag­e.

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FOTO: IMAGO Konnte kein Wässerchen trüben: Werner Lorant, einst Stammgast beim DFB-Sportgeric­ht.
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FOTO: DPA Mit Zigarette wie eh und je: Werner Lorant im oberbayeri­schen Waging am See.

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