Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Geiz geht gar nicht
Die Junge Ulmer Bühne holt Charles Dickens’ berühmte Weihnachtsgeschichte in die Gegenwart
ULM - Mrs. Scrooge hat ein eigentümliches Verständnis von sozialer Fürsorge: „Ich zahle Steuern, damit man Gefängnisse bauen kann. Und jeder, der nicht arbeitet, findet darin Platz!“Soeben wurde mit diesen Worten eine Spendensammlerin abgewiesen und der einzige Mitarbeiter der geizigen Pfandleiherin bekommt keinen freien Tag, obwohl Weihnachten vor der Tür steht. Moderner kalter Kapitalismus, denkt man. Es war aber das Zeitalter von Verelendung, Ausbeutung und Arbeitshäusern, das den Engländer Charles Dickens 1843 zu seiner Weihnachtsgeschichte unter dem Titel „A Christmas Carol“animierte. Ein anklagendes Buch über die Schattenseiten der Industrialisierung, wie sie auch Karl Marx und Friedrich Engels beschrieben. Wie ist diese Thematik aber einem ganz jungen Publikum zu vermitteln? Der Jungen Ulmer Bühne (JUB) gelingt dies auf eine ebenso einfühlsame wie auch dramatische Weise.
Die Plätze bei der Premiere im Alten Ulmer Theater sind nahezu ausverkauft. Zentrale Person in der Inszenierung von Marek Bednarsky ist die hartherzige Scrooge (Sina Baajour). Nur Kapitalmehrung vermögen sie kurzzeitig zu erfreuen. Freunde hat sie keine, Weihnachten hasst sie, ihren Neffen sieht sie lieber im Gefängnis, als dass sie ihn unterstützen würde. Die Karikatur eines Unsympathen (bei Dickens war Scrooge ein Mann), verabscheut auch vom Publikum. Bereits nach wenigen Minuten erkennt eine junge Zuschauerin den eigentlichen Sinn des Stückes: „Hier geht’s immer nur um Geld.“
Weil aber Mrs. Scrooge trotz ihrer Hartherzigkeit auch Mitleid ob ihrer Einsamkeit hervorruft, erscheinen nacheinander vier Gespenster, welche die Geizige mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontieren. Scrooge erlebt dadurch nochmals die eigene Kindheit und Jugend, durchläuft in einem, quasi psychotherapeutischen Prozess eine allmähliche Läuterung. Dabei dürfen herzzerreißend lustige Szenen, wie der „Rolli fahr’n“alias „Jingle Bells“singende Opa (Markus Hummel) mit Rollator nicht fehlen. Das Publikum geht mit, aufmerksam der langsamen, aber steten Wandlung von Mrs. Scrooge. Allmählich wird dieser das durch sie angerichtete Elend bewusst: Der einstige Sekretär (Ferdinand Reitenspies) der Pfandleiherin entlassen, verarmt, in einer Wellblechhütte mit acht Kindern wohnend.
Die Resonanz der eigenen Fehler reißt Scrooge mit in die Tiefe. Am Ende ist sie es, die in den Rollator fällt und nicht mehr in der Lage ist, sich zu erheben. Dann nun endlich die Erkenntnis: „Es ist so still. Ich bin ganz allein.“Aber hat nicht jeder Mensch eine zweite Chance verdient? Der letzte Geist reicht der zerbrochenen Frau die Hand, gestattet ihr, ihr Leben zu ändern. Umgehend wird der entlassene Sekretär wieder eingestellt, der Neffe reich beschenkt und ein gemeinsames Fest veranstaltet. Es ist nämlich Weihnachten!
Die farbenfrohe Kulisse der Spielstätte harmoniert perfekt mit den ausdrucksstark agierenden Schauspielern. Die Charaktere typisiert à la Commedia dell’ arte, aber keinesfalls überzogen. Das jüngere Publikum im Saal kommuniziert mit der Bühnenhandlung, nimmt empathisch Anteil an dem Geschehen und folgt spielerisch dem Handlungsverlauf. Wenn auch den jungen Besuchern suggeriert werden konnte, dass Geiz eben nicht geil ist, hat das Team der JUB ihr hochgestecktes Ziel mit Bravour gemeistert.