Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Merkel wirbt für den UN-Migrationspakt
Stürmische Generaldebatte im Bundestag – Kanzlerin kontert AfD-Politikerin Weidel
BERLIN - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Generaldebatte des Bundestags für mehr globale Kooperation und mehr Zusammenarbeit in Europa geworben. „Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Das ist kein Patriotismus. Denn Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-win-Situationen akzeptiert“, sagte Merkel. Damit konterte die Kanzlerin Angriffe der AfD gegen ihre Flüchltingspolitik und den UN-Migrationspakt. In der Debatte stellte sich auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hinter den Pakt, der Anfang Dezember in Marokko unterzeichnet werden soll.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hatte zunächst Merkels Politik angegriffen, dann aber den größten Teil ihrer Rede auf eine Verteidigung ihrer fragwürdigen Wahlkampfspenden verwendet. Sie habe Fehler gemacht, das könne passieren, sagte Weidel, aber man habe das Geld zurückgezahlt. „Moralische Vorwürfe müssen wir uns nicht machen lassen.“Auch CDU und SPD hätten in der Vergangenheit genug Parteispenden erhalten, und Heckler & Koch hätten an den CDUKreisverband Rottweil überwiesen. „Geben Sie erst mal Rechenschaft“, forderte sie von der Koalition. Kanzlerin Merkel ließ die AfD-Politikern auflaufen und konterte umgehend: „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält.“
Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt gegen Weidel wegen des Anfangsverdachts eines Verstoßes gegen das Parteiengesetz. 2017 wurden 130 000 Euro von einer Schweizer Pharmafirma an Weidels AfDKreisverband Bodensee überwiesen.
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles stellte das Gute-Kita-Gesetz und die Pflegereform als Erfolge dar. Doch die Opposition ging scharf mit der Regierung ins Gericht. Sahra Wagenknecht von den Linken meinte, die Koalition tue zu wenig für ärmere Menschen. An vielen gehe das Wachstum vorbei. Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete die Koalition als große Selbsthilfegruppe.
BERLIN - Mit einem Satz lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch Alice Weidel auflaufen. „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für wichtig hält“, sagt Merkel in der Generaldebatte des Bundestags an die Fraktionschefin der AfD gerichtet. Die Abgeordneten johlen, mit Ausnahme derer der AfD. Weidels Wutrede ist erst einmal vergessen.
AfD inszeniert Einigkeit
Weidel hatte im Bundestag eigentlich über haushaltspolitische Themen sprechen und die Entscheidungen der Regierung kritisieren sollen. Als stärkste Oppositionskraft steht der AfD in der Generaldebatte die Eröffnungsrede zu. Doch Fraktionschefin Weidel nutzt ihre Redeminuten fast ausschließlich zur Verteidigung in eigener Sache. Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Konstanz wegen einer Wahlkampfspende aus der Schweiz gegen Weidel ermittelt. Die AfD hatte bestätigt, dass im vergangenen Jahr rund 130 000 Euro von einer Schweizer Pharmafirma an den AfD-Kreisverband Bodensee überwiesen wurden. Als Verwendungszweck sei angegeben gewesen: „Wahlkampfspende Alice Weidel“. Im Bundestag räumt Weidel nun ein, dass in der Sache Fehler gemacht wurden und ergänzte: „Das kann passieren.“Aber schließlich sei nichts verschleiert worden, niemand habe sich persönlich bereichert und sowieso sei ja alles zurücküberwiesen worden, spricht Weidel und holt zum Gegenschlag aus: „Kommen Sie heraus aus Ihren Glashäusern und hören Sie auf, mit Steinen zu werfen“, sagt sie an die anderen Fraktionen gerichtet. Union, SPD, FDP und Grünen wirft sie vor, selbst verdeckte Wahlkampfspenden erhalten zu haben. Die Linken fordert sie auf, Rechenschaft über „das Milliardenvermögen" abzulegen, das „jahrzehntelang von der SED angehäuft“worden sei. Der Skandal um die eigene Parteienfinanzierung sei dagegen „von den Medien inszeniert“. Ihre Rede wird begleitet von lautem Applaus aus der AfDFraktion. Als Weidel danach zurück an ihren Platz geht, wird sie von ihrem Co-Vorsitzenden Gauland sogar väterlich umarmt.
Während die AfD-Fraktion also Einigkeit demonstriert, ignoriert Merkel die Anschuldigungen Weidels. Mit geballter Faust zählt die Kanzlerin in ihrer ersten Rede seit der Erklärung, beim Bundesparteitag im Dezember in Hamburg nicht mehr für den CDU-Vorsitz zu kandidieren, die Erfolge der Regierung auf: Man habe Familien entlastet, die kalte Progression bekämpft, Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt, das Baukindergeld eingeführt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. Nachholbedarf räumt sie bei der Digitalisierung ein. Hier müsse „der Mensch im Mittelpunkt“stehen. Die Technik dürfe den Menschen nicht beherrschen. Der Staat setze hierfür die „Leitplanken“.
Anschließend spricht sie über die „Herausforderung globale Welt“, der ihrer Ansicht nach größten Herausforderung der deutschen Gesellschaft. Noch unter dem Eindruck des Besuchs von Emmanuel Macron am Sonntag in Berlin beschwört sie die Freundschaft zu Frankreich als deutsche Verpflichtung. Sie mahnt zur Wachsamkeit vor neuen Spaltungen und bedrohlichen Entwicklungen in Europa, die zu Kriegen führen könnten und stellt die Frage: „Was haben wir aus der Geschichte gelernt?“Ihre Antwort: „Wir müssen immer versuchen, Dinge als Weltgemeinschaft zu klären und nie mehr gegeneinander.“
Merkel verteidigt Migrationspakt
Es sei nationales Interesse, dass sich die Bedingungen für Flucht und Arbeitsmigration verbessern, sagt sie über den – auch in den eigenen Reihen umstrittenen – Migrationspakt der Vereinten Nationen. Deshalb sei es richtig gewesen, den Pakt zu verhandeln. Dass der rechtlich nicht bindend sei, dürfe keine Ausrede sein.
Vielleicht ist es das Gelächter der AfD-Fraktion, das die Kanzlerin dann zu den folgenden Sätzen verleitet: „Das schöne an der heutigen Zeit ist, dass es wieder richtige Gegensätze gibt“, sagt sie und ergänzt an die AfDAbgeordneten gerichtet: „Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Das ist kein Patriotismus.“Denn Patriotismus sei, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbeziehe. „Das ist der Erfolg von Europa. Das ist der Erfolg einer multilateralen Welt.“